Filmsynchronisation:Bequemlichkeit siegt über Wahrheit

Einst war der Film international, weil stumm. Dann kam der Ton und mit ihm die Synchronisation. Seitdem ist der gleiche Film nicht mehr derselbe, je nachdem, in welchem Land er gezeigt wird. Warum die Filmproduktion hierzulande so tut, als würde die ganze Welt deutsch sprechen.

Günter Rohrbach

In seinen Anfängen war der Film auf eine selbstverständliche Weise international. Zwar etablierte sich in der Sonne Kaliforniens schon früh eine kommerzielle Dominanz des amerikanischen Kinos, doch das Heimatland des Films, Frankreich, hielt lange Schritt, und auch der deutsche Film der frühen Jahre bewies Weltgeltung. Das globale Kino war ein offener Markt, seine Regisseure und Schauspieler überschritten problemlos nationale Grenzen. So ging der erste Schauspieler-Oscar an einen Deutschen, Emil Jannings. Und unsagbar teure Megafilme wie Fritz Langs "Nibelungen" oder "Metropolis" konnten nicht nur in Hollywood, sondern auch in Deutschland oder, wie "Napoléon" von Abel Gance, in Frankreich gedreht werden.

Das Boot - Directors Cut

Für den amerikanischen Markt ausnahmsweise synchronisiert, freilich erfolglos - "Das Boot", mit Erwin Leder als Maschinist, hier eine Szene aus "Das Boot - Directors Cut".

(Foto: WDR/Degeto)

Alle diese Filme zeichnete eine ihre Internationalität begünstigende Eigenschaft aus: Sie waren stumm. Es fehlte ihnen das drastischste Merkmal der Differenz, die Sprache. Mit der Einführung des Tons Ende der zwanziger Jahre wurde der Film nicht nur ästhetisch revolutioniert, sondern es parzellierte sich auch ein globales Medium in nationale Identitäten. Es war dies ein doppelter Schock, der heftigste in seiner kurzen Geschichte, von dem sich das Kino nie mehr ganz erholen sollte.

Am ehesten gelang es noch, die künstlerische Krise allmählich zu überwinden. Denn obwohl die Ausdruckskraft mancher Stummfilme bis heute unerreicht blieb, so hat doch die Sprache und mit ihr die zunehmend ausdifferenzierte Landschaft der Töne die Filme auch bereichert. Was aber blieb, waren die Zäune, mit denen die jeweiligen Landessprachen ihre Filme zukünftig einhegten. Das hatte vor allem wirtschaftliche Konsequenzen. Die Märkte schrumpften auf ihre individuellen Sprachräume mit dem Ergebnis, dass die Überlegenheit Hollywoods endgültig zementiert wurde. Was selbst die immerzu scheinende Sonne nicht hatte erreichen können, wurde durch die weltweite Präsenz der englischen Sprache unumstößlich. Der globale Markt gehörte fortan allein den Amerikanern.

Anfängliche Versuche, diesem Dilemma dadurch zu begegnen, dass man Filme zweisprachig drehte, erwiesen sich als wenig sinnvoll. Der Aufwand war zu groß, der Ertrag nicht angemessen. Aus dieser Not heraus entwickelte sich in einigen Ländern während der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts jene Methode, die bis heute Segen und Fluch bestimmter Filmmärkte geblieben ist: die Synchronisation. Sie hat, das muss man ihr zugestehen, Grenzen geöffnet, fremdsprachige Filme zugänglich gemacht, ihre Akzeptanz erleichtert. Zugleich hat sie Sprache als konstitutives Element filmischer Ästhetik entwertet und einen kulturellen Bruch des Weltkinos heraufbeschworen. Der gleiche Film war künftig nicht mehr derselbe, je nachdem, in welchem Land er gezeigt wurde.

Eine Sonderstellung hat von Anfang an der angelsächsische Raum eingenommen. In ihm sind Synchronisationen bis heute praktisch unbekannt. Er ist als Markt groß genug, um sich das leisten zu können. Etwa 50 Prozent des durch Filme zu generierenden Geldes fallen allein auf die USA. Mit der Schubkraft dieses Heimatmarktes hat sich das amerikanische Kino auch weltweit durchgesetzt. In seiner Zentrale Hollywood entstehen seit Jahrzehnten die Filme mit den höchsten handwerklichen Standards, der stärksten Starbesetzung, dem größten Unterhaltungswert. Filme anderer Sprachregionen werden dort schlicht nicht gebraucht. Sie haben den Status des Exotischen und bleiben in den künstlerischen Ausnahmefällen, die man immerhin akzeptiert, auf wenige Zentren beschränkt.

Dort freilich in der Originalsprache mit Untertiteln.

Der amerikanische Zuschauer weiß, dass man in Deutschland nicht englisch spricht

Die seltenen Fälle, in denen man den Versuch einer Synchronisation wagte (deutsches Beispiel "Das Boot"), sind gescheitert. Die Zuschauer bevorzugten weiterhin die Originalfassung. Dabei spielte die Tatsache, dass Lippenbewegungen und Sprache nicht wirklich übereinstimmten, eine wichtige aber nicht die entscheidende Rolle. Der amerikanische (oder englische) Zuschauer weiß, dass man in Deutschland gemeinhin nicht englisch spricht. Von diesem Wissen macht er Gebrauch. Ein Film, der etwas anderes suggeriert, erscheint ihm als das, was er ist, eine Fälschung.

Im Bewusstsein, über die Weltsprache des Kinos zu verfügen, hat sich im amerikanischen Film wie nirgends sonst sprachliche Authentizität mit idiomatischem Reichtum verbunden. Soweit die Filme in den USA spielen - und das sind ohnehin die meisten - ist in ihnen die Vielfalt der Dialekte und Akzente ebenso präsent wie das Spektrum ethnischer Besonderheiten. Unsere Synchronisationen planieren das auf ein hannoverisches Einheitsdeutsch. Spielt ein Hollywoodfilm außerhalb der USA, sind auch dann die Hauptfiguren in der Regel Amerikaner, was die Kommunikation erleichtert. Es ist wie im wirklichen Leben: Die Nebenfiguren sprechen untereinander ihr eigenes Idiom und mit den Protagonisten jenes Englisch, das ihrem Bildungsstand entspricht. Das erscheint nur konsequent, ist doch Sprache ein Teil unserer Realität. Wenn ich diese abbilden will, kann man eines ihrer wichtigsten Elemente nicht einfach ignorieren. Eine Ausnahme macht man in Hollywood freilich bei historischen Filmen. Da darf dann, wie bei Shakespeare, auch der alte Römer englisch sprechen.

Von solcher Klarheit des Stils ist der deutsche Film leider weit entfernt. Zwar arbeitet man auch hier auf der Ebene der Bilder mit äußerster Präzision, da stimmt jedes Detail, da scheut man keine Kosten, um dann im Zweifel bei der Sprache alles wieder zunichte zu machen. Sprache ist in den meisten deutschen Filmen kein selbstverständlicher Teil der Wirklichkeit. Und skandalöserweise scheinen das inzwischen alle akzeptiert zu haben, die Zuschauer, die Macher und selbst die Kritiker. Die eigenen Produktionen schreiben in fataler Konsequenz das fort, was uns die Synchronisationen ausländischer Filme vorgespiegelt haben. Überall in der Welt spricht man deutsch. Im richtigen Leben glauben das nur die Kinder.

Zugegeben, auch in anderen ehemals großen Filmländern wird fleißig synchronisiert, in Italien, Spanien, Frankreich (dort freilich nur für die Provinz). Dass man in kleineren Ländern wie Holland, Dänemark, Schweden und so weiter darauf verzichtet, hat, auch das sei nicht verschwiegen, vor allem finanzielle Gründe. Untertitel sind billiger. So verwandelt sich eine ökonomische Schwäche in eine kulturelle Stärke. Aber auch das gibt es: In der Schweiz laufen ebenso wenig die deutschen Synchronfassungen wie in den südamerikanischen Ländern die spanischen. Man zieht auch dort die Originalfassungen vor.

Nichts ist den Menschen schwerer auszutreiben als schlechte Gewohnheiten. Offenbar ist der Wunsch nach Bequemlichkeit stärker als der nach stilistischer Wahrhaftigkeit. Dennoch gibt es in einigen deutschen Großstädten inzwischen Kinos, die konsequent Originalversionen zeigen. Leider sind es, anders als in Paris, gemeinhin nicht die besten Häuser. Es wäre zu wünschen, dass sich wenigstens das langsam ändert. Im Fernsehen freilich wird man wohl weiterhin auf unseren Kinderglauben vertrauen.

Der Autor ist Film- und Fernsehproduzent ("Berlin Alexanderplatz", "Das Boot", "Schtonk", "Die weiße Massai"), war von 1965 bis 1979 Fernsehspielchef des WDR und später einige Jahre Präsident der Deutschen Filmakademie.

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