Lady Gaga in München:Lady Lehel

Die Uni München erwägt, Lady Gaga als Dozentin zu berufen? Wäre bemerkenswert, wenn diese nicht so befremdlich durchgeknallt wäre - außer im Münchner Nachtleben.

Ruth Schneeberger und Katharina Riehl

Manchmal erfährt man die wirklich interessanten Dinge rein zufällig. Wenn die Vernissage in Schwabing nicht so langweilig gewesen wäre, hätte der Dozent sich vielleicht nicht verplappert.

Während gleich mehrere Eröffnungsredner sich ausladend über die Untiefen der allseits bekannten "Transavanguardia" auslassen, und aus irgendeinem Grund keine Häppchen gereicht werden, kann man hinter den Stellwänden von ganz anderen kulturellen Highlights berichten: "Diese ewige Langeweile in der Kultur ist ein einziges Ärgernis. Kein Wunder, dass da nichts Großes mehr kommt: Wir haben ein Nachwuchsproblem", lässt sich der Musikdozent hinter vorgehaltener Hand zum Lästern hinreißen.

Normalerweise hätte auch diese Bemerkung unter dem Allgemeinbegriff "das große Gähnen" fallen können - wäre da nicht der zweite Halbsatz gewesen: "Wenn wir erst mal die Gaga dahaben, können wir vielleicht wieder mehr Studenten begeistern."

"Die" Gaga? Der Mann ist zwar Hochschuldozent für populäre Musik, aber er wird ja wohl kaum von Stefani Joanne Angelina Germanotta sprechen, der meistausgezeichneten Musikerin des Jahres 2009, Newcomerin, Durchstarterin und Abräumerin in persona, sich selbst als "The Fame Monster" bezeichnend?

"Entschuldigen Sie, meinten Sie gerade Lady Gaga, die Sie an der Hochschule für Musik und Theater in München engagieren möchten?", fragen wir ungläubig nach. "Ja, für populäre Musik - aber Sie sind Journalisten, oder?", fragte er, plötzlich eine Stimmlage höher, nach. "Haben Sie angefragt? Hat sie schon geantwortet?", wollen wir genauer wissen. "Tut mir leid, dazu kann ich Ihnen noch nichts Konkretes sagen. Sprechen Sie bitte mit unserer Pressestelle." Spricht's und stürzt sich auf den Prosecco-Orangensaft.

Natürlich kann die Pressestelle der Musikhochschule "keine weiteren Auskünfte" geben, und natürlich ist auch vom Management von Lady Gaga nichts zu erfahren. Bis zum vierten Anruf. "The Lady is in Munich today", lässt uns eine noch sehr junge Mitarbeiterin am Telefon wissen. "Didn't you get the number of her local press-contact?"

Also doch. Frau Gaga hält sich in München auf, sie hat einen Pressesprecher dabei, es gibt etwas zu berichten. Jener Mitarbeiter ist zwar wiederum nicht besonders gesprächig, aber er sieht die Möglichkeit, am Abend ein kurzes Gespräch im Hotelfoyer zu arrangieren - mit ihm.

Im Bayerischen Hof sieht zunächst nichts nach Lady Gaga aus. Der Pressesprecher, ein kleiner dunkler Mann mit großer Frisur, lässt uns zunächst warten und sich dann zehn Minuten lang über die großen Erfolge seiner Chefin aus. Ein Lehrauftrag für populäre Musik an der Münchner Uni? Der kleine Mann hüllt sich in Schweigen. Wir wollen uns gerade schon damit zufriedengeben, dass an der Geschichte vermutlich doch nichts dran ist, da öffnet sich die Fahrstuhltüre - und ein Mädchen mit langen braunen Haaren gesellt sich zu uns an den Tisch, setzt sich auf seinen Schoß und gähnt.

Hätte der Mann nicht sofort zum iPhone gegriffen und einen weiteren Mitarbeiter unbeherrscht angezickt, warum der Cartoon-Kanal in der Suite nicht funktioniere, wir wären nie auf die Idee gekommen, dass wir gerade Lady Gaga gegenübersitzen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Lady Gaga durch München tanzt.

Die Nacht mit Lady Gaga

Schon klar: Wir hatten nicht mit einem Bühnenoutfit von drei Metern Breite oder dunkelrot glitzerndem Augen-Make-up gerechnet, wie sie es zum Empfang der Queen getragen hatte. Aber so wenig gaga hätten wir den Bühnenstar auch wieder nicht erwartet: Die Haare naturgewellt, die dunklen Augen ungeschminkt, die Nase recht klassisch - eine aparte, wenn auch eher unauffällige Erscheinung.

