34.000 Jahre Kunst:Nichts berühren! Nicht atmen!

Das bestgehütete Geheimnis seit der Eiszeit: Ein Besuch in der Höhle von Chauvet, die 1994 entdeckt wurde und die vielleicht ältesten Malereien verbirgt.

Von Dietlind Lerner

Tief in den Kalksteinfelsen der Auvergne im südöstlichen Frankreich liegt über der Ardèche der Eingang zur Höhle von Chauvet, deren bis zu 34.000 Jahre alte Malereien deutlich älter sind als diejenigen in Altamira (15.000 Jahre) oder Lascaux (17.000 Jahre).

34.000 Jahre Kunst: Bilder aus der Höhle von Chavet waren kürzlich in einer arte-Sendung zu sehen: Ein Wissenschaftler analysiert in der Chauvet-Höhle eine Wandmalerei.

Bilder aus der Höhle von Chavet waren kürzlich in einer arte-Sendung zu sehen: Ein Wissenschaftler analysiert in der Chauvet-Höhle eine Wandmalerei.

(Foto: Foto: dpa/ARTE France, Sendeanstalt/Copyright)

Die Höhle wurde am 18.Dezember 1994 durch ein Trio von Amateurforschern entdeckt und ist seither für die Öffentlichkeit gesperrt. Nur einige Wenige dürfen seither Chauvet besichtigen - doch nichts darf berührt werden: Weder die 447 Tiermalereien an den Wänden, noch die 83 auf dem Boden liegenden Bärenschädel, noch die über 4000 Fußabdrücke, die im Boden erhalten geblieben sind.

Prekäre ökologischen Verhältnisse

Die ökologischen Verhältnisse in der 500 Meter tiefen Höhle sind so prekär, dass sogar das Atmen eingeschränkt werden muss. Um die genaue Menge von Kohlendioxid zu erhalten, auf die die Malereien für ihren Fortbestand angewiesen ist, dürfen nicht mehr als zehn Leute für maximal acht Stunden hinein.

Ein Chauvet-Forscher, Philippe Fosse, erinnert sich daran, wie er sich anfangs fragte: "Wie sollen wir arbeiten, wenn wir nichts anfassen dürfen?"

Von Menschen wurde Chauvet zuletzt in der Eiszeit besucht. Vor 24.000 Jahren stürzten die Felsen über der Höhle vor deren großen Eingang und verschlossen sie. Insekten besuchten die Höhle während der folgenden Jahrtausende, und bis 1994 war's das.

Nach einer Reihe von Streitigkeiten um die Rechte an Chauvet dauerte es zwei Jahre, bis die französische Regierung ein dreißigköpfiges Forscherteam zusammenstellen konnte, das die Höhle untersuchen soll. Doch wegen der extremen Sicherheitsvorkehrungen hat selbst dieses Chauvet-Forscherteam nur zwei Mal zwei Wochen im Jahr Zeit, um die Höhle zu studieren.

Ein typischer Forschungstag beginnt kurz bevor die Sonne über den Hügeln um Chauvet aufgeht. Der Höhleneingang liegt eine gute halbe Stunde Fußmarsch von dem schmucklosen Aufenthalts-Center, in dem die Forschungsgruppe unter einem überhängenden Felsmassiv wohnt.

Valerie Feruglio, eine 39-jährige Kunsthistorikerin, erinnert sich an ihren ersten Besuch: "Wir hatten alle schon Bilder von Chauvet gesehen, aber als ich endlich selber hinkam, war es viel beeindruckender, als ich erwartet hatte.

Die Kunstwerke waren so emotional, es war, als ob ich eine Zeichnung von Leonardo anschaute - und dabei fühlte, wie er sie anfertigte. In Chauvet fühlt man sich dem Künstler so nahe."

Die Bilder stellen keine Menschen dar, dafür gibt es 14 verschiedene Tierarten - Löwen, Nashörner, Mammuts, Pferde, Panther, Eulen und Bären, die oft in Gruppen und gewöhnlich in Bewegung abgebildet sind.

"Dieser Künstler war sehr feinfühlig"

Die Tiere sind nicht bloße Symbole - sie leben, atmen und zeigen Gefühle. Valerie Feruglio sagt es so: "Die Tafeln leben, jedes Tier hat sein eigenes Leben, und es gibt Bewegung, eine echte Geschichte. Was fest steht, ist, dass dieser Künstler sehr feinfühlig war."

Und über eine überraschend fortschrittliche Technik verfügte. Bis vor kurzem wurde von den Kunsthistorikern angenommen, dass es in der prähistorischen Kunst eine allmähliche Entwicklung gab. Man nahm an, dass sich Fähigkeiten wie Komposition, Perspektive, Schattierung und Kenntnis der Anatomie über Jahrhunderte hinweg fortbildeten.

Als Chauvet entdeckt wurde, sagte Frankreichs Kulturminister, dass die Malereien wohl zwischen 22.000 und 19.000 Jahre alt seien. Doch dann wurden Kohlereste gefunden, die eine Datierung zwischen 34.000 und 25.000 Jahren nahe legten - die Kunstwelt war verblüfft.

Nichts berühren! Nicht atmen!

Die Experten wollen herausfinden, wie die Malereien von Chauvet ausgeführt wurden: Wie viele Künstler gab es? Wie viel Zeit brauchten sie für ihre Werke? Waren die Malereien vorher schon entworfen worden?

Im Labor sind schon einige faszinierende Ergebnisse ans Licht gekommen: Man hat viele Kratzspuren gefunden, die darauf hinweisen, dass die Künstler die Oberfläche der Wand mit der Hand sauber gerieben haben, bevor sie sich an die Arbeit machten.

Das zeigt, dass vor Jahrtausenden irgendwo in der Wildnis, die einmal Frankreich werden würde, Menschen daran interessiert waren, dass ihr Werk von hoher Qualität war. Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn es ihnen nur darum gegangen wäre, ein einfaches Abbild zu erschaffen.

Und obwohl es Kleckse gibt, wo die Künstler kleine Korrekturen anbrachten, wurden die Werke zum Großteil mit nur wenigen späteren Veränderungen gemalt, was dafür spricht, dass die Künstler wussten, was sie machten, bevor sie ihre Arbeit begannen.

"Wie kommen all die Bärenknochen hierher?"

Prähistoriker Bernard Gilly verbringt viel Zeit damit, über die künstlerischen Entscheidungen nachzudenken, die in Chauvet getroffen wurden. So sei das Mammut die bevorzugte Nahrung für die Bewohner jener Zeit gewesen - und es war ein riesiges Tier.

"Doch in Chauvet ist das Mammut immer in Weiß abgebildet, nie in den dominanteren Farben Rot oder Schwarz, und es ist immer kleiner gemalt als die anderen Tiere, die in Wirklichkeit kleiner als das Mammut waren."

Die in der Höhle verstreuten Knochen stellen Bernard Gilly vor ein weiteres Rätsel. "Es gibt Bärenknochen, aber keine Mammutknochen. Die Menschen aßen viel Mammut, wo also sind die Knochen? Und wie kommen all die Bärenknochen hierher?"

Dann fügt er hinzu: "Und warum gibt es in einigen Teilen der Höhle so viele Bilder und in anderen gar keine? Was bedeuten die Bilder, welche ist die Motivation dahinter? Es hört nie auf: Je mehr wir erfahren, desto größer wird die Zahl der Fragen."

Der Archäologe Philippe Fosse wird wegen seines Spezialgebiets "der Bärenmann" genannt. Fosse und seine Kollegen haben insgesamt 3700 Tierknochen gefunden.

Die Knochen sind über die ganze Höhle verstreut, und es gibt eine Theorie, nach der Menschen die Knochen dazu benutzt haben könnten, um sich in der Höhle zu orientieren oder - ein bisschen wie Hänsel und Gretel - um den Weg zurück zu einem bestimmten Ort zu finden.

Und dann ist da die Sache mit dem "Bärenaltar". In der Mitte der so genannten "Schädelhalle", wo die Decke sehr niedrig ist und lauter Stalaktiten sind, wurde ein Bärenschädel auf einen großen, von der Decke gefallenen Felsen gelegt.

Es sieht so aus, als ob ihn jemand aus einem bestimmten Grund dorthin gelegt hat, aber natürlich ist das Spekulation.

Eine der sensationellsten Entdeckungen in Chauvet hat nichts mit Künstlern zu tun, sondern mit Gefühlen. Michel Garcia, der die Fuß- und Pfotenspuren in Chauvets feuchtem Lehmboden untersucht, glaubt Spuren von einem prähistorischem Hund gefunden zu haben. Vor der Entdeckung von Chauvet glaubte man, die frühesten Hundespuren in Deutschland gefunden zu haben; sie sind etwa 14.000 Jahre alt.

26.000 Jahre alte Fußspuren

Garcia glaubt, dass die von ihm entdeckten Spuren rund 26.000 Jahre alt sind. Garcia hat auch über achtzig Fußabdrücke von Menschen gefunden, deren Maße ihn zu der Annahme führen, dass es sich um einen etwa zehn Jahre alten Jungen handelte, der barfuß ging.

Möglicherweise hatte er den Hund dabei, denn die Hundespuren und die des Jungen greifen ineinander.

Bis jetzt hat Garcia nur Spuren gefunden, bei denen der Abdruck des Hundes auf dem des Jungen lag. Wenn er das Gegenteil findet, wird er einen Hinweis darauf haben, dass der Junge und der Hund die Höhle zusammen besucht haben. Die Geschichte des Menschen und seines treuen Begleiters wäre dann fast genauso alt wie die des modernen (Kultur-)Menschen.

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