Little Britain:Der Herr der Ringe

Milchwirtschaft-Beschäftigte bekommen drei Prozent mehr

Kaffee? Pils? Wasser? Manch einer kann auf vieles verzichten - aber nicht auf die Milch.

(Foto: dpa)

Im strömenden Regen erst raus auf die Straße, dann rein in den Supermarkt. Am Milchregal schergt sich der leise klingelnde Glatzkopf heran. Showdown zweier sehr glatt rasierter Männer.

Von Christian Zaschke, London

Als der Glatzkopf mir auf die Schulter tippte, drehte ich mich sehr schnell um und sagte ungehalten: "Was?" Ich stand vor dem Milchregal im Supermarkt, der Glatzkopf entblößte zwei sehr weiße, aber unvollständige Zahnreihen, in sein Gesicht waren vier oder fünf Ringe gestochen. Er war vielleicht 50 Jahre alt. Unter einer Schimanski-Jacke trug er ein weißes T-Shirt, über dessen Kragen die Spitze einer Tätowierung den Hals hinaufkroch. Ich dachte an Eisberge, die bekanntlich zu sieben Achteln unter Wasser liegen. "Sorry", sagte ich, "war gerade in Gedanken." Der Glatzkopf sagte: "Habe nur diese eine Frage, okay?"

Es war Sonntag, früher Abend. Stundenlang hatte ich auf Zeit gespielt. Das lag daran, dass ich nicht die geringste Neigung verspürt hatte, in diesen unendlichen Regen hinauszugehen. Ich wusste, dass ich früher oder später rausmusste, weil ich Milch brauchte und zwei, drei andere Sachen. Auf die zwei, drei anderen Sachen hätte ich verzichten können, aber nicht auf die Milch. Meine Lieblingsgetränke sind, in dieser Reihenfolge: Milch, stilles Wasser, guter Wein, Kaffee, Whisky, Pils, frisch gepresster Orangensaft, mittelguter Wein, Earl-Grey-Tee (mit Milch, die zuerst in die Tasse muss, dann den Tee aufgießen, dann je nach Geschmack ein bisschen Zucker dazu), von Pils verschiedenes Bier, Sprudelwasser.

Wie so oft in letzter Zeit hatte es den ganzen Tag geregnet. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise regnet es in London ein, zwei Stunden lang, dann wechselt das Wetter, als habe jemand den Schalter umgelegt. Offenbar hatte der große Schalterumleger aber gerade frei oder was anderes zu tun. Um noch nicht rauszumüssen, hatte ich die Wohnung auf- und die Spülmaschine ausgeräumt. Ich hatte gestaubsaugt, schließlich hatte ich mich nass rasiert. An einem Sonntag. Da der Supermarkt sonntags um sechs zumacht, legte ich gegen fünf einige Lagen Regenkleidung an. Anschließend stand ich eine halbe Stunde lang an der Haustür und schaute dem Regen zu. Dann ging ich los.

"Kein Problem", sagte ich zu dem Glatzkopf, "worum geht's?" Er sagte, und ich bilde mir ein, dass seine Gesichtsringe leise klingelten, während er sprach: "Welches Aftershave benutzen Sie?" Ich sagte es ihm. Er schaute mich an, als hätte ich ihm eröffnet, dass seine Schwester und seine Mutter zwei stadtbekannte - jedenfalls bedankte er sich eisigst und ging. Ich packte zwei Liter frische Vollmilch und zwei, drei andere Sachen in meinen Einkaufskorb. Erst als ich mich auf den Weg zu den Kassen machte und den Glatzkopf vor den Regalen mit den Insektenvernichtungsmitteln erspähte, fiel mir auf, dass seine Schimanski-Jacke vollkommen trocken war.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: