Junge deutsche Sängerinnen:Die netten Mädchen von nebenan

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Elif Demirezer setzt auf Akustik-Pop und erinnert ein bisschen an Penelopé Cruz. (Foto: Hannes Caspar)

Sie sind jung, shoppen auf Flohmärkten und singen auf Deutsch. Künstlerinnen wie Elif erzählen mit ihrer Musik persönliche Geschichten. Ohne Botschaft, dafür mit ganz viel Gefühl.

Von Katharina Nickel

"Es ist wieder typisch. Ich habe Glätteisen, Schminke und High Heels eingepackt, aber meine Anziehsachen vergessen", scherzt Elif Demirezer bei einem Abend Ende März in München. Deswegen habe die Sängerin heute auch ihr Reiseoutfit an: schwarze Hose, schwarzes Shirt, schwarze High Heels, ganz klassisch.

Ihre Musik, das ist Pop mit persönlichen, deutschen Texten. Ein bisschen erinnert sie mit ihrer Stimme an Stefanie Kloß, Sängerin von "Silbermond". Solche Vergleiche hört die junge deutsche Sängerin häufig, aber nicht gerne. Davon will Elif sich vor allem mit Akustikversionen ihrer Songs abheben.

In "Unter meiner Haut" singt sie von einer durchzechten Nacht mit der großen Liebe. Sie will mit ihren Liedern vor allem Freude bringen, denn "seien wir mal ehrlich, dieser Winter ist wie ein Ex-Freund, der nicht verstanden hat, dass es vorbei ist", lacht die 20-Jährige. Ihre braunen Kulleraugen blitzen und sie fährt sich mit den Fingern durch ihre langen, schwarzen Haare. Ein bisschen erinnert sie an Penelopé Cruz.

Spanische Wurzeln hat sie allerdings nicht. Elif ist Deutsch-Türkin und in Berlin geboren. 2009 nahm Elif an der Casting-Show Popstars teil, in der unter dem Motto "Du & Ich" wurde ein Pop-Duo gesucht wurde. Elif landete, zusammen mit Nik Dennin, auf dem zweiten Platz. Ein Jahr später begann ihre Solo-Karriere, ihr erstes Album wird im Juni 2013 veröffentlicht. Es folgten immerhin Auftritte im Vorprogramm von Tim Bendzkos Deutschlandtour 2011. Ina Müller sagte einmal über sie: "Du bist so angenehm schüchtern". Tatsächlich wirkte die damals 18-jährige Elif etwas scheu.

In München begrüßt sie freundschaftlich jeden ihrer Gäste, erhebt immer mal wieder das Glas für einen Trinkspruch. Überhaupt spricht sie sehr viel und schnell. Schüchtern wirkt das nicht mehr. "Nichts Tut Für Immer Weh" sei zu ihrem Lebensmotto geworden, erzählt sie. Ihre Erfahrungen, auch die schlechten, verarbeite sie in ihren Songs, von denen sie an diesem Abend einige singt.

Das schüchterne Mädchen merkt man ihr nur noch an, wenn sie sich durch die Haare streicht und verlegen lächelt. Im nächsten Moment erzählt und singt sie dann wieder mit funkelnden Augen von ihrer Familie. Wie in "Baba" (türkisch für: Vater). Das Motto des Songs: Eltern sind auch nicht perfekt.

Auf den emotionalen, manchmal auch akustischen Pop setzen auch Mia Diekow aus Hamburg und Wahlberlinerin Betty Dittrich. Beide singen auf Deutsch und über persönliche Lebenserfahrungen. Diekow, die Blondine mit der Zahnlücke, entstammt einer Musikerfamilie: Die Mutter singt, der Vater ist Geiger.

Das "Lieblingslied", das sie beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest im Februar präsentierte, handelt von einem Mann, der ihr etwas über die Liebe erzählt, das "sogar Bollywood zu kitschig" wäre. Sie beschreibt darin das Gefühl nach einem One-Night-Stand, wenn sich anfängliche Zweifel unerwartet zu Liebe entwickeln.

Das klingt dann manchmal etwas zu sehr nach Lenas "Satellite"-Hit von 2010. Ein bisschen Lalala und eine süße Stimme. "Der Beat ist ähnlich, aber der Song dreht sich ja um etwas ganz anderes. Außerdem ist der Refrain viel schwieriger zu singen", sagte Diekow der Hamburger Morgenpost. Ihre Musik lässt sich wohl am ehesten als Indie-Pop bezeichnen, also Pop mit stärkerem elektronischen Einschlag, aber mit Wiedererkennungswert.

