Little Britain:Tunnelblick

Die Muscheln in Birmingham sind fürchterlich, aber die Spaghetti Junction ist wunderbar: Wer nur ein bisschen zu unkonzentriert in diese Kreuzung reinfährt, kommt nicht selten im Norden Portugals wieder raus.

Christian Zaschke, Birmingham

Autobahnkreuz

Ja, auch andere Länder haben schöne Kreuzungen: Hier zum Vergleich für die folgende Geschichte das Autobahnkreuz Kaiserberg der A3 und A40 in Duisburg, auch "Spaghettiknoten" genannt

(Foto: dpa)

Dass mein Aufenthalt in Birmingham nicht unter einem guten Stern stehen würde, ahnte ich, als ich das Apartment betrat. Ich hatte es gemietet, weil es in der ganzen Stadt kein bezahlbares Hotelzimmer mehr gab. Das lag nicht an den Reizen Birminghams, zu denen die Spaghetti Junction gehört, eine irre, mehrstöckige Kreuzung von geschätzt 100 Straßen. Es sollen schon Menschen in der Spaghetti Junction verloren gegangen bzw. nach vier- bis fünfmaligem falschen Abbiegen und Durchquerung eines plötzlich auftauchenden Tunnels in Póvoa de Varzim im Norden Portugals herausgekommen sein.

Dort gibt es nun erst recht nichts zu sehen, es sei denn, man steht auf prähistorische Hügelgräber, wovon sich vier in der Gegend erheben. Immerhin kann man in Póvoa de Varzim am Atlantik sitzen und den Wellen zuhören, während man sich in einer Strandbar ein Superbock einflößt. Da man in Póvoa de Varzim beim besten Willen nicht falsch abbiegen kann, schon gar nicht vier- oder fünfmal, ist nichts davon bekannt, dass es je einen Menschen von dort nach Birmingham verschlagen hätte.

Birmingham liegt nicht am Atlantik, aber es hat einen hübschen Kanal, an den liebevoll ein paar Kettenrestaurants getupft sind. Doch weder Kanal noch Kettenrestaurants ziehen gemeinhin so viele Menschen an, dass alle Hotels voll sind. Es war der Parteitag der Konservativen, der die Stadt bis zum Anschlag gefüllt hatte. Da wollte ich auch hin, und nach einigem Suchen im Internet fand ich das Apartment: Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer und billiger als ein Hotel. Als ich das Apartment betrat, musste ich leider feststellen, dass der Teppich - schwer zu sagen, wonach er roch. Am ehesten nach einer Mischung aus nassem Hund, aufgewärmtem Rahmporree, frisch geschnittenen Zehennägeln und dem Angstschweiß eines Mannes, der durch die Spaghetti Junction fährt und weiß: jetzt noch einmal falsch abbiegen, und ich bin in Portugal.

Flugs verließ ich das Apartment, um mir am Kanal ein Bier einzuflößen. Das gelang. Als ich anschließend in einem Kettenrestaurant eine Portion Muscheln bestellte, musste ich leider feststellen - schwer zu sagen, wonach sie schmeckten. Am ehesten nach einer Mischung aus gefettetem Leder, porösem Einweckgummi, bereits gekautem Hubba Bubba und eingeweichter Fußhornhaut.

Wenig später spazierte ich also nur halb gut gelaunt wieder in Richtung des Apartments. Mein Magen fühlte sich an, als habe jemand eine mehrstöckige Kreuzung von 100 Straßen hineingebaut. Nachdem ich im Apartment noch zwei Züge Teppichluft geatmet hatte, war es keine große Überraschung mehr, als die Muscheln - sagen wir einfach, dass sie vier- bis fünfmal falsch abgebogen sind.

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