Max Goldt: Gattin aus Holzabfällen:Ekel vor Katzenfutter

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Viele Bilder wären an sich völlig witzlos - doch eine echte Fachkraft hat die Untertitel dazu geschrieben: Max Goldts gesammelte Texte zu Fotofunden in seinem neuen Buch "Gattin aus Holzabfällen".

Lars Weisbrod

"Freunde und Verehrer des Dichters behaupten, Max Goldt habe die Bildlegende zur Kunstform erhoben." So steht es auf der Rückseite von "Gattin aus Holzabfällen", dem neuen Buch des Essayisten und Kleist-Preisträgers Goldt, und dieses Lob ist durchaus gerecht, wenn es auch in die Irre führt. Die Bildlegende, das ist jener Text, der unter einem abgedruckten Foto zu finden ist.

"Gattin aus Holzbafällen": Max Goldt's neues Buch enthält eine Auswahl von Bild-Text-Kombinationen, die in den vergangenen Jahren in seiner "Titanic"-Kolumne erschienen sind. (Foto: Rowohlt Verlag)

Das, was man findet, wenn man "Gattin aus Holzabfällen" aufschlägt, hat damit jedoch so gut wie nichts zu tun. Auch Goldts Buch enthält zwar, wie im Untertitel versprochen, "Mit Text versehene Bilder": eine Auswahl von Bild-Text-Kombinationen, die in den vergangenen Jahren in seiner Titanic-Kolumne erschienen sind. Doch der zum Bild gehörige Text verletzt wohl jede nur denkbare Regel, die sich für eine Bildlegende aufstellen ließe: "Einer der edelsten Gründe, keine Katze zu haben, ist der Ekel vor Katzenfutter. Aber warum guckt dieser Vogel so böse? Vögel halten doch sowieso keine Katzen. Eigentlich sollte der Vogel also etwas weniger griesgrämig dreinschauen."

Wenn es etwas gibt, das von Goldts bildbezogener Kurzprosa in den Stand der Kunst erhoben wird, dann ist das nicht die Bildlegende im engeren Sinne, sondern ein Format der komischen Unterhaltung, das sich vor allem im Internet fest etabliert hat. Abfotografierte Hinweisschilder, Werbeplakate, Hausfluraushänge, fotografische Beobachtungen, die mit dem unscharfen Wörtchen "skurril" etikettiert und, um die Pointe der Trouvaille noch einmal zu unterstreichen, mit einen kurzen Begleittext versehen werden.

Triumphierend gucken

Nach diesem Prinzip funktioniert auch "Gattin aus Holzabfällen", wenn Goldt bei Betrachtung einer Sauna-Club-Werbung am Hauptbahnhof von Hannover vorschlägt, die Stadt solle sich doch einfach mal überlegen, den Sauna-Club-Claim "Spooning and snogging is entirely standard here" als Stadtmarketing-Werbeslogan zu übernehmen. Dass Goldt aber über diese gelegentliche Formattreue hinaus tatsächlich die Nobilitierung des lustigen Fotofundstücks mit Kommentar gelingt, hat damit zu tun, dass auch dieser Vergleich seine Schieflage hat: Die meisten der abgedruckten Aufnahmen gingen gar nicht als Fundstücke im Sinne des Formats durch, weil sie nicht lustig sind.

Für das schlechter bewaffnete Auge erschöpft sich die Fundstück-Skurrilität in ihrer Unzeitgemäßheit, den Frisuren und Kleidern der Abgebildeten, ihrem etwas biederen Flohmarktcharme. Dort, so schreibt der Verlag, habe der Autor viele der Bilder in Kisten aufgestöbert.

Auf einem Bild ist eine junge Frau mit Gartenschlauch in der Hand abgebildet, die leicht entrückt schaut, aber auch nicht so entrückt, dass es bereits lustig wäre. Lustig ist erst, wenn Goldt zu diesem Bild notiert: "Warum Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen noch immer unterrepräsentiert sind? Eine komplexe Frage, die einer differenzierten Analyse bedarf. Unzureichend wäre eine Analyse, deren Resultat lautete, Frauen würden benachteiligt, weil sie immer so triumphierend gucken, während sie unter Beweis stellen, dass sie im Prinzip genausoviel wie Männer zu leisten vermögen."

