Kino in Frankreich und Deutschland:Manchmal besser als Hollywood

Französisches Kino, "The Artist"

Französische Filme wie "The Artist" sind in Deutschland zum Teil beliebter als Hollywood-Blockbuster.

(Foto: dpa)

Wenders, Herzog, Haneke - die Franzosen lieben das deutsche Kino und die Deutschen lieben das französische: "The Artist" und "Ziemlich beste Freunde" waren Kassenschlager. Warum mögen die deutschen Kinobesuchern Filme aus Paris so gerne - und die Pariser die Kinofilme aus Berlin?

Von Susan Vahabzadeh

Nirgendwohin wird das französische Kino mit so viel Erfolg exportiert wie nach Deutschland. In Paris hat die Unifrance, zuständig dafür, französischen Film auf ihrem Weg in die Welt zu helfen, gerade stolz ihre Zahlen verkündet: Ein bemerkenswertes Jahr war 2012, und weil ein Stummfilm im Rennen war, "The Artist", sind sogar die amerikanischen Zuschauer in Massen in einen französischen Film gestürmt.

In Deutschland waren es insgesamt 72 französische Filme, die ins Kino kamen, 14 davon hatten jeweils mehr als 100 000 Besucher. Und das ist ganz ordentlich - auch wenn die fast neun Millionen für "Ziemlich beste Freunde" eine Ausnahmeerscheinung sind. Dies ist eine der höchsten Besucherzahlen, die überhaupt je ein Film in Deutschland erreicht hat. Wir lieben das französische Kino.

Dafür gibt es mindestens drei gute Gründe. Der erste wäre einmal, dass das französische Kino tatsächlich ziemlich gut ist - wer glaubt, eine gute Idee könnte Know-how ersetzen, macht sich etwas vor. Film ist auch Technik, und die braucht Profis und eine Industrie. Die Einzigen, die Hollywood das Wasser reichen und manchmal sogar abgraben können, sind die Franzosen.

Nicht ohne Grund ist nach dem französischen Oscar-Sieger "The Artist" im vergangenen Jahr schon wieder ein Film auf der Nominierungsliste für den besten Film des Jahres gelandet, der im Prinzip französisch ist - Michael Hanekes in Paris gedrehter Film "Liebe", immerhin eine deutsche Koproduktion. Wer richtig gut ist im europäischen Kino, der geht nicht nach Hollywood, sondern nach Paris wie Haneke. Und dort wird, wer etwas kann, auch mit offenen Armen empfangen.

"Liebe" ist dann auch ein gutes Beispiel für den zweiten Grund: Kein anderes Kino ist uns so nahe wie das französische, spiegelt unsere Lebenswirklichkeit besser. Das alte Ehepaar, das Haneke in "Liebe" am Ende des gemeinsamen Weges zeigt, die mit Büchern vollgestopfte Mittelstands-Altbauwohnung - das könnte auch in Wien spielen oder in Berlin. In irgendeiner Großstadt in Old Europe - aber eben nur dort. Uns verbindet die Vorstellung von einer Bourgeoisie und auch manchmal vom Kleinbürgertum. Aber fremd ist uns das französische Kino nie.

Wer ist Bully Herbig?

Zum amerikanischen Kino bleibt uns der Weg dann doch oft versperrt - weil die Sicht auf die Welt anders ist. Es gibt in den USA gerade hitzige Diskussionen über die Darstellung von Folter in Kathryn Bigelows "Zero Dark Thirty", der bei uns erst nächste Woche anläuft. Aber über den selbstverständlichen Hurrapatriotismus, mit dem sie die Jagd auf Osama bin Laden inszeniert hat, regt sich in Amerika niemand auf.

Dafür ist der Blick, den Olivier Assayas vor drei Jahren auf den Siebzigerjahre-Terroristen "Carlos" warf, derselbe, den auch ein deutscher Film gehabt hätte - distanziert, aber nicht selbstgerecht. Er ist sich bewusst, dass der Linksterrorismus in den Siebzigern von den meisten Menschen nicht so gesehen wurde wie heute. Der amerikanische Antikommunismus, das Martialische - das irritiert deutsche Zuschauer ebenso wie französische.

Es kommt eine hübsche französische Komödie im Sommer in die deutschen Kinos, "FBI", die mit der amerikanischen Idee vom allmächtigen Polizeiapparat herrlich Schabernack treibt. Mit den Franzosen teilen wir eben sogar ihre Komödien - obwohl Humor Teil der Kultur ist und selten ein erfolgreiches Exportgut. Das beruht nicht immer auf Gegenseitigkeit - in Frankreich fragt einen vielleicht mal jemand, wann der nächste Film von Christian Petzold fertig ist. Aber von Bully Herbig hat noch keiner was gehört.

Die Verteilung der Emotionen in der deutsch-französischen Schicksalsgemeinschaft ist generell nicht immer ganz gleichmäßig. Unser Kino aber lieben die Franzosen manchmal sogar mehr als wir: Die Helden des Neuen Deutschen Films, Wenders, Schlöndorff, Herzog, Fassbinder, wurden auch zu Zeiten, als es bei uns Mode war, auf dem Autorenkino herumzuhacken, als hätte ihm der deutsche Komödienboom der Neunzigerjahre irgendetwas entgegenzusetzen gehabt, in Frankreich gefeiert, und man ist sich dort immer noch bewusst, dass diese Filmemacher Meister ihres Fachs sind.

Das Kino ist eben, und das ist Grund drei, die emotionalste Kunstform von allen - und vielleicht können die Franzosen mit Emotionen besser umgehen. Für den 50. Jahrestag des Élysée-Vertrags nutzen sie manchmal den Ausdruck Noces d'Or, Goldene Hochzeit - und so würde man es vielleicht auch im Kino nennen.

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