70. Geburtstag von Christopher Walken:Ein Mann, der sich verschenkt

Christopher Walken

Christopher Walken in Steven Spielbergs "Catch Me If You Can".

(Foto: imago stock&people)

Als Teenager schloss sich Christopher Walken einem Zirkus an und wurde Löwenbändiger. Irgendwie passt das. Seither gab er den steppenden Zuhälter, immer wieder den Psychopathen. Er kam einfach, wenn er Zeit hatte, er hinterfragte und kontrollierte seine Rollen nicht. Nun wird Walken, ein wirklicher Meister, 70 Jahre alt.

Von Tobias Kniebe

Eine seiner schönsten Rollen hat er erst voriges Jahr gespielt, in Martin McDonaghs Gangsterballade "7 Psychos". Christopher Walken ist einer von ihnen, aber sein Wahnsinn liegt Jahre zurück. Jetzt will er nur noch für seine Frau sorgen, die auf eine Operation wartet, die gläubig ist und einmal sehr wütend wird und sagt, Gott müsse verrückt sein. Walken wiegt in dieser Szene nur den Kopf, fast unmerklich, voller Mitgefühl und Verständnis für Gott. "Bastard killed his kid, too", sagt er.

Aber wie er das sagt, mit zärtlichem, brüchigem Mitgefühl in der Stimme; wie man spürt, dass er und seine Frau wohl selbst ein Kind verloren haben; und wie er uns, den Zuschauern, dabei direkt in die Augen schaut - das vergisst man nicht mehr. Da lässt uns ein wirklicher Meister in die Seele seiner Figur blicken - und weil diese Seele ganz frei von Hass und Zynismus ist, hat auch Christopher Walken sein Inneres praktisch leergeräumt. Er weiß jetzt nur noch das, und er glaubt jetzt nur noch das, was die Sätze verraten, die er spricht.

Mehr als sechzig Jahre arbeitet Walken nun schon im Showgeschäft, und man spürt, wie er tatsächlich immer besser wurde, wie er mit jedem Jahr noch etwas Entscheidendes dazugelernt hat. Geboren 1943 in Astoria, Queens, schottische Mutter, deutscher Vater, stand er schon als Fünfjähriger vor der Kamera und machte Variety-Shows im Fernsehen. Aus dieser Zeit kann er auch tanzen und steppen, im Grunde sind all seine Bewegungen tänzerisch, aber wenn diese langen Beine wirklich mal loslegen, gibt es kein Halten mehr. Herbert Ross wusste das zu nutzen in einer grandiosen Bordellsequenz, Walken als tanzender, sogar strippender Zuhälter auf dem Billardtisch in "Pennies from Heaven". Spike Jonze hat dieses Talent dann, für eine neue Generation, im Videoclip zu Fatboy Slims "Weapon of Choice" noch einmal atemberaubend eingefangen.

Als Teenager schloss sich Walken einem Zirkus an und wurde Löwenbändiger, und irgendwie passt das - sein Profil, auch seine wilden Haare hatten schon immer etwas Löwenhaftes. Es sei aber nur ein einziger, alter, längst gebändigter Löwe gewesen, sagt er selbst, der sich mehr wie ein Hund benommen habe. Das College brach er ab, als die erste Broadway-Rolle kam, es folgte eine Tourprodukion der "West Side Story" - und das Mädchen, das darin seine Freundin spielte, wurde dann gleich seine Frau. Sie ist es bis heute.

Da flutet dann echte Wärme durch den Raum

Es gibt da also eine Verlässlichkeit und eine Ruhe in seinem Charakter, die all die gefährlich zerrütteten Rollen wohl erst ermöglicht haben, die dann kommen sollten. Denn die Aura, die ihn von Anfang an umgab, hat er einmal selbst als "natürliche Fremdheit" beschrieben: "Es ist sehr schwer für mich, einen ganz normalen Kerl zu spielen." Diese wasserklaren grünen Augen zum Beispiel, die wie fiebrig zu glänzen scheinen - sie können einem schon das Blut gefrieren lassen, wenn der Rest des Gesichts noch völlig ausdruckslos ist. Umso dramatischer wirkt es, wenn er etwa in David Cronenbergs "Dead Zone" plötzlich wirklich lächelt - da flutet dann echte Wärme durch den Raum.

Zugleich wirkt er dünnhäutig, zerbrechlich, hochsensibel - ein Seismograf für all die Schrecken um ihn herum. Real daran ist seine Durchlässigkeit, die sein ganzes Schaffen prägt. Michael Cimino hat das bei "The Deer Hunter" sehr genau gesehen, gerade in der Art, wie er Walken in den Kriegsszenen in Vietnam mit Robert De Niro kontrastiert. De Niro, der gerissene Stratege, der eiskalt den Ausbruch aus dem Käfig der Vietcong plant, die Tötung der Bewacher - er besitzt in der realen Welt heute Luxushotels und Restaurants, kontrolliert ein kleines Imperium in Tribeca. Genauso strategisch spielt er inzwischen auch.

Walken dagegen, der sich im "Deer Hunter" den Dingen nicht entgegenstemmen kann, der das Todesspiel mitspielen muss, bis er zum Zombie wird, mit seiner breiten roten Kopfbandage, dem schneeweißen Hemd und dem Revolver in der Hand - er hinterlässt am Ende den größeren Eindruck. Er hat damals auch den Oscar für diese Rollen gewonnen - aber Imperienbildung lag ihm doch völlig fern. Er kam einfach, wenn er Zeit hatte, er hinterfragte und kontrollierte seine Rollen nicht, man könnte fast sagen, er verschenkte sich.

Mehr als 120 Filme sind so zusammengekommen, viele davon sind völlig untergegangen, einige sicher zu Unrecht - und noch mehr wurden nie vollendet, weil das Geld einfach ausging. Abel Ferrara, mit dem er den grandiosen "King of New York" drehte, überliefert ein starkes Bild für diese Art der Sorglosigkeit: Walken sei ein Mann, der seine Haustür nie abschließe, wenn er gehe; mehr noch, er lasse sie auch einfach offenstehen - vielleicht, weil ihm schon die Idee von Besitz völlig egal sei.

Wer sich verschenkt, der wird auch beschenkt, von Herzen und manchmal völlig unverhofft: Zwei wirklich grandiose und auch sehr komische Geschenke hat Christopher Walken aus der Schreibwerkstatt von Quentin Tarantino bekommen: Eine unvergessliche Szene in "Pulp Fiction" und eine andere - ebenso unvergesslich, inszeniert von Tony Scott - in "True Romance". Ähnlich ging es ihm mit Woody Allen, Paul Schrader, Tim Burton, Steven Spielberg, jetzt mit Martin McDonagh, und so fort.

Das neueste dieser Geschenke aber ist ganz aktuell, es kommt im Mai ins