Deutsche Kulturpolitik:Alte Meister auf einem Fleck

Deutschlands Museen verzeichnen immer mehr Besucher. Wie soll man auf das steigende Interesse reagieren? Die Berliner Kulturbeauftragten wollen alle wichtigen Werke an einem Ort vereinen - damit erheben sie die Kunst zum Spektakel. Ein fataler Schritt.

Kia Vahland

Was tun die Deutschen in ihrer Freizeit? Alles Mögliche, eines aber immer öfter: Sie gehen ins Museum. Seit beinahe zwei Jahrzehnten steigen die Besucherzahlen stetig an. Inzwischen geben die mehr als 6000 deutschen Museen und Ausstellungshäuser im Jahr 115 Millionen Tickets aus. Nur Kinos sind noch etwas beliebter. Weit hinter sich gelassen haben die Museen die Bühnenkünste und auch die großen Fußballspiele: Allein die bayerischen Museen verkaufen mehr Eintrittskarten als die Stadien der ersten und zweiten Bundesliga im ganzen Land.

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Schatzinsel des Staunens: Bald ziehen die "Alten Meister" in das Bodemuseum auf der Berliner Museumsinsel.

(Foto: dapd)

Besonders zieht es die Menschen in die Museen der Metropolen wie Berlin, München und Hamburg. Dort stehen die Kuratoren nun vor der Frage, wie sie auf das immense Besucherinteresse reagieren wollen. Die Verantwortlichen des einflussreichsten deutschen Museenverbandes, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, haben jetzt entschieden: Alle wichtigen Werke der älteren Geschichte sollen an einem Ort zu sehen sein, der Museumsinsel im Stadtzentrum. Deshalb muss die vielseitigste Altmeistersammlung in Deutschland, die Gemäldegalerie Alter Meister, ihr angestammtes Haus nahe dem Potsdamer Platz verlassen.

Jahrelang werden die Meisterwerke von Tizian, van Eyck, Hieronymus Bosch, Rubens und Giotto nur in Auswahl ausgestellt, dann soll ein Teil im Bodemuseum, ein anderer Teil in einem noch zu schaffenden Ergänzungsbau gezeigt werden. Eine der lehrreichsten und sinnlichsten Sammlungen Europas wird auseinandergerissen, um das Berliner Museumsquartier als Schatzinsel des Staunens aufzurüsten.

Das Museum als Rumpelkammer

Eine solche Fülle mag einer Nation schmeicheln, die nie eine der ganz großen Kolonialmächte war und deshalb keinen Prado, kein British Museum und keinen Louvre zusammentragen oder -stehlen konnte. Verständlich ist auch der Berliner Wunsch, die alten Wunden der Teilung zu heilen, indem man nach Jahrzehnten des Kalten Krieges alle wichtigen Sammlungen älterer und antiker Kunst so eng wie möglich zusammenführt.

Nur fügen die Politiker und Kuratoren dem Erbe nun neue Verletzungen zu: Sie zerschlagen den kunsthistorischen Kanon, der jedermann vor Augen führt, wie sich die Welt und die Sicht auf sie vom Mittelalter bis in die Moderne entwickelt hat. Anstelle von einer solchen großen, allgemein verständlichen Erzählung wird der Besucher in Berlin künftig durch Skulpturen und vielleicht auch Möbel vergangener Epochen von den Gemälden an der Wand abgelenkt. Im schlimmsten Fall obsiegt das längst überholte Rumpelkammer-Prinzip früherer Zeiten: Viel zeigen ist einfacher als viel zu erklären.

Das ist ein fatales Missverständnis. Längst geht niemand mehr ins Museum, um sich überwältigen und einschüchtern zu lassen. Die Leute haben die Ehrfurcht verloren, und das ist gut so. Kunst zu besitzen, mag ein elitäres Privileg sein. Kunst anzuschauen, zu genießen und zu verstehen aber ist dank der deutschen Kulturförderung ein Vergnügen der Massen. Immer noch gehören hierzulande die wichtigen Altmeister-Werke der Allgemeinheit: Für Raffaels Sixtinische Madonna mit den beiden kindlichen Engeln reisen Touristen zum Zwinger nach Dresden, für Rubens' wilde Löwenjagd nach München und für Caravaggios frechen nackten Amor nach Berlin. Einzige Ausnahme ist die großformatige Madonna Hans Holbeins: Dem Frankfurter Städelmuseum fehlte für einen Ankauf das Geld, doch nun ist das Gemälde in einer Privatsammlung in Schwäbisch Hall öffentlich zu sehen.

Gierige Kulturpolitik

Natürlich leiden die Museen unter der Krise der öffentlichen Kassen. Sie können nicht nur kaum noch etwas Neues erstehen, ihnen fehlen auch Geld und Zeit zur Pflege der Bestände. Viele Kustoden klagen über eine gierig gewordene Kulturpolitik, die sie von einem Ausstellungserfolg zum nächsten jagt.

Und es ist ja auch so: Sonderschauen bekannter Meister wie Sandro Botticelli oder Edvard Munch erreichen Hunderttausende. Nicht zufällig steigen die Besucherzahlen erst seit dem Epochenbruch von 1989 kontinuierlich an. Kunst, besonders die ältere, kann Orientierung geben in einer sich schnell ändernden Welt. Denn sie führt vor Augen, wie die Generationen vor uns Unbill und Glück, Verwirrung und Hoffnung erlebten - und sie erklärt dies nicht abstrakt, sondern am einzelnen Menschen.

YouTube und Caravaggio

Die Malerei der Alten kennt alle großen und kleinen Fragen, weil sie über viele Jahrhunderte das Leitmedium war. Von Michelangelo lässt sich lernen, wie man den Zumutungen der Macht trotzt, von Tizian, wie sich Schmerz und Liebe in Farbe verwandeln und von Caravaggio, wie schön ein dreckiges Leben sein kann. Oft geht es um Politik und Religion, nie aber um Propaganda: Ein guter Künstler ist immer Humanist; er will wissen, was die Umstände mit dem Menschen machen und er aus diesen. Spätestens seit der Renaissance hatten alle großen Meister im Atelier nicht mehr nur ihre Auftraggeber und Zeitgenossen im Sinn, sondern auch uns Nachgeborene. Sie wussten, dass Päpste sterben, Königreiche untergehen, aber die Leinwände, Fresken und Skulpturen der Künstler lange bleiben. Wir fühlen uns also zu Recht persönlich gemeint, wenn wir ein Museum besuchen.

Daraus folgt: Kunstwerke und ihre Besucher brauchen Raum zur Zwiesprache. Ein gelungenes Gemälde, eine durchdachte Skulptur ist wie ein alter oder neuer Freund, den möchte man auch nicht im Vorbeigehen mustern. Studien haben ergeben, dass eine klare und bescheidene Präsentation im Museum nachhaltiger wirkt als ein vollgestopfter Saal. Nicht einmal sehr ehrgeizigen Berlinbesuchern gelingt ein vollständiger Rundgang durch alle Häuser der Museumsinsel an einem einzigen Tag. Wer nun aus Großtuerei auch noch die Alten Meister hierher versetzen will, der frustriert auch das neugierigste Publikum durch Reizüberflutung. Man muss sich klarmachen, dass in den Museen der Neuzeit oft mehr Gemälde eines Künstlers nebeneinander hängen, als dieser je selbst in einem Raum gesehen hat. Nicht einmal die Herrscher der Renaissance und des Barock konnten an einem Nachmittag so viele Meisterwerke abschreiten wie wir.

Es gibt in Deutschland viele Museen, in denen der Besucher zur Ruhe kommen, sich erfreuen und etwas lernen darf: die Alte Pinakothek in München etwa, die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, die bisherige Gemäldegalerie in Berlin, aber auch kleine Häuser wie das Altenburger Lindenau-Museum in Thüringen oder das Pommersche Landesmuseum in Greifswald. Weder YouTube und Facebook noch die florierenden Virtual-Art-Projekte werden diese Institute je überflüssig machen. Denn nur das Original kann die Vergangenheit bezeugen, kein digitales Abbild und auch keine spätere Kopie. Jeder Pinselhieb, jeder Farbtupfer teilt die Absichten und Ansichten eines Künstlers mit. Sie verstehen kann jeder, der sehen kann - und den die Museen sehen lassen.

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