Schnell bieten wir uns an, mit ihr über ihre neue Lehrtätigkeit zu sprechen, aber sie will von ihrem Assistenten nur wissen, mit wem er da schon wieder plaudere, ohne ihr Bescheid zu sagen. So schnell wie sie gekommen ist, verschwindet sie auch wieder - im Gehen murmelt sie noch: "Please get me a taxi for the baby, Baby!" - und halb zu uns gewandt: "See you there, Babes?"

Wir sind verwirrt. Hat uns Lady Gaga gerade in den In-Club der Stadt zitiert? Während wir später, in fast gaga-hafter Aufmachung, vor der Disco mit der angeblich härtesten Tür Münchens warten müssen, sind wir nicht mehr ganz sicher. Doch da nähert sich schon das Grüppchen auffällig unmünchnerisch wirkender Hipster, in deren Mitte eine auffällig unblonde junge Frau zu schweben scheint. Für sie öffnet sich der bis dahin unzugängliche VIP-Bereich in Sekundenschnelle - und beinahe wäre uns die Lady schon wieder entwischt.

"Angelina!", versuchen wir unser Glück mit einem ihrer zahlreichen Vornamen, um nicht gleich die ganze Meute darauf aufmerksam zu machen, wer gerade einigermaßen anonym den VIP-Eingang betritt. Sie schaut, lächelt, und weist die Türsteherin an, uns mit einzulassen.

Die Lady tanzt

Der Club ist voll, wie immer. Ein Mann mit Headset weist unserem Grüppchen den Weg in die obere Etage, wo ein Tisch mit Getränken reserviert wurde. Die feierlich aufgestellte Fünf-Liter-Wodka-Flasche bleibt unberührt - Lady Gaga bestellt eine Runde "German Beer".

Die nächsten anderthalb Stunden verbringen wir damit, dabeizusitzen und nicht dazuzugehören. Unsere Hoffnungen auf ein Interview oder auch nur ein Sterbenswörtchen über eventuelles Dozentinnentum schwinden mit jeder Flasche Bier, mit der sie sich näher mit ihrem Assistenten befasst. Die beiden scheinen wichtige Gespräche zu führen.

Nach zwei Stunden geben wir auf und mischen uns auf der Tanzfläche unters normale Volk. Wobei das in diesem Club zu relativieren ist. Dass alle Frauen Blondinen und alle Blondinen sehr schlank und alle schlanken Blondinen sehr gut gestylt sind, nimmt man aber nur nebenher wahr, weil man so stark damit beschäftigt ist, sich nicht von der Tanzfläche rempeln zu lassen. Die Ellenbogen sind in diesen Kreisen sehr spitz.

Aber die Musik ist aktuell und für München ungewöhnlich peitschend, weshalb wir bald eine Mittänzerin an unserer Seite haben: Lady Gaga trägt lila Leggings, rosa Ballerinas, ein rockiges T-Shirt und eine schwarze Lederweste zum unscheinbaren Zopf und hat sogar ihre Sonnenbrille abgelegt. In dieser Aufmachung wird sie hier garantiert niemand erkennen. Auch ihr Tanzstil ist mehr als zurückhaltend. Die Schultern nach vorne, die Füße fest am Boden, nur die Hüfte schwingt mit im Elektro-Takt - ihre spektakulären Bühnenshows würde der 24-Jährigen hier wohl kaum einer zutrauen. Genausowenig wie die unzähligen Gold-, Platin- und Doppel-Platin-Schallplatten, die sich in ihrem Zuhause in New York stapeln.

Wir sind verblüfft - und zufrieden. Lady Gaga scheint zwar absolut keine Lust auf ein Interview zu haben. Aber Starallüren hat sie ebenfalls keine - und so ziehen wir kurz darauf mit der unscheinbaren Disco-Queen und der Hälfte ihres Gefolges in den nächsten Club.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, wo Lady Gaga sich besonders wohl fühlt.

Viel Wind, wenig gaga

Der Assistent weist den Taxifahrer an, ins "Piee ains" zu fahren - aber nach nur zehn Minuten will Frau Germanotti dort wieder weg. "This is not my music", fängt sie an, schlechte Laune zur Schau zu tragen - und wir beeilen uns, das "Ed Moses" von gegenüber als nächste Station zu empfehlen, wegen der Drinks. Frau Gaga ist angetan.

Die männlichen Türsteher sind weniger angetan von der Anzahl männlicher Begleiter in unserem Schlepptau. Doch der unvermeidliche Assistent raunt dem Größeren irgendetwas ins Ohr - und der Weg wird frei gemacht. Drinnen steuern wir sofort die Bar an, weil wegen der Hitze und der Überfüllung dringend ein Cocktail benötigt wird. Dazu muss man wissen: Die Barkeeper meinen es hier extrem gut mit ihren Gästen. Was dazu führt, dass ein Cocktail zu mindestens zwei Drittel aus Alkohol besteht. Dementsprechend zieht uns Frau Gaga nach nur anderthalb Drinks aufs Podest.

