"12 Years a Slave" im Kino:Endgültige Entzauberung

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Das Elend erweist sich in "12 Years a Slave" als ausbaufähig: Vom ekelhaft scheinheiligen Ford kommt Solomon an Epps, den fleischgewordenen Wahn.

(Foto: dpa)

Wer meint, im amerikanischen Kino sei alles zur Sklaverei gesagt, irrt. Mit "12 Years a Slave" liefert Steve McQueen eine unsentimentale Analyse, mit einer gewissen Kälte und ohne Erlösung. Es könnte schon sein, dass einen danach die schamlose Phantasie von "Vom Winde verweht" erschauern lässt.

Von Susan Vahabzadeh

Die Sklaverei war im vergangenen Jahr ein wiederkehrendes Thema des amerikanischen Kinos - man braucht aber gar nicht zu glauben, es sei dazu, nach so unterschiedlichen Filmen wie Spielbergs "Lincoln" oder Tarantinos "Django Unchained", weit in der zweiten Amtszeit des ersten schwarzen Präsidenten, alles gesagt.

Steve McQueen rennt mit seinem neuen Film "12 Years a Slave" keineswegs offene Türen ein. Man merkt das schon an dem Geschepper rund um seinen Filmstart. Erst in Italien, wo man meinte, auf den Plakaten nicht den Hauptdarsteller Chiwetel Ejiofor abbilden zu müssen, sonder lieber die Blondinen Michael Fassbender und Brad Pitt, der nur kurz auftritt. Und dann bei der Preisverleihung der New Yorker Kritiker-Vereinigung, die sich bei der Zeremonie so uneins zeigte über die eigene Entscheidung - McQueen gewann dort als bester Regisseur -, dass ihre Mitglieder nun heillos zerstritten sind. Die eigentliche Besonderheit liegt aber im Film selbst: Steve McQueen entzaubert alle Vorstellungen von Südstaaten-Romantik.

Chiwetel Ejiofor spielt Solomon Northup, der als freier Mann in New York lebt - es ist 1841, er ist Violinist und kann ganz gut von der Musik leben, seine Frau und er bewegen sich in einem Umfeld, indem sie respektiert werden. Eines Tages lernt er zwei Männer kennen, die vorgeben, ihn engagieren zu wollen. Die Details werden beim Abendessen in einem Restaurant besprochen, man schenkt Solomon immer wieder nach, bis er betrunken ist - die beiden werden ihn kidnappen und in den Süden verschleppen, ihn auf einem Sklavenmarkt verkaufen. Und keines der Rechte, die Solomon in New York beanspruchen konnte, wird ihm dort nützen.

Man kann sich eine solche Geschichte nicht ausdenken - John Ridleys Drehbuch basiert auf den Memoiren einer realen Figur. Solomon Northup schrieb auf, was er tatsächlich erlebte, und es hat andere solche Fälle gegeben in den Jahrzehnten, bevor 1865 Abraham Lincoln jenen Zusatz zur Verfassung durchsetzte, der die Sklaverei überall in den Vereinigten Staaten verbot. Es ist ein Albtraum, in dem Solomon sich wiederfindet, aus der einen Welt hinausgerissen und über Nacht in eine andere hineinkatapultiert, die er nur vom Hörensagen kennt.

Ekelhaft scheinheilig

Es wurden noch andere mit ihm verschleppt, einer von ihnen ist entlaufen und wird bald abgeholt, schnell ist Solomon weg von allen, die um seine Identität wissen. Weil er Geige spielen kann, kauft ihn der Plantagenbesitzer Ford (Benedict Cumberbatch), der einem auf den ersten Blick als recht milder Geist erscheint. Es ist auch eine junge Frau im Angebot, der man gerade ihre Kinder wegnimmt, um sie anderweitig zu verkaufen - Ford will das verhindern, aber er bekommt den Zuschlag nicht, nimmt dann nur die Mutter mit. Wie gescheit und gebildet Solomon ist, merkt und nutzt Ford, versucht Solomon gegen den Hass seiner weißen Sklaventreiber, den er so auf sich zieht, zu beschützen.

McQueen erzählt in perfekt durchgestalteten Bildern, denen immer eine gewisse Kälte anhaftet, das Arrangement unsentimentaler Analyse. Der weiche Ford ist darin nach einer Weile nicht mehr als ekelhaft scheinheilig, sein vermeintlicher Gerechtigkeitssinn, seine menschlichen Gefühle nichts als Schwäche, die dem grauenhaften System, in dem er lebt, nichts entgegenzusetzen haben. In der Figur, die Cumberbatch spielt, enden alle Vorstellungen von einem verantwortungsvollen Feudalherrn, einem gerechten Patriarchen: Es kann nicht das Richtige im Falschen geben.

Das Elend erweist sich als ausbaufähig. Weil Ford um Solomons Leben fürchtet, gibt er ihn weiter an einen Nachbarn, Epps, der einzige, der den verrufenen Solomon aufnehmen will. Epps wird von Michael Fassbender gespielt, der in allen Filmen McQueens zentrale Figuren verkörpert, unterschiedliche Varianten unbeherrschbarer Irrationalität: den IRA-Terroristen, der sich zu Tode hungert in "Hunger", den Sexbesessenen, der keine menschliche Bindung zulassen kann in "Shame". Nun ist er der fleischgewordene Wahn, das Gegenstück zu Ford - was ein wenig von einer Versuchsanordnung hat. Epps ist ein von Komplexen und Unglück, verbotenen Begierden und Enttäuschung zerfressener Mann. Er lässt seinen Trieben freien Lauf, und was sich auf seiner Plantage abspielt, von Epps angeordnete nächtliche Feiern beispielsweise, groteske Eifersüchteleien zwischen Epps' Frau und der Sklavin, die er missbraucht - das ist dann genau die richtige Vorlage für McQueen, hier kann er die Geschehnisse ins Artifizielle, Bizarre treiben und ihnen so Bilder und Szenen abringen, die man so schnell nicht vergisst.

Als Folterporno hat ein Kritiker "12 Years a Slave" bezeichnet und McQueen beschimpft. Dass der Film solche Reaktionen hervorruft, liegt vielleicht daran, dass die komische Splatter-Gewalt in "Django Unchained" viel besser auszuhalten ist - schon weil dort das Böse bestraft wird. Soviel Erlösung hat McQueen nicht zu bieten. Solomon gelingt die Flucht, sonst hätte er seine Geschichte ja nicht aufschreiben können. Aber er lässt dabei die anderen zurück, die Sklaverei wird noch weitere 12 Jahre die Plantagen des Südens am Laufen halten.

"12 Years a Slave" ist nicht annähernd so stilisiert in seinen Bildern wie die beiden ersten Filme McQueens, der aus der bildenden Kunst kommt - dieser hier sieht, an der Oberfläche, aus wie klassisches Hollywood. Aber er sieht eben nur so aus - es könnte schon sein, dass einen nach "12 Years a Slave" die schamlose Phantasie von "Vom Winde verweht" erschauern lässt.

12 Years a Slave, GB/USA 2013 - Regie: Steve McQueen. Drehbuch: John Ridley. Kamera: Sean Bobbitt. Mit: Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Benedict Cumberbatch. Tobis, 134 Minuten.

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