Deutsches Fernsehen:Schwester, es ist das Herz

Ade, ordentlich hergestellter Fernsehkitsch: So gemütlich wie in der "Schwarzwaldklinik" wird es im deutschen Fernsehen wohl nie wieder. Schade eigentlich.

Hans Hoff

Auf den Bergen rings herum liegen bleischwer die Wolken, der Regen pladdert unaufhörlich, und doch riecht es nach Schnee. Aus den Kaminen der beschaulichen Häuschen winden sich weiße Rauchschwaden und kündigen von wohligem Sein im Inneren. Die Bäume stehen in sattem Schwarzgrün herum und schweigen.

Deutsches Fernsehen: Eine Art Naherholung für Familien in den Achtzigern: Die Schwarzwaldklinik, die mit ihrer Neuauflage 2005 nicht an den früheren Erfolg anschließen konnte. Im Bild (v.l.): Gaby Dohm, Klausjürgen Wussow und Eva Habermann.

Eine Art Naherholung für Familien in den Achtzigern: Die Schwarzwaldklinik, die mit ihrer Neuauflage 2005 nicht an den früheren Erfolg anschließen konnte. Im Bild (v.l.): Gaby Dohm, Klausjürgen Wussow und Eva Habermann.

(Foto: Foto: dpa)

Plötzlich erhebt sich aus dem Gewirr der Äste ein gruselig anmutender Bau, ein Koloss von einem Haus. Zum Tal hin zählt es sieben Geschosse und wirkt so imposant, als wolle es dem Wald und den Bergen mit seiner gemauerten Standfestigkeit Paroli bieten. Bei dieser Dezember-Witterung gäbe es eine schöne Kulisse für einen Horrorfilm der Marke Shining ab. Warte nur bis der Schnee fällt, dann werden die Messer gezückt.

"Fortbildung im Carlsbau" steht auf den gelben Schildern, die den Fahrweg bergauf zum Gebäude leiten, doch wenn man oben ankommt, verkündet über dem mit einem kitschigen Säulenportal verstellten Eingang ein verwitterter Schriftzug einen anderen Sinn. "Schwarzwaldklinik" steht dort.

Früher, in den 80er Jahren, war hier nur Sommer, wurden die Totalen vorzugsweise aus der Luft geschossen, sah alles aus wie ewiger Urlaub. Von hier kamen die Bilder, die der Republik Herz und Seele wärmten, die auch heute noch Inbegriff deutscher Fernsehseligkeit sind.

Nie wieder hat es einen Erfolg gegeben wie die Schwarzwaldklinik, die regelmäßig mehr als 20 Millionen Zuschauer vor der Glotze versammelte, nie wieder wurden dauerhaft so viele Menschen vor dem Fernseher vereint wie bei den Geschichten, die angeblich aus diesem Haus kamen, das nun im Nebel und überhaupt zum Verkauf steht.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet in diesem Herbst die Kunde von den Veräußerungsabsichten der aktuellen Besitzer die Runde machte. Vielleicht markiert der Verkauf der Schwarzwaldklinik so etwas wie eine Zeitenwende in einem Jahr, in dem das Fernsehen den letzten Rest seiner Unschuld verlor.

Nicht weil ein grantiger alter Mann einen Fernsehpreis, dessen Sinn er vielleicht zu Recht nicht verstand, ablehnte. Nicht weil er eine Pseudodebatte über schlechtes und gutes Fernsehen lostrat. Vielmehr hat es zu tun mit der dringend notwendigen Neuorientierung einer ganzen Branche, die in die Jahre gekommen ist und sich der nahen Zukunft stellen muss. Die nahe Zukunft, das ist ein komischer Drei-Stufen-Test, Fernsehen im Internet, Fernsehen in Konkurrenz zu den Googles, Twitters und YouTubes.

Ins Glottertal wird diese nahe Zukunft so schnell nicht mehr vordringen. Hier ist alles alt, brüchig und beschaulich. Rechts und links des Hauses gluckern zwei Rinnsale dem Glotterbach entgegen, in der Ferne sind ein paar Gehöfte auszumachen, und dort, wo es einst vor dem Portal um entscheidende Probleme ging, parken nun ziemlich wild jede Menge Autos und ersticken jegliche Illusion von einer Klinik.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, was Schauspieler Sascha Hehn zur Situation des Fernsehens sagt. Er spielte den "Bebop-Knaben, der seine Präpotenz zeigt".

Schwester, es ist das Herz

Hier sollen Professor Brinkmann und Schwester Christa angebandelt haben, hier soll Schwester Elke so nett gelächelt haben, hier soll Pfleger Mischa von der resoluten Oberschwester Hildegard zusammengefaltet worden sein, hier soll der flotte Professoren-Sohn Udo alle verfügbaren Herzen gebrochen haben? Es wirkt wie ein Aberwitz, der auch nicht entschärft wird durch das Metallschild, das am Eingang fast schon beiläufig vom einstigen Ruhm kündet.