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie der Flohmarktflaneur funktioniert.

Manche Bilder sind für sich betrachtet sogar völlig witzlos: Ein kleiner tragbarer Fernseher ist zu sehen, dessen Antenne in einen Rosenstrauß ragt, ein Detail, das dem normalen Betrachter keiner Erwähnung wert wäre, geschweige denn ein Schmunzeln hervorriefe. "Obwohl sich die Zeile ,Antennen, die in Rosen ragen'", schreibt Goldt dazu, "ganz ausgezeichnet zur Melodie von Paul Linckes populärem Klassiker ,Schlösser, die im Monde liegen' aus der Operette ,Frau Luna' singen ließe, hat das bisher noch nie jemand gemacht."

Mag das auch nicht der beste Gag aus "Gattin in Holzabfällen" sein - und Lacher sind dem Autor, wie er gerne betont, ja auch eher suspekt -, wird hier dennoch sein Zugriff am deutlichsten. Nicht das Bild oder das Bilddetail, auf das Goldt aufmerksam macht, ist außergewöhnlich, sondern außergewöhnlich ist, dass er ausgerechnet auf dieses aufmerksam macht. Goldts Komik funktioniert auch durch ihre Effizienz: Sie beeindruckt, weil sie aus fast nichts eine Pointe macht. Dazu braucht er nicht mehr als ein paar Rosen und eine Fernsehantenne.

Für sich betrachtet völlig witzlos

Das gelingt ihm natürlich nur, weil er die große Kunst der Abschweifung so perfekt beherrscht. Er knüpft Verbindungen zwischen Dingen, zu denen anderen nichts einfallen würde, und zwar so, dass der Nonsens auf die eleganteste Art gestreift wird. In einem der seltenen Interviews, die Goldt gegeben hat, merkte er einmal an, dass es das enthemmte Assoziieren, das mancher in seinen längeren essayistischen Texten mittlerweile vermisse, in seinen Comics und Dialogen immer noch gebe. Ebenso, muss man nach Lektüre von "Gattin aus Holzabfällen" hinzufügen, in seinen Bildunterschriften.

Die Kunst der Abschweifung, der mehr als subtile Witz - für Goldt-Leser ist das natürlich nichts Neues. Auch "Gattin aus Holzabfällen" zeichnet sich durch das aus, wofür man den Autor schon seit langem lobt. Und dennoch tritt es hier in einer Weise zu Tage, welche die Art seines unnachahmlichen Könnens deutlicher werden lässt, als es seine essayistischen Texte tun. Max Goldt hat sich schon häufig despektierlich darüber geäußert, dass sein Schaffen gern als "skurrile Alltagsbeobachtungen" eingeordnet wird. Selbst wenn man den von ihm monierten Verlegenheitscharakter dieser Floskel einmal ignoriert, bleibt sie immer noch problematisch, weil darin eine Doppeldeutigkeit steckt: Ist mit "skurril" gemeint, dass Goldt Skurriles im Alltag beobachtet? Oder vielmehr, dass Goldts Beobachtungen selbst etwas Skurriles haben, unabhängig von ihrem jeweiligen Gegenstand?

"Gattin aus Holzabfällen" ist auch deswegen interessant, weil hier das Beobachtete, das Fotofundstück, und das Beobachten, der dazugehörige Text, so klar zu trennen sind und deutlich wird: Wenn die Zuschreibung "skurrile Alltagsbeobachtung" im Falle Goldt überhaupt etwas bedeutet, dann nicht, dass er als Flohmarktflaneur in den Kartons Skurrilitäten des Alltags aufstöbert, sondern dass sein Blick auf die Dinge selbst schon skurril genug ist.

MAX GOLDT: Gattin aus Holzabfällen. Mit Text versehene Bilder. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2010. 128 Seiten, 18,95 Euro.

© SZ vom 02.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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