Interview mit Travis:Therapie Session

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"Why does it always rain on me?" - Travis erster großer Hit. Jetzt stehen die vier Schotten selbst im Regen: Die Band über Gruppentherapie, perfekten Pop und ihren Weg aus der Schaffenskrise.

Dirk Peitz

Es gibt kaum einen Berufsstand, der so extrem mit dem Burnout-Syndrom zu kämpfen hat, wie der des Popstars. Die Band Travis hat beispielsweise fast vier Jahre gebraucht, um ihr neues Album "The Boy With No Name" aufzunehmen. Nun ging dem Album ein Karriereknick voraus. Ihre letzte CD "12 Memories" verkaufte sich nicht einmal ansatzweise so gut, wie ihre beiden Erfolgsalben "The Man Who" und "The Invisible Band". Für Sänger Fran Healy und Bassist Dougie Payne war der Einbruch der Plattenverkäufe jedoch nur eine Begleiterscheinung der Sinn- und Schaffenskrise von Travis. Aus der hat sie nun Roxy Music-Legende und Starproduzent Brian Eno gerettet.

Britpop Band Travis: Gruppen- therapie gegen Rockstar-Burnout. (Foto: Foto: ap)

SZ: Sie haben sich fast vier Jahre Zeit gelassen, um Ihr neues Album aufzunehmen. Was haben Sie so lange getrieben?

Fran Healy: Es gibt dieses Sprichwort im Musikgeschäft: Für dein erstes Album brauchst du 23 Jahre, doch für jedes weitere geben dir die Plattenfirmen nur noch sechs Monate. Wir wollten in einen Zustand zurückkehren, wo man mal wieder eine Weile mit seinen neuen Songs leben kann. Denn nur so findet man heraus, ob sie etwas taugen - wenn sie einem nicht schon nach ein paar Wochen zum Hals heraus hängen.

SZ: Sie haben sich vor den Aufnahmen mit Brian Eno getroffen, der das Album dann aber nicht produziert hat. Was haben Sie mit dem gemacht?

Dougie Payne: Ein Experiment. Er hat unsere kreativen Geister wieder geweckt, mit seinen Eno-Taktiken. Wir haben nach ein paar Tagen mit ihm etwas absolut Wesentliches verstanden: Wir sind keine Band, deren Songs beim Probieren entstehen, wir müssen die Lieder erst schreiben.

SZ: Klingt nicht so weltbewegend.

Payne: Wir hätten da vielleicht auch selbst drauf kommen können. Sind wir aber nicht.

Healy: Eine Band ist wie ein Rennwagen, dessen Treibstoff aus Liedern besteht. Jede Band braucht hin und wieder einen Boxenstopp, da müssen neue Lieder in den Tank. Und bei uns war es nun noch anders: Brian Eno hat den Abschleppwagen gefahren, der uns überhaupt erst einmal in die Boxengasse gezogen hat. Denn um die Wahrheit zu sagen: Wir steckten vor den Aufnahmen zu "The Boy With No Name" ein bisschen in der Auslaufzone fest.

SZ: Sie sprachen von "Eno-Taktiken". Wie hat er Sie aus dem Sand gezogen?

Payne: Es gibt all diese Geschichten darüber, wie er Musikern gesagt haben soll, Leuten wie Bowie oder U2: "Jetzt spielt die Melodie mal rückwärts!" oder "Jetzt spielt die Melodie mal so, wie ein Kind sie spielen würde!". Damit sie wieder ein Gefühl für ihre Musik bekommen. So ungefähr hat er es auch mit uns gemacht. Er hat bei unseren Proben zum Beispiel Zettel bei sich gehabt, auf denen er jeweils nur ein Wort geschrieben hatte.

Healy: "Erratisch" stand auf einem.

Payne: "Mächtig", "aggressiv", "jenseitig" auf anderen. Er hatte fünfzig, sechzig dieser Zettel dabei, drückte uns jeweils einen in die Hand, und wir mussten dann entsprechend spielen. Ein anderes Mal hat er vier verschiedene Akkordfolgen in vier verschiedenen Farben an eine Tafel geschrieben, blau, rot, schwarz, weiß, und dirigierte uns: "Wir beginnen mit schwarz, Viervierteltakt, mittleres Tempo!" Also spielten wir alle diese Akkordfolge. Dann rief er "Weiss!", dann "Eine Hälfte rot, eine Hälfte blau!" und so weiter, immer schneller.

SZ: Hört sich nach Gruppentherapie an.

Healy: Das war es wohl auch. Eno schickt einem auch seltsame Botschaften. Ich habe ihn zum Beispiel mal per SMS nach einem alten Stück von ihm gefragt, seine SMS-Antwort war: "Entschuldige, mein Freund, ich bin in der Westtürkei. Viel Glück." Das ist Eno. Sensationell.

SZ: Was war dann nach dieser Therapie bei Eno der Ausgangspunkt für Ihre neue Platte?

Healy: Wir mussten erst einmal ein bisschen leben. Worüber hätten wir sonst Songs schreiben sollen? Darüber, wie erschöpft man ist, wenn man jahrelang in der Welt herumtourt? Das interessiert niemanden. Zurecht.

SZ: Das typische Rockband-Problem - irgendwann fallen einem keine Themen mehr für Songs ein?

Payne: Man muss alles erst einmal wieder entmythologisieren. Nicht gleich jeden Song als Kunstwerk andenken. Ein Song ist ja zunächst etwas völlig Banales. Das sind bloß Folgen von Tönen und Worten, die ihre Bedeutung erst später, in den Köpfen der Zuhörer bekommen. Es gibt dieses Kurt-Vonnegut-Zitat: "What's the big idea?" Er hatte recht. Es gibt keine große Idee. Die große Idee wird erst im Nachgang gemacht.

SZ: Was könnte später einmal als die große Idee von "The Boy With No Name" gelten?

Healy: Wenn unsere vorige Platte "12 Memories" unser dunkles, politisches, schwieriges Album war, dann ist das jetzt unser Versuch, wieder simple schöne Popsongs zu schreiben. Universell verständliche Texte, einfache Melodien.

Payne: Popmusik zu machen ist schwieriger, als man sich das gemeinhin vorstellt. Das ist wie Soufflé-Backen - wenn man das nicht genau auf den Punkt hinkriegt, wird alles in sich zusammenfallen. Wer Leute wie Justin Timberlake oder Christina Aguilera lächerlich findet, sollte sich das merken: Die mögen Musik mit einem Verfallsdatum machen, die übermorgen schon nichts mehr bedeuten mag. Aber für den Moment ist das einfach perfekter Pop. Die Sensibilität dafür zu behalten, was Pop ist, und trotzdem etwas zu schaffen, das so etwas wie Wahrheit besitzt und zumindest etwas überdauert - das war unser Ziel. Keine Ahnung, ob das eine große Idee ist. Uns gefällt sie jedenfalls.

© SZ v. 21.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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