Europa und die Türkei:Was die Holländer mit der Türkei verbindet

Europa und die Türkei: Die Tulpe hat ihren namen von dem türkischen Wort "Tülbent" ("Turban"). Ausschnitt aus einem Stilleben von Ambrosius Bosschaert d. Ä. (1573-1621).

Die Tulpe hat ihren namen von dem türkischen Wort "Tülbent" ("Turban"). Ausschnitt aus einem Stilleben von Ambrosius Bosschaert d. Ä. (1573-1621).

(Foto: Public Domain)

In Tulpenliebe vereint: Wie eine zarte Pflanze zum Symbol für den kulturellen Austausch zwischen Europa und der Türkei wurde.

Von Stefan Weidner

Der Konflikt ist eskaliert zwischen der Türkei und den Niederlanden, wo an diesem Mittwoch die Parlamentswahl stattfindet. Es ging aber zwischen diesen beiden Ländern auch einmal anders zu, und wenn es ein schönes Symbol dafür gibt - und damit überhaupt für den kulturellen Austausch zwischen Europa und der Türkei -, dann ist es die Tulpe.

Ursprünglich stammt die Tulpe aus Persien, aber es waren die Türken im Osmanischen Reich, die sie erstmals in größerem Stil kultivierten. In der Mitte des 16. Jahrhunderts kamen dann die ersten Tulpen von Istanbul nach Wien, wo damals Kaiser Ferdinand I. regierte. Der Botschafter des Kaisers am Hof des Sultans in Istanbul war ein Flame namens Ogier Ghislain de Busbeque. Ihm verdankt die Tulpe auch ihren Namen: Er benannte sie nämlich nach dem türkischen Wort für Turban, Tülbent.

Die Pflanze steht für den Austausch zwischen Bosporus und Europa

In der europäischen Gartenbaukunst begann damals die sogenannte orientalische Periode, nämlich die Vorliebe für exotische Blumen. Nachdem der Botaniker Carolus Clusius, der in Wien den kaiserlichen Heilkräutergarten geleitet hatte, an die Universität Leiden berufen wurde und neue Züchtungen hervorbrachte, verfiel in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ganz Holland in eine Tulpenmanie. Im Hintergrund standen die Schönheitsideale einer neuen Weltanschauung, des Humanismus, die der gegenständlichen Welt zugewandt waren; im Vordergrund stand das gesellschaftliche Prestige. Tulpen wurden zu einem Statussymbol, die Preise für die Zwiebeln waren teilweise so viel wert wie die besten Häuser in Amsterdam. Doch 1637 brach der Tulpenmarkt plötzlich zusammen. Die Wirtschaftsgeschichte betrachtet diese niederländische Tulpenmanie als eine der ersten Spekulationsblasen des Kapitalismus.

Aber damit ist die west-östliche Geschichte der Tulpe nicht zu Ende. Die neuen Züchtungen aus Holland fanden nämlich Anfang des 18. Jahrhunderts ihren Weg zurück nach Istanbul, wo sie in höfischen Kreisen wiederum eine neue Tulpenmanie begründeten. Noch heute wird diese Epoche in der türkischen Geschichtsschreibung als "Lale Devri", das heißt "Tulpenzeit", bezeichnet.

Mit dem Frieden von Karlowitz 1699 war in Europa die Angst vor der Eroberung durch die Türken gebannt, und die Tulpe wurde das Symbol für den intensiven kulturellen Austausch, der nun anhob. In vielen Bereichen übernahmen die Türken die europäische Lebensart. Der deutsche Schriftsteller und Orientalist Friedrich Rückert dichtete später über die europäischen Kleidermoden in Istanbul ironisch: "Zum Tschako worden ist der Turban/Zur Uniform der Khaftan (...) der Sultan tanzt vor / nach russischer Pfeife."

Turbane sieht man in der Türkei gar nicht mehr, aber manche behaupten, Erdoğan tanze heute nach Putins Pfeife wie einst der Sultan nach der des Zaren. Doch in Wahrheit taugt die Tulpe nicht als Symbol für Kulturkampfrhetorik. Sie ist eine empfindliche Pflanze. Und schaut man sich an, wie sie von Osten nach Westen und wieder zurück wanderte, sich dabei wandelte und heute in beiden Kulturen zu Hause ist, dann begreift man: Die Gemeinsamkeiten zwischen der Türkei und Europa sind seit vielen Jahrhunderten größer als das Trennende.

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