Die Lady schwitzt

Dazu muss man wiederum wissen, dass das Podest in diesem Club zwar prima zum tanzen, aber gleichzeitig die Hölle ist. Im Hintergrund befindet sich nämlich ein Kamin, in dem das ewige Feuer brennt, so dass die ohnehin heiße, feuchte und knappe Luft dort oben zu ekstatischen Verrenkungen führen muss. So auch bei Lady Gaga. Endlich erkennen wir sie wieder. Die Schminke verlaufen, die Bewegungen werden eckiger, sie lässt die Gaga raus. Erst jetzt beginnen wir zu glauben, dass sich hier eine ehemalige Burlesque-Tänzerin räkelt, die mit dem Tanz ihren Lebensunterhalt finanziert hat, nachdem ihre italo-amerikanischen Eltern sie nach dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit 18 Jahren nicht mehr unterstützen wollten.

Länger als eine viertel Stunde hält es aber auch ein Superstar nicht auf dem Ed-Moses-Podest aus - sie will ins Freie. "Let's go for a walk", schlägt sie vor. Der Assistent verdreht die Augen und tippt nervös in sein iPhone. Wir schlagen einen Spaziergang durchs Lehel vor - Richtung Maximilianstraße oder Gärtnerplatz, wo weitere Clubs zu finden wären. Im frühlingsfrischen Nachtwind, zwischen erhabenen Altbauten und generösen Straßenzügen des bürgerlichsten Stadtteils von München, lässt sich Lady Gaga auf den Bürgersteig sinken - und will bleiben.

"These buildings are so pretty - it's gorgious!" Wir versuchen ihr zu erklären, dass München noch reizvollere Gegenden zu bieten hat - aber sie nickt nur und weist ihren Assistenten an: "Do you think, this pink house would fit? Do me a favour and contact Mrs. Miller. How is this area called?" "Lehel", sagen wir wie aus einem Mund.

Nachdem die Künstlerin nun schon eine neue Behausung in München auserwählt hat, fassen wir wieder Mut und wollen noch mal über die Dozentenstelle reden. Aber der Assistent ist schneller, und überhaupt fällt dem Weltstar ein, dass er jetzt Hunger hat. Mittlerweile sind wir fast am Gärtnerplatz angelangt und beschließen, unserem Gast eine ganz besondere Wurstbude zu präsentieren - den "Bergwolf" in der Klenzestraße.

Die Lady speist

Unseren Ausführungen zu regionalen Currywurst-Unterschieden scheinen aber hier niemanden zu interessieren - Frau Germanotti bestellt eine Wurst ohne Fleisch und zwei Schnaps hinterher. Was uns bisher nicht aufgefallen war: Ihr treuer Gefährte bleibt den ganzen Abend trocken. Für seine ständige Anspannung allerdings scheint es keinen offensichtlichen Grund zu geben: Lady Gaga wirkt dann doch recht pflegeleicht.

Nach einer weiteren fleischlosen Wurst, die sie aber nur einmal anbeißt, ist die Runde wieder gestärkt für weitere "Munich Highlights". Inzwischen ist es zu spät für heterosexuelle Clubs - wir erklären auf dem Weg zum "Pimpernel", dass dies einmal ein Schwulen-Club gewesen sei, in dem auch ihr Vorbild Freddie Mercury gern getanzt habe, und verzichten dabei darauf, sie auf ihren angeblich zwitterhaften Körper anzusprechen. Nach dieser Nacht mit der Lady sind wir sicher, dass zwar sehr viel Wind gemacht wird, die Gute aber außergewöhnlich normal zu sein scheint für ihr Alter. Vielleicht ist das aber auch nur Teil ihrer steten Wandelbarkeit - und das gelebte Mantra ihrer beiden Hit-Singles "Poker Face" und "Just Dance".

Weil das "Pimpernel" zwar ein garantiert gutgefüllter Club für den Morgen ist, die Musik aber nicht zwangsläufig passabel, hat die Künstlerin hier schnell das Gefühl, eingreifen zu müssen. Den DJs hinterm Pult gefällt das gar nicht. Der kleine Assistent will einschreiten, wird aber von den Münchner Residents ebenso barsch abgewiesen wie seine junge Chefin. Er will gerade sehr wütend werden, als die Lady ihm klarmacht, dass der Abend hiermit beendet sei.

Dann geht alles ganz schnell: Wir stehen vor der Tür, winken einem Taxi hinterher, von dem wir nicht ganz sicher sind, ob da wirklich gerade ein Weltstar davonrauscht, um im Bayerischen Hof seinen Rausch auszuschlafen und danach die Welt wieder mit schockierenden Meldungen über angebliche Penisse und mit so ausladenden wie knappen Roben zu versorgen. Vielleicht ja bald von München aus. Genauer gesagt: vom Lehel.

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