"Before Midnight" bei der Berlinale:Wann, wenn nicht jetzt?

Julie Delpy, Ethan Hawke und Richard Linklater präsentieren bei der Berlinale "Before Midnight", den dritten Streich ihrer Liebes-Serie. Seit der ersten Begegnung von Jesse und Celine sind zweimal neun Jahre vergangen - und aus dem federleichten Anfang ist eine wirkliche Sinnsuche geworden.

Von Tobias Kniebe

Die Umgebung muss märchenhaft sein, das war die Regel von Anfang an. In Wien, wo Jesse und Celine sich kennenlernten, war jeder Bewohner ein Bohemien, und selbst die Riesenradkabine im Prater gehörte ihnen allein. Dann das Paris, wo sie sich wiedertrafen: Henry Millers Buchladen, eine heiße Zitrone im Lieblingscafé, das Apartment mit dem schönsten Innenhof der Welt. Und jetzt, in Griechenland? Zypressen-Villa mit Meerblick, glitzernde Spätsommersonne, Tomaten aus dem eigenen Garten. Schon klar.

Jesse und Céline, gespielt von Ethan Hawke und Julie Delpy. Der Amerikaner aus Texas und die Französin aus Paris. Alles begann mit einer Zufallsbegegnung im Zug, dann kam der spontane Entschluss: Wir steigen aus, ziehen durch die Stadt bis zum nächsten Morgen, reden, diskutieren, flirten, philosophieren ohne Punkt und Komma - und je begehrenswerter wir dabei füreinander werden, desto magischer wird um uns herum die Welt. Das Wunder bei "Before Sunrise" war, dass diese Idee auch im Kino funktioniert hat - und ganz besonders für jene von uns, Mitte zwanzig, die damals das Alter der Helden hatten. So ist es, das Leben, dachten wir: voll unendlicher Möglichkeiten.

Leben, die irgendwie falsch liefen

Dann diese Wiederbegegnung, neun Jahre später in "Before Sunset". Wo der romantische Spleen von damals - keine Adressen austauschen, stattdessen ein Treffen am selben Ort, genau ein Jahr später - sich als gewaltige Dummheit entpuppte. Weil Céline, aus guten Gründen, nicht kommen konnte. Weil Jesse aber da war, und fast verzweifelte. Weil ihre beiden Leben danach irgendwie falsch liefen - er mit Kind, aber unglücklich verheiratet, sie unfähig, sich auf einen Mann wirklich einzulassen. Am Ende ihres Wiedersehens musste er zum Flughafen, zurück zur Familie. Sie sang zu Nina Simone: Hey Baby. Dann Schwarzblende, Ende, Ausgang offen.

Bis eben jetzt. Bis, wieder neun Jahre später, "Before Midnight" beginnt, und wir Zuschauer zuerst Jesse wiedersehen. Jetzt über vierzig natürlich, ergraut wie wir selbst, leicht zerfurcht. Er bringt gerade seinen Sohn zum Flugzeug, zurück nach Amerika. Der macht schon auf cool, aber in Jesses Blick liegt der Schmerz eines Vaters, der sein Kind viel zu selten sieht. Dann folgt die Kamera Jesse in Echtzeit nach draußen, wir sehen Céline im Mietwagen sitzen, und auf der Rückbank schlafen friedlich zwei blonde Mädchen, Zwillinge, die auch schon ungefähr sieben sein müssen. Er ist wohl gleich da geblieben, damals in Paris.

Der Regisseur Richard Linklater, Julie Delpy und Ethan Hawke entwerfen diese Filme zusammen, sie sind nun aneinandergekettet wie ihre Helden, sie schreiben das Schicksal von Jesse und Céline gemeinsam fort. Und man kann sich vorstellen, wie sie alle drei um das richtige Leben für diese Figuren ringen, die sie mit so vielen Menschen nun teilen. Aus dem Unternehmen ist eine wirkliche Sinnsuche geworden, eine offene Selbstbefragung, was Beziehungen heute noch sein können, wo Männer und Frauen ihren Platz auf der Welt noch finden - das sieht man jetzt.

Eine unschuldige, federleichte, nachahmenswerte Idee

Denn die Wahrheit ist ja wohl wirklich, dass alles einen Preis hat, den das Leben erst nach und nach enthüllt. Einfach keine Nummern austauschen, das schien damals in den Neunzigern so eine unschuldige, federleichte, nachahmenswerte Idee. Heute, mit Facebook und allem drum und dran, wäre es wohl gar nicht mehr möglich, auch das zeigt dieser neue Film. Wir sehen jetzt aber auch, dass Jesse und Céline dadurch wirklich neun Jahre verloren haben - und dass die Frau, die Jesse in Amerika zurückließ, ihn nun hasst wie die Pest. Sie kommt nur in Erzählungen vor, aber sie hat Macht über den Sohn, und Jesse hat ein schlechtes Gewissen - das nagt am Fundament seines Glücks.

Wir passen auf die Zwillinge auf, sagen die griechischen Freunde dann, wir haben euch, zwinker zwinker, ein Hotelzimmer spendiert. Und so hat dieses Paar auf einmal etwas, was Paare in dieser Phase des Lebens doch eigentlich gar nicht haben - Zeit, einmal wirklich zu reden. Und wieder beginnen diese langen Kamerafahrten wie in den Vorgängerfilmen, zehnminütige Dialoge, ungeschnitten, die komplett spontan und böse und lustig und mitreißend wirken und doch höchste Präzisionsarbeit sind. Man spürt darin ohne Zweifel, wie viel dieses Paar verbindet, warum Jesse und Celine noch immer für einander geschaffen sind.

Aber das Leben ist nicht mehr voll unendlicher Möglichkeiten, es ist vielmehr voll unangenehmer Entscheidungen und nicht mehr recht lösbarer Probleme, und so kippt jede aufkeimende Romantik auch schnell wieder um. Wann sollen denn die harten Fragen gestellt, der Frust auch mal rausgelassen werden, wenn nicht jetzt? Und was davon ist echt, was ist nur Show, Eskalationsdynamik, Dampfablassen, Erotik des Streits? Mitternacht rückt näher, Teelichter flackern im Glas, Wellen klatschen leise ans Hafenbecken. Da sitzen sie nun, mitten im Paradies. Und wir fürchten um sie wie noch nie zuvor.

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