"Before Midnight" im Kino:Tiefere Falten, kleinere Träume

Julie Delpy (links) und Ethan Hawke in Before Midnight

Celine (Julie Delpy, links) und Jesse (Ethan Hawke) in "Before Midnight": Die Vergangenheit sitzt mit am Tisch.

(Foto: PROKINO Filmverleih)

Endstation Griechenland: Julie Delpy und Ethan Hawke, die sich als Céline und Jesse in "Before Sunrise" kennengelernt und in "Before Sunset" wiedergefunden haben, sind endlich ein Paar. Als solches allerdings in "Before Midnight" im Urlaub und ernüchtert genug, um sich in perfekter Choreographie zu streiten.

Von Susan Vahabzadeh

Die Zeit ist ein Miststück, sie verstreicht erbarmungslos und ohne Rücksicht auf Verluste. Nur im Kino zeigt sie selten ihr wahres Gesicht, denn das Kino, das ist einer seiner schönsten Tricks, gaukelt uns vor, es könnte einen Augenblick konservieren. Am Ende liegt es daran, dass halb Hollywood davon besessen ist, jede Form von Alterungsprozess auch im richtigen Leben mit Spritzen, Pillen und Liftings zu unterbinden.

Die Reihe von Filmen um Celine und Jesse, die Richard Linklater 1994 mit "Before Sunrise" begonnen hat, grenzt so gesehen an Verrat: Sie schaut zwei Menschen zu, wie ihre Falten tiefer werden und ihre Träume kleiner.

Jesse (Ethan Hawke) und Celine (Julie Delpy), die sich in einem Zug von Budapest nach Wien kennenlernten, 1994, und sich nach einer Nacht trennten; sich neun Jahre später wiederbegegnen in Paris, in "Before Sunset", sind endlich zusammen. Jesse hat sich von seiner Frau scheiden lassen, seinen dreizehnjährigen Sohn Henry bringt er ganz am Anfang des dritten Films "Before Midnight" zum Flugzeug, zurück zur Mutter, er hat den Sommer mit Jesse, Celne und ihren Töchtern in Griechenland verbracht.

Celine und Jesse sind in den Vierzigern, leiden an leichten Midlife-Krisen. Wir folgen dem Paar durch den restlichen Tag bis in die Nacht, trotz Handkamera ohne die übliche Wackelei, es ist nur permanente, sanfte Bewegung in den Bildern. So geht die Zeit ans Werk, fast unmerklich.

Eine filmische Langzeitstudie, wie es sie sonst nur im Dokumentarfilm gibt, ist die Reihe geworden, eine sehr persönliche Fiktion. Linklater, Delpy und Hawke schreiben diese Saga gemeinsam fort und geben dabei jedes Mal auch einen Teil ihrer selbst preis.

Er ist immer noch der Romantiker, sie bleibt die Skeptikerin

In dem, was Celine und Jesse durchmachen, spiegeln sich die eigenen Erfahrungen, die veränderten Lebensumstände, die eigenen Ernüchterungen. Die Charaktere entwickeln sich, aber sie bleiben sich treu, Jesse ist immer noch der Romantiker, der an die Ewigkeit glaubt und an die große Liebe, Celine die Skeptikerin und Rationalistin, die immer schon berechnet, was als Nächstes kommt - selbst beim Anblick eines wunderschönen Sonnenuntergangs.

Jesse erzählt den griechischen Freunden von seinem neuen Buch. Die Frauen bereiten das Abendessen zu (die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari, die "Attenberg" gemacht hat und schon in Linklaters "Slacker" dabei war, spielt die Freundin). Die Gastgeber haben Jesse und Celine im nächsten Ort ein Hotelzimmer gemietet, es soll ein ganz besonders schöner Abend werden.

Am Tisch wird über die Zukunft philosophiert, wie wird der Cybersex aussehen, werden Computer irgendwann Romane schreiben, die besser sind als "Krieg und Frieden"? Das wäre vielleicht nur nettes Geplänkel, säße die Vergangenheit nicht mit am Tisch.

Weltanschauungen entwerfen und verwerfen

Das ist eine Schwäche dieser Fortsetzungen, ohne die sie gar nicht existieren könnten: Je weiter Linklater, Hawke und Delpy die Geschichte spinnen, desto weniger öffnet sie sich für neue Zuschauer, die damals, am Anfang, noch nicht dabei waren. Was bedeuten all diese Veränderungen schon, wenn man nicht selbst mitgealtert ist in den achtzehn Jahren zwischen der Begegnung im Zug und dem Urlaub in Griechenland?

Richard Linklater zieht es in seinen Filmen oft ins Philosophische, ins Textlastige - er hat zwar immer wieder mal großes Entertainment-Kino gemacht, "School of Rock" beispielsweise, aber er ist eher in seinem Element, wenn in seinen Geschichten Weltanschauungen entworfen und wieder verworfen werden, der Fluss der Geschichte tausend Details, Ideen und Gedanken vor sich hertreibt.

In "Before Midnight" webt er ganz meisterlich kleine Spiegelungen ein; was eigentlich erzählt uns der Ort, ausgerechnet Griechenland, über zerstörte Träume? Und Jesse: Seine Romane holt er aus seinem Leben, und man stößt im Verlauf des Films immer wieder auf seine Inspirationsquellen: die Frau, die in allem den Tod sieht, den Mann, der sich mit allem verbunden fühlt.

Es wird nichts aus der verordneten Erholungspause im Hotel, kaum ist der Druck der Funktionstüchtigkeit weg, fangen Jesse und Celine zu zanken an, hauen einander alles um die Ohren, was sie sich den Tag über, der Kinder und der Freunde wegen, verkniffen haben: Gerade jetzt, wenn ich ein gutes Jobangebot habe, willst du nach Chicago ziehen, du Chauvi . . . Wir sind damals nur deinetwegen zurück nach Europa gekommen . . . Du wirst mir ewig vorhalten, dass du meinetwegen dein Kind zurückgelassen hast, dabei wäre deine Ehe doch auch ohne mich in die Brüche gegangen . . .

In dem Stil geht es weiter, bis sie sich in eine kapitale Krise hochgeschaukelt haben. Und es beschleicht einen die Angst, dass "Before Midnight" womöglich der letzte Akt sein könnte, was dann mindestens so dramatisch wäre wie eine Scheidung im engsten Freundeskreis, wenngleich unterhaltsamer.

Beeinander angekommen

Weißt du, fragt Celine, was der Unterschied ist zwischen Frauen und Männern? Männer glauben an kleine Feen, die heimlich ihre schmutzigen Socken einsammeln und Essen machen. Du machst nur deswegen keine Musik mehr, kontert Jesse, weil du dann keine Zeit mehr hättest, acht Stunden täglich herumzunörgeln.

Die beiden sind beieinander angekommen - es gibt keine Grenze mehr für ihr Zusammensein, nirgendwo wartet ein Flugzeug, das sie wieder trennen wird. Sie sind, wo sie sein wollten: Sie kennen einander gut genug, um zu wissen, was wehtut, und sie streiten sich in perfekter Choreografie.

Before Midnight, USA 2012 - Regie: Richard Linklater. Drehbuch: Linklater, Ethan Hawke, Julie Delpy. Kamera: Christos Voudouris. Mit: Ethan Hawke, Julie Delpy, Athina Rachel Tsangari Prokino, 109 Min.

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