100. Todestag von Konrad Duden:Angefressen vom Analogkäse

Wörter des Jahrzehnts: Im 100. Todesjahr Konrad Dudens hat der Dudenverlag ein Wörterverzeichnis veröffentlicht, das die Aufmerksamkeit auf den Sprachwandel lenkt. Manches würde man ungern vermissen: "Austicken" zum Beispiel - und das "Schnackseln" wohl auch.

Jens Bisky

Als Konrad Duden am 1. August 1911 starb, hatte der seit Jahren pensionierte Gymnasialdirektor das Manuskript für die neunte Auflage seines "Orthographischen Wörterbuchs" beinahe vollendet. Sie erschien 1915 unter dem neuen Namen "Duden - Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter". Bis heute weiß jedes Schulkind in Deutschland, was ein "Duden" ist.

Konrad Duden

1915 erschien der "Duden - Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter". Bis heute weiß jedes Schulkind in Deutschland, was ein "Duden" ist.

(Foto: dpa)

Der Ruhm anderer, wie etwa der des Philologen Georg Büchmann, dessen Sammlung "Geflügelter Worte" als "Büchmann" bekannt wurde, verblasst allmählich. Aber die wichtigste Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung bleibt der "Duden".

Dessen Autorität haben selbst die Wirren und Debatten im Gefolge der Rechtschreibreform nicht gefährden können. 135.000 Stichwörter verzeichnet die aktuelle, die 25. Auflage. Der "Urduden" aus dem Jahr 1880 kam mit einem Fünftel, mit rund 27.000 Stichwörtern aus. Eine Mark kosteten damals die 187 Seiten des "Vollständigen Orthographischen Wörterbuchs der deutschen Sprache". In nur sieben Jahren wurden etwa 220.000 Exemplare verkauft.

Konrad Duden hatte also ein Bedürfnis der Zeit richtig erkannt. Früh hatte er beklagt, dass nicht zwei Lehrer einer Schule und nicht "zwei Korrektoren derselben Offizin" in allen Stücken einig waren über die Rechtschreibung. Eine Autorität, die man in strittigen Fällen hätte anrufen können, gab es nicht. So begann er als Gymnasialdirektor im thüringischen Schleiz - er wirkte dort von 1869 bis 1876 -, Regeln zusammenzustellen.

Grob gesprochen standen sich damals zwei gleich gut begründete, in sich konsequente Auffassungen gegenüber: das historisch-etymologische Prinzip und das phonetische Prinzip. Konrad Duden hing dem letzteren an, es schien demokratischer. Setzte man es konsequent um, dann würde jeder, der richtig sprechen könne, auch imstande sein, richtig zu schreiben. Eine erste staatliche Konferenz, die größere Einheitlichkeit in der Rechtschreibung herbeiführen sollte, scheiterte 1876 am Einspruch des traditionsbewussten Reichskanzlers Otto von Bismarck.

Auf der Höhe der Zeit

Konrad Duden zog im Jahr 1876 ins osthessische Bad Hersfeld. Als Direktor des dortigen Königlichen Gymnasiums konnte er jene Zusammenarbeit mit der preußischen Schulverwaltung besser organisieren, ohne die durchschlagende Erfolge kaum möglich waren.

Sein "Orthographisches Wörterbuch" folgte den für die preußischen und bayerischen Schulen verbindlichen Regeln, verzeichnete aber auch Varianten. Da stand "Accent" neben "Akzent", "Schikane" neben "Chicane", "außer Stande" neben "außerstande". Aber eine Grundlage war gewonnen.

Im Juni 1901 verständigte sich die II. Orthographische Konferenz auf einheitliche Regeln. Als im Jahr darauf ihre Ergebnisse veröffentlich wurden, erschien die siebente, dem neuen Regelwerk entsprechende Auflage des "Orthographischen Wörterbuchs" von Konrad Duden. Er war auf der Höhe der Zeit.

Kurz vor seinem 100. Todestag hat der Dudenverlag nun ein schmales Wörterverzeichnis veröffentlicht, das die Aufmerksamkeit nicht auf orthographische Streitfälle, sondern auf den Sprachwandel lenkt (Unsere Wörter des Jahrzehnts. 2000-2010. Chai-Latte, Ego-Googlen und Ich-AG. Dudenverlag, Mannheim, Zürich 2011. 80 Seiten, 5 Euro).

Von "abfrühstücken" bis "zwischenparken" sind hier Wörter verzeichnet, die im zurückliegenden Jahrzehnt Aufnahme in den "Duden" fanden. Sprache wandelt sich zwar ständig, aber doch meist im Schneckentempo. Nur im Wortschatz geht es einigermaßen zügig voran: Neologismen entstehen, andere Wörter versinken allmählich und werden zu Archaismen wie das "Beinkleid" und die "Jungfer".

Die Neologismen des vorigen Jahrzehnts dienen, wie die neuen Wörter der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts, überwiegend der Benennung neuer Realitäten. Die digitale Revolution hat ebenso ihre Spuren hinterlassen ("App", "E- Book", "Ego-Googeln") wie die Wiedervereinigung ("Ampelmännchen", "Ostalgie") und Veränderungen im Lebensstil ("Billigflieger", Caffè Latte","Hüftgold", "Lebenspartnerschaft").

Ausgewählt werden die Wörter, indem große Textmengen nach bislang unbekannten durchsucht werden. Treten sie häufig, über einen längeren Zeitraum und in verschiedenen Textsorten auf, gilt dies als Beleg, dass sie "in aller Munde" seien.

Man fragt sich beim Blättern, wie lange der "Heuschreckenkapitalismus" und die "Abwrackprämie" sich halten werden und ob "Alcopops" ihre beste Zeit nicht schon hinter sich haben - so wie das "Weichei" und der "Warmduscher".

Unschönes, nicht sehr kräftiges Vokabular

Die neuen Wörter sind überwiegend Substantive, häufig aus dem Englischen entlehnt - ein meist unschönes, nicht sehr kräftiges Vokabular. Das ist anders in Fällen wie "fluffig" - aus dem Englischen, aber beinahe lautmalerisch und mithin reizvoll - oder "wuschig". "Dissen" - im Sinne von schmähen, verächtlich machen - würde man ungern vermissen, und das "Schnackseln" wohl auch. "Austicken" ist so schwer zu ersetzen wie "angefressen".

Aber warum sind "quarzen" (stark rauchen) und "ratzfatz" (sehr schnell) erst so spät in den "Duden" gekommen? Und wer, bitte, benutzt das in jeder Hinsicht schwache Verb "austillen"? Das soll so etwas wie "durchdrehen" bedeuten. Da hätte man gern erfahren, von wannen dieses Wort uns zugeflogen. "Meine Bekannte ist seit heute Morgen am Toben und Austillen" - der Beispielsatz reizt dazu, sich ihr anzuschließen.

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