Diekow liebt das Spielen mit verschiedenen Klängen, Geräuschen und Sounds. Sie schreibt nicht nur ihre Texte, Lieder sowie Drehbücher zu ihren Musikvideos selbst, sondern ist auch ihre eigene Produzentin. Außerdem hat sie einen Spleen: Auf ihrer Homepage stellt die 26-jährige Künstlerin zum Beispiel Bastelanleitungen für Halsketten und Ohrringe online.

Auch Elif hat eine Vorliebe fürs Basteln. In ihrer Freizeit shoppt sie gerne auf Berliner Flohmärkten und in Second-Hand-Läden, wie sie erzählt. Sie liebt es, ihre Outfits individuell zusammenzustellen. "Meistens bin ich aber auf der Suche nach meiner größten Leidenschaft: Schuhen. Ich kann kaum zählen, wie viele Paare ich bereits besitze," lacht Elif und streicht sich mal wieder durch die Haare.

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Berlin ist auch die Wahlheimat von Betty Dittrich und ein Song auf ihrem Debüt-Album heißt ganz pragmatisch "Berlin, Berlin, Berlin". Die Stadt besingt sie als "unsterblich sexy". Auch sie nahm am ESC teil.

Die Texte der blonden Schwedin mit Sixties-Frisur und Sixties-Klamotten drehen sich meistens um ihre schönen und weniger schönen Liebschaften. Sie schreibe über ihre eigenen Fehler, aber immer so, dass man darüber lachen könne, heißt es auf Dittrichs Homepage.

Erst 2009 zog sie nach Berlin-Kreuzberg. Dort schlendert sie gerne mit Mops Ozzy über die Kiez-Flohmärkte und stöbert in Vintage-Läden. Genau wie Elif. Musikalisch ähneln sich beide mehr in ihren Texten als im Sound. "Entwaffnend ehrlich" nannte Zeit Online Dittrichs Lieder. Dazu sind sie noch humorvoll. So hüpft sie im Minikleid durch ihre knallbunten Videos. Aber anders als Elif oder Diekow macht sie Retro-Pop, also alt auf neu gemacht, mal im Sound der Sechsziger, mal der Siebziger und stets mit einer Spur Rock'n'Roll.

Der Eindruck verstärkt sich, dass die drei vor allem eins gemeinsam haben: Sie wollen die netten Mädchen von nebenan sein. Diekow und Dittrich teilen mit ihrer Musik persönliche Erlebnisse, egal, ob freudige oder traurige, in Freundschaften, Beziehungen oder in der Familie. Die Botschaft ist dabei nebensächlich. Diekow hat erst gar keine, sondern will, dass ihre Musik und ihre Texte für sich selbst sprechen. Und Dittrich will, dass ihre Musik vor allem Spaß macht.

Trotz ihrer ersten Erfolge und dem PR-Zirkus wirkt Elif authentisch. Die anderen Gäste des Restaurants schauen neugierig von ihren Lachs-Tortellini auf, als sie mit ausladenden Gesten zeigt, dass sie das, was sie singt, auch wirklich fühlt. Manchmal scheint es gar, als wäre sie den Tränen nahe. Eine klare Botschaft vermitteln die Songs nicht: "Als Künstler kann man nicht anders, als über das zu schreiben und zu singen, was man fühlt". Wenn das nur der Imagebildung dienen soll, ist sie jedenfalls gelungen.

Man ist geneigt, die drei Mädels in eine Schublade zu stecken. Sie wirken bodenständig, basteln gerne, singen mal gefühlvoll, mal spaßig. Sie sind die Mädchen von nebenan und - austauschbar. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wo Diekow mehr Indie-Pop singt, lässt Dittrich sich von Sechziger-Pop inspirieren, während Elif den klassischen, vor allem akustischen Pop-Weg geht. Trotzdem gehören sie alle zur selben Generation. Einer Generation, die Laune machen will.

Noch müssen sie sich damit allerdings in der Singer-Songwriter-Domäne behaupten, die mittlerweile von Sängern wie Tim Bendzko, Philipp Poisel oder Clueso beherrscht wird. Die stellen sich nämlich schon länger unplugged mit ihrer Gitarre auf die Bühne und singen von Gefühlen.

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