Vom großen TV-Erfolg ist da die Rede, von der Wiederauflage, mit der 2005 noch einmal die einstige Idylle beschworen werden sollte. Unter dem Gesichtspunkt der Quote hat das geklappt, aber es war schon deutlich zu spüren, dass die neue Ärzte-Generation der Schwarzwaldklinik an einen anderen Ort gehört.

Danach hat es Produzent Wolfgang Rademann gut sein lassen. Er liege lieber unter Palmen als unter Fichten, hieß es, und dass er sich nach 72 Folgen und neun Staffelwiederholungen seine eigene Legende nicht kaputtmachen wolle. Der Gedanke entbehrt nicht einer gewissen Logik, denn es stellt sich doch die Frage, wie es um eine Serie namens Schwarzwaldklinik in diesen Tagen wohl bestellt wäre. Hätte sie überhaupt ein Publikum? Würde sie kaputt gespart werden? Wie stünde es um die Produktionsqualität?

Ordentlich hergesteller Fernsehkitsch

Ohne Zweifel lieferte die Schwarzwaldklinik in ihrer Zeit allen, die mit ihr zu tun hatten, einen ordentlichen Arbeitsplatz und den Zuschauern einen mit Mitteln televisionärer Handwerkskunst ordentlich hergestellten Fernsehkitsch. Es gab noch Geld fürs Programm, es gab noch Zeit. "Die Menschen hatten eine ganz andere Verantwortung, die hatten das Geld, um diesen Apparat gut zu verwalten", sagt Sascha Hehn.

Hehn, 54, hat den Udo Brinkmann gespielt, den Professorensohn, den eitlen Schönling. Oder wie es der Schauspieler selbst formuliert, "den Bebop-Knaben, der seine Präpotenz zeigt".

Redet man mit Hehn übers deutsche Fernsehen im Allgemeinen, schlägt er einen ernsten Ton an. Der Leichtfuß von einst ist heute ein empörter Beobachter. Jahrzehnte stand er im Dienst der Öffentlich-Rechtlichen, weshalb er gerne "wir" sagt, wenn er über ARD und ZDF redet. "Wir treten in einen unverständlichen Kampf mit den Privaten", sagt er und zeigt sich froh, dass er unter solchen Verhältnissen nicht mehr anfangen muss.

Als er kürzlich den Dreh für eine ARD-Show abgeschlossen hatte, konnte er nicht mehr an sich halten und sagte öffentlich, was er von der Schlagerette Musikhotel am Wolfgangsee hielt, einer törichten Billigshow: nichts. "Ich wollte es wenigstens gesagt haben", erklärt er. Seine Kritik hat ihm einen heftigen Rüffel vom damaligen ARD-Programmdirektor Günter Struve eingetragen. Dabei soll Struve, der so viele Jahre die ARD gegen jeden und alles in Schutz genommen hat, Programme wie das Musikhotel persönlich gering geschätzt haben. Als Funktionsträger warf er Hehn Verrat an den Kollegen vor. Auch das ist Fernsehen 2008 gewesen.

Verräter und Aussätzige

So wie Sascha Hehn ein Verräter ist, gilt auch Elke Heidenreich inzwischen als Aussätzige. Sie hat in einem Artikel ihre Wut über die diesjährige Fernsehpreisverleihung zum Ausdruck gebracht, hat sich über das ZDF, für das sie jahrelang tätig war, erregt und den Niedergang eines ganzen Systems beklagt.

Das war stilistisch unglücklich, zumal in Heidenreichs Fall persönliche Interessen und berechtigte Kritik zusammenzufließen schienen. Nicht ganz grundlos also trennte sich das System von der meinungsstarken Moderatorin. Die Kündigung sei Quatsch gewesen, behauptete Heidenreich schließlich, sie habe ohnehin aufhören wollen beim ZDF.

Die zwei verschiedenen Fälle Hehn und Heidenreich zeigen auch, was passiert, wenn einer kritisiert, statt sich auf den wohlbekannten, oft verlogenen Allgemeinplätzen zu ducken.

Auf der nächsten Seite: Warum die Schwarzwaldklinik in Zeiten der Wirtschaftskrise wieder aktuell ist.

Schwester, es ist das Herz

Gerd Markowitz von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg sagt: "Wir haben keine sinnvolle Verwendung mehr für das Gebäude". Das Haus im Glottertal, das in seinem Zustand so verdächtig dem deutschen Fernsehen gleicht, müsse dringend renoviert werden. Markowitz rechnet damit, dass die Schwarzwaldklinik vor Sommer 2009 in neue Hände findet.

"Das ZDF soll es kaufen", sagt Rolf Schill. Ihn trifft man, wenn man talwärts wandert, raus aus dem Nebel. Dort steht Schills Café, das man über die Klausjürgen Wussow Brücke erreicht. Schill, ein ehemaliger Friseur, bietet Devotionalien zur Serie an, auch eine Schneekugel, in die das berühmte Gebäude eingelassen wurde. Als in der "Schwarzwaldklinik" gedreht wurde - wenn auch nur die Außenszenen, der Rest entstand in Hamburger Studios - lief das Geschäft gut.

Vorne, wo jetzt das Café ist, verkaufte Schill früher Schwarzwald-Souvenirs, hinten machte er die Haare. Das lief so lala. Dann wurde die Serie ausgestrahlt, und der Friseur legte Schere und Kamm bald beiseite. "Das war wie eine Bombe", erzählt er. Der örtliche Pfarrer habe sich beschwert, dass die Menschen vor dem Fernseher saßen und Schwarzwaldklinik schauten, statt in die Kirche zu pilgern.

Schwarzwald als Reiseziel

Besonders heftig wurde es nach der Wiedervereinigung, als die Menschen aus dem Osten kamen, die natürlich heimlich mitgeschaut hatten. Am 3. Oktober 1990, dem Tag der Deutschen Einheit, zählte Schill 65 Busse vor seinem Café. Auf einmal war der Schwarzwald wieder ein Reiseziel, obwohl es zeitgemäß war, über das Waldsterben zu diskutieren.

Nun ist Wirtschaftskrise. Die Schwarzwaldklinik ist wieder ein Thema, weil die Menschen sich nach Sicherheit sehnen. Da käme eine Wärmflasche für die Seele, wie sie die Serie vielen war, vielleicht gelegen. Gerade in einem TV-Jahr, in dem die Super Nanny bei RTL erst filmen lässt, wie ein Kind geschlagen wird, um dann heroisch einzugreifen. In einem TV-Jahr, in dem Pro Sieben den Kontakt zu Außerirdischen sucht, in dem Sat1 sich zugrunde richtet mit Heuschreckenfernsehen wie Peng - Die Westernshow, in dem Pro Sieben Sat 1 einen Pharma-Manager zum Vorstandsvorsitzenden beruft. In einem TV-Jahr, in dem die mit Gebühren finanzierten Anstalten ARD und ZDF ihre Online-Ziele schamlos im eigenen Programm bewerben.

In so einem TV-Jahr, in dem der Sport die emotionalen und statistischen Höhepunkte setzte mit der Fußball-Europameisterschaft und den Olympischen Spielen, fallen der fehlende Mut, die fehlende Entwicklungskraft aller Sender auf, sich mit Qualität im unübersichtlich wachsenden, digitalisierten Markt zu behaupten. Das trifft nicht nur die Öffentlich-Rechtlichen, an denen sich so viel Wut entzündet, weil sie so viel Geld zur Verfügung gestellt bekommen und so wenig Profil liefern. Auch die kommerziellen Kanäle verändern sich zu Abspielstationen, die von Controllerhänden bedient werden.

Akzeptanzproblem von ARD und ZDF

Als sich überraschend die Chance bot, eine Qualitätsdebatte zu führen, wurde klar, dass die Fernsehbranche eines völlig abgelegt hat: den Reflex, sich selbst in Frage zu stellen. Es wäre so egal gewesen, ob der 88-jährige Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki der richtige Zeuge war, um das Fernsehen zu kritisieren. Er traf auf breite Zustimmung. Auch Hans Janke, 64, einer der klugen Programm-Manager des öffentlich-rechtlichen Systems und seit vielen Jahren für den Fernsehfilm beim ZDF verantwortlich, formulierte leise und besorgt: ARD und ZDF haben ein Akzeptanzproblem. Was sie nicht haben, aber dringend bräuchten, wäre deshalb eine vernünftige Konfliktkultur.

Mehr als 18.000 Unterschriften hat Tanja Junginger gesammelt von Menschen, die wollen, dass die Schwarzwaldklinik fortgeschrieben wird. Das ZDF und Produzent Wolfgang Rademann haben abgelehnt. Nun, sagt die 32-jährige Fanclubleiterin, "suchen wir einen Sender und einen Produzenten". Falls es Schwierigkeiten mit dem Titel gebe, könne man das Projekt "Klinik im Schwarzwald" nennen.

Neun Jahre alt war Junginger, als sie erstmals mit der Schwarzwaldklinik in Kontakt kam. "Das war ein Stück heile Welt, die ich Zuhause nicht hatte", sagt sie. In einer Zeit, die vom Wohlstandskanzler Helmut Kohl gestaltet wurde, war die Schwarzwaldklinik kreativ auf Höhe der Zeit und Symbol einer gemütlichen Gesellschaft. Boris Becker galt als Wunderkind, das Fernsehen war der Mittelpunkt der Familien. Auf schicksalhafte Weise individualisierte sich der Fernsehmarkt - getrieben von der Einführung des Privaten Rundfunks, später der Einführung neuer Medien - und die Gesellschaft. Aus dem Massenmedium wurden viele Medien für Massen.

Im Glottertal liegt nicht die Zukunft des Fernsehens, aber nach heutigen Maßstäben war modernes Fernsehen dort einmal beheimatet. Der Regen hat aufgehört, nur auf den Bergen liegen immer noch die Wolken.

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