Ausstellung in Berlin:Mit der Macht des Todes

Frauen und Malerei, das sei eine ganze schwierige Beziehung. Ihre "Blümchen"-Bilder seien teilweise "scheiße". Eigentlich habe sie "alles falsch gemacht". Künstlerin Valérie Favre provoziert, auch mit ihrer aktuellen Ausstellung zum Thema Suizid - und überzeugt.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Es gibt viele Wege, freiwillig aus dem Leben zu scheiden - in Berlin-Mitte sind nun die meisten davon ausgestellt. Auf Leinwänden im klassischen Bildformat, 18 mal 24 Zentimeter klein, hängen sie fein säuberlich an der Wand. Künstlerin Valérie Favre hat sie gemalt, insgesamt 129 Bilder an der Zahl. Das ist eine ganze Menge, und das ist eigentlich harter Stoff.

Dass die Ausstellung "Selbstmord - Suicide" in den Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins (nbk) an der Chausseestraße trotzdem weder billig provokativ noch unangenehm berührend, weder sentimental noch belehrend wirkt, das liegt vor allem an der Herangehensweise der Künstlerin. Die gebürtige Schweizerin, Jahrgang 1959, hat lange Zeit in Paris gelebt und unter anderem als Schauspielerin gearbeitet, bevor sie Ende der 80er Jahre zur Malerei und zehn Jahre später nach Berlin fand. Dort lehrt sie inzwischen als Professorin für Malerei an der Universität der Künste. Dementsprechend viel nüchterne Theorie gibt sie den Besuchern an die Hand, als sie ihre Ausstellung zusammen mit nbk-Direktor Marius Babias vorstellt. Dabei ist die Sache eigentlich ganz einfach: Favre hat eine kleine Kulturgeschichte des Suizids gemalt. Und das ziemlich hinreißend.

Vom Riesenrad gestürzt

"Mit Pistole", "erhängt", "im See ertrunken" oder auch "vom Riesenrad gestürzt" hat sie mit Bleistift unter die Bildchen geschrieben, auf denen die jeweilige Todesart illustriert ist - in gedeckten Farben, meist nur Schattierungen von Schwarz (Tod) und Gelb (Leben, oder auch Verglühen). Bloß kein Rot, das war ihr wichtig. Kein Blutrausch, keine Sensationsgier.

Der Moment des Todes ist mal mehr, mal weniger gut zu erkennen, bisweilen nur zu erahnen - und manchmal wüsste der Betrachter nicht, was gemeint ist, wenn es nicht drunter stünde, so abstrakt wird die Malerei an manchen Stellen. Und das ist gut so. Der Tod muss nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden, hier reicht schon die Ahnung von einem erstarrten Gesicht, einem ermatteten Körper, oder einem Unterarm, in dem eine Fixernadel steckt.

Kein Bild ist wie das andere, seit 2003 hat die Künstlerin an dem Gesamtwerk gearbeitet, das nun erstmals in Gänze zu sehen ist, an manchen Einzelbildern bis zu zwei Jahre lang. Die Mühe hat sich gelohnt: Jedes Bild erzählt, eingebettet in den großen Zyklus, noch mal eine eigene Hintergrundgeschichte.

Rund die Hälfte der Bilder zeigt nicht nur die Todesarten, sondern berühmte Personen, die mehr oder weniger freiwillig aus dem Leben geschieden sind. Darunter sowohl fiktive (Romeo und Julia, Tristan und Isolde, Thelma und Louise) als auch echte (Marilyn Monroe, Kurt Cobain, Ernest Hemingway, Mark Rothko, Alexander McQueen, Klaus Mann, Ulrike Meinhof, Adolf Hitler).

Das meiste bleibt schemenhaft angedeutet, anderes ist figürlich, zum Greifen nahe. Faszinierend ist vor allem die Vielfalt der Stilmittel, die Favre wählt.

Das Bild zum Suizid von Vincent van Gogh etwa wirkt wie ein Stillleben von ihm selbst, mit plastischem Pinselstrich; sogar das Gelb seiner Sonnenblumen erstrahlt noch mal. Ein anderes Bild erinnert an Keith Haring - die Künstlerin bedient sich an Figuren, Vorbildern und Darstellungsformen der Kunstgeschichte. So fügt sich alles zu einer großen Erzählung über das selbstgewählte Sterben. Allerdings weder gefühlig noch mahnend: Mit einer fast ironischen Distanz seziert die Künstlerin das Phänomen der Selbsttötung, die sie auch gesellschaftlich nicht bewertet sehen will.

"Ich habe nie an Selbstmord gedacht"

"Ich selbst habe für mich nie an Selbstmord gedacht", so Favre im Gespräch mit SZ.de, "aber ich habe Verständnis dafür, wenn jemand wie etwa der Schriftsteller Stefan Zweig sich wegen der Umstände zur Zeit des Nationalsozialismus umgebracht hat."

Der österreichische Schriftsteller, geboren 1881 in Wien, hatte sich 1942 in Brasilien mit Gift das Leben genommen. In seinem Abschiedsbrief schrieb der von Depressionen gequälte Zweig von einer Entscheidung "aus freiem Willen und mit klaren Sinnen". Die Zerstörung seiner geistigen Heimat Europa und seine daraus folgende Perspektivlosigkeit hätten ihm keine andere Wahl gelassen. Der Jude und erklärte Pazifist war vor den Nationalsozialisten, wie viele Schriftstellerkollegen, ins Exil geflohen. Weil er dort, im Gegensatz zu vielen Kollegen, nicht unter materieller Not zu leiden hatte, galt sein Suizid als umstritten. Trotzdem wurde er zum Symbol für die Intellektuellen im 20. Jahrhundert auf der Flucht vor der Gewaltherrschaft. Seine Frau Lotte folgte ihm nach ihn den Tod.

Politischer Akt

Der politische Akt der Selbsttötung als Ausdruck des freien Willens dürfe bei dem Thema nicht in Vergessenheit geraten, stattdessen gelte Suizid in unserer Gesellschaft als Tabu, erklärt Favre. Bei ihrer Recherche über Personen des Zeitgeschehens sei sie oft darauf gestoßen, dass die Todesursache nicht angegeben wurde. Der begründete Wille allerdings, sein Leben selbst zu beenden, sei eine der größten Freiheiten des Menschen überhaupt und sei auch in anderen Kulturkreisen und zu anderen Zeiten nicht so stigmatisiert worden wie heute, so die Künstlerin.

Darf Kunst das? Schamlos den Tod verzweifelter Menschen dokumentieren, wo sich doch andere Medien (so auch Süddeutsche.de) auch auf Bitten des Presserates darauf verständigt haben, auf Berichterstattungen über Suizide, wo möglich, zu verzichten? Schließlich belegen Studien, dass Selbsttötungen, über die in den Medien groß berichtet wird, immer wieder Anlass für Nachahmungstäter sind.

Natürlich darf sie das. Weil Kunst die Aufgabe hat, Tabus zu brechen, gesellschaftliche Diskussionen voranzutreiben bis zur Schmerzgrenze und aufzuzeigen, wo es wachzurütteln gilt. Tod, Sterben, schwere Krankheit - all das ist in unserer Gesellschaft ein Tabu. Weil es unangenehm ist. Und weil es schwierig ist bis zur Unerträglichkeit, sich damit zu beschäftigen. Jugend, Erfolg, Unbeschwertheit sind die erwünschten Eigenschaften, mit denen man sich gerne auseinandersetzt. Und doch gehört der Tod zum Leben - und wird am Ende jeden erwischen, auf welche Art auch immer.

Favre gelingt es, mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit darauf zu verweisen, dass Suizid ein Thema ist, wenn auch ein sehr persönliches. Damit wird die Diskussion darüber nicht verharmlost, sondern sie wird aus der verschämten Ecke geholt und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie stellt niemandem einen Freifahrtschein aus, plädiert aber dafür, darüber nachzudenken, ob Suizid in jedem Fall zu verteufeln ist - auch in Hinblick auf die Angehörigen, als Trost und Lichtblick.

Anti-Malerei

Die Künstlerin, die in ihrem sonstigen Œuvre gerne Anti-Helden malt, Häsinnen oder Idiotinnen, erzählt an diesem Abend auch davon, wie es ist, als Frau im Kunstbetrieb zu bestehen. Die Beziehung zwischen Malerei und Frauen sei generell eine schwierige, malende Frauen würden kaum ernst genommen. Und wenn doch, dann würden ihre Bilder schlechter bezahlt als die von Männern, aber das sei ja nun hinlänglich bekannt. Junge Männer gälten in der Szene und der Öffentlichkeit oft automatisch als "der Künstler", bei Künstlerinnen würde viel zu oft und viel zu lange darüber nachgedacht, ob sie nicht doch ein bisschen zu verrückt seien.

"Ich bin Künstlerin, ich male, und das sogar narrativ, ich mache eigentlich alles falsch", scherzt Favre. Ihre "Blümchen-Bilder" etwa im Raum nebenan (in Vorbereitung auf die Ausstellung malte sie drei Monate lang jeden Tag ein neues Stillleben eines langsam verwelkenden Blumenarrangements, von denen nun täglich ein neues in der Ausstellung gezeigt wird) seien teilweise "Scheiß-Malerei" - aber das gehöre zum Schaffensprozess, den sie hier verdeutlichen wolle.

Als "Anti-Malerei" bezeichnete nbk-Direktor Marius Babias ihre Bilder zum Abschluss, weil sie die klassischen Sehgewohnheiten der Malerei und ihrer Beschränkung auf Zweidimensionalität aufbrechen würden. Um eine Dimension zumindest sind Favres Bilder mit Sicherheit reicher: um die des Todes.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. Juli im Neuen Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128, Berlin. Dazu erscheint ein Katalog. www.nbk.org

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: