"Das Wundersame Leben des Timothy Green" im Kino:Land ohne Zeugungskraft

Film "Das wundersame Leben von Timothy Green" mit Jennifer Garner im Kino

Der kleine Timothy bezaubert die Greens mit seiner natürlichen Unbekümmertheit.

(Foto: dpa)

"Das Wundersame Leben des Timothy Green" bringt auf wundersame Weise die amerikanische Rezession mit der Unfruchtbarkeit eines Ehepaars zusammen. Aber der Film feiert mehr als nur eine märchenhafte Toleranz fürs Anderssein. Viel mehr - und viel weitreichender.

Von Jan Füchtjohann

Die Greens sind verzweifelt. Sie haben ein schönes Haus mit Garten, in dem gerade die Kürbisse die letzten Strahlen Herbstsonne trinken. Eigentlich wäre alles gut im Kleinstadt-Amerika, wo man die Nachbarn noch beim Vornamen kennt, ehrlich mit den Händen arbeitet, Braten mit brauner Soße isst und abends die Kinder auf ihre glänzend-roten Backen küsst.

Nur sind Jim (Joel Edgerton) und Cindy (Jennifer Garner) leider unfruchtbar. "Sie haben alles versucht", sagt die freundliche ältere Dame - wobei man gleich an Hormonbehandlungen und In-vitro-Fertilisationen denkt, aber so dreckige Worte fallen in Disney-Märchen natürlich nicht.

Und schade: Zum Adoptieren sind sie leider auch zu alt. So fahren Jim und Cindy also zurück nach Stanleyville, in die Welthauptstadt der Bleistifte, wo Jim in der Bleistiftfabrik und Cindy im Bleistiftmuseum arbeitet. Sie weinen noch ein bisschen und schreiben dann auf ein paar Zettel, wie sie es denn gern gehabt hätten, ihr Kind: Ehrlich, lustig wie Onkel Bob, Siegtore schießend und natürlich begabt wie ein Picasso am Bleistift. Diese Wünsche stecken sie in eine Kiste und vergraben sie im Garten.

Und so beginnt "Das wundersame Leben des Timothy Green". Noch in der gleichen Nacht stürmt ein Gewitter los und plötzlich wächst ein kleiner Junge (C.J. Adams) aus der Erde, mit lustigen grünen Blättern an den Beinen. Timothy ist also ein bisschen anders als andere Kinder - trotzdem bezaubert er die Greens mit seiner natürlichen Unbekümmertheit. Was man, je nach Geschmack, ein bisschen kitschig finden kann - oder rührend.

Auf jeden Fall ist es sehr traurig, als Timothy wieder gehen muss. Seine Blätter welken und fallen ab - und mit dem letzten, das versteht man bald, wird auch Timothy verschwinden. Durch ihn haben Jim und Cindy gelernt, was es heißt, eine Familie zu sein und ein Kind zu lieben - jetzt sind sie allein und untröstlich. Da fährt eine Limousine vor und ihr entsteigt ein kleines, asiatisch aussehendes Mädchen. Noch so ein Wunder: Die Adoption hat am Ende doch geklappt.

Feiert "Timothy Green" also nur märchenhafte Toleranz fürs Anderssein, das Festhalten am Wert der intakten, heterosexuellen Kleinfamilie - die zugleich großzügig für künstliche (bzw. magische) Befruchtungen und Adoptionen geöffnet wird? Nein, denn als seltener Glücksfall für die Kritiker lässt er auch noch eine andere, viel weiter gefasste Interpretation zu.

Amerika kann sich doch am eigenen Schopf aus der Misere ziehen

Tatsächlich sind nämlich nicht nur Jim und Cindy unfruchtbar, sondern auch Stanleyville, die Welthauptstadt der Bleistifte. In der Bleistiftfabrik geht es genauso bergab, wie es in den vergangenen Jahrzehnten mit der gesamten amerikanischen Industrie bergab gegangen ist: Die amerikanische Mittelschicht, zu der Jim und Cindy offensichtlich gehören, ist zu großen Teilen arbeitslos oder hoch verschuldet. Das idyllische Kleinstadt-Amerika, wo man noch ehrlich mit den Händen arbeitet, gibt es nicht mehr - was hier aus der Erde wächst, ist im Vergleich zu den Waren aus Asien einfach zu teuer.

Im Film löst Timothy dieses Problem, indem er einen neuen Design-Bleistift aus altem Laub erfindet. Er macht einfach einen Verkaufsschlager aus der verwelkenden Welt - durch eine Erfindung, die so genial ist wie der iPod. Eine ermutigende Botschaft: Amerika kann sich doch am eigenen Schopf aus der Misere ziehen.

Unterhalb dieser Oberfläche sagt der Film aber etwas anderes. Jim und Cindy bleiben ja unfruchtbar, adoptieren aber ein asiatisches Mädchen. Amerika ist zwar am Ende, heißt das: Aber es kommen doch ganz wunderbare Sachen (und Menschen) aus China. Lernen wir sie lieben.

The Odd Life of Timothy Green, USA 2012 - Regie und Buch: Peter Hedges. Kamera: John Toll. Mit Jennifer Garner, Joel Edgerton. Walt Disney, 105 Min.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: