... und nun das Wetter:Kennzeichen Dauerfrost

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... Überall spürest Du den den kalten Hauch der Harmonie. Deutschland hat sein Wetter gefunden: Warm sind die Herzen - die Kälte bleibt draußen.

CHRISTIAN KORTMANN

Wenn per Volksabstimmung über das Wetter entschieden würde, dann entfiele die absolute Mehrheit auf 365 Tage Hochsommer pro Jahr.

Es ist die kühle Eleganz des Dauerfrostes, die dem Land gut steht. (Foto: N/A)

Die Menschen neigen nun mal dazu, die mitteleuropäischen Gegebenheiten zu ignorieren und in lauten Wetterklagen konstante Mediterranität auch nördlich der Alpen einzufordern.

Im Jahrhundertsommer 2003 verwandelte sich Deutschland in eine einzige Riviera, und da will man seither wieder hin: Ein ehrgeiziges Ziel, und die wachsenden Wälder von Heizstrahlern auf Caféterrassen künden davon, dass man notfalls auch bereit ist, die Wetterwirklichkeit technisch zu beugen.

In diesen Tagen liegt ein weißes Tuch aus Schnee über dem Land, derart flächendeckend, dass man im Wetterbericht schon danach fragte, an welchem Ort kein Schnee liegt.

Man bedauert, dass es nun wieder milder wird, denn endlich hatte das Land sein ihm eigenes Wetter gefunden: Der Hochsommer ist es nämlich nicht, kein Beethoven hätte da auf Dauer komponiert, kein Brinkmann gedichtet; es ist die kühle Eleganz des Dauerfrostes, die dem Land gut steht.

Deutschland leuchtet im Schnee, als hätte ein Beamter seinen langweiligen grauen Beamtenanzug aus- und einen weißen Designeranzug angezogen.

Neben diesem ästhetischen Eindruck, den man bekommen kann, wenn man mit dem Zug durchs Land rollt und über die weiten weißen Hügellandschaften mit ihren dunklen Tannen-, hellen Birkenwäldern und kaminrauchvernebelten Dörfern blickt, hat der Aggregatzustand eines Landes im Idealwetter auch lebenspraktische Konsequenzen, etwa für den Straßenverkehr: Da, wo man so klug ist, einen weißen Winterdienst einzurichten, also eine Schneedecke auf der Straße zu belassen, fahren Autofahrer weniger aggressiv als üblich, was im Land der Raser und Drängler eine sofortige Verbesserung der Lebensqualität mit sich bringt.

Und man muss ja nur aus dem Fenster blicken: Da ist dieses tolle Licht des reflektierenden Schnees, des größten aller Verpackungskünstler, das einen bis in die Wohnung hinein wärmt und das nachweisbar den Stromverbrauch für elektrisches Licht absenkt.

Es ist die pure Freude, die wärmende Präsenz des eigenen Körpers zu spüren, wenn Schnee im Sonnenlicht wie Diamantstaub glitzert und jeder Schritt satt knirscht. Die anhaltende Kälte bringt auch passionierte Sonnenanbeter dazu, ihre Faszination für den Frost nicht länger zu verbergen: Staunend spricht man vom Funtensee im Nationalpark Berchtesgaden, der dank dieses Winters bundesweit bekannt wurde.

Er firmiert auf Kachelmanns Wetterkarte und ist aufgrund seiner außergewöhnlichen Topographie für Kälterekorde gut: Hier geht es auf minus 40 Grad und tiefer hinab.

Nicht mehr lange, dann wird am Funtensee wohl der Kältetourismus losbrechen.

In besonderer Weise vom Prachtwinter zu profitieren hatten die Amateure des FC Bayern München gehofft und im DFB-Pokal-Viertelfinale den SV Werder Bremen ins Stadion an der Grünwalder Straße geladen, wo man auf einer plattgewalzten Schneedecke spielte.

Den verwöhnten Profis sollte das Leben so schwer wie möglich gemacht werden, doch jedweder Heimvorteil wurde vom Schnee neutralisiert, jede Rivalität vom Eis auf ein ziviles Maß heruntergekühlt: Die Fans lachten über die Ausrutscher der eigenen wie der gegnerischen Spieler, und sogar der Applaus der Massen bekam durch die akustische Dämpfung der Handschuhe etwas drollig Skandinavisches.

Dazu passt, dass man in der Winterhauptstadt München jetzt auf Langlaufskiern entlang der Isar in die Stadt läuft. Wo der Deutsche den Südländer immer nur spielt, ist er skandinavisch auf natürliche Art: Prosecco und Tapas werden importiert, die Pullover und Langlaufskier hat man zu Hause im Schrank.

Kommt es einem nur so vor, oder wird zurzeit wirklich weniger gelärmt und herumgeschrien? Weit und breit keine halbnackten sommerlichen Superhitze-Aggressionen. Statt dessen leise Lodenmäntel und überall Schnee, der Schallschlucker: Der Anblick von zu Boden schwebenden Flocken, das ist, als könnte man das Geräusch der Stille sehen.

Wie sehr man sich in der Eiswüste, in die sich Deutschland über weite Strecken verwandelt hat, geborgen fühlen kann, verdeutlicht eine einfache Übung: einmal mit eigenen Händen ein Iglu bauen, sich reinlegen und die Augen schließen. Dann spürt man den kalten Hauch der Harmonie.

© SZ v. 09.03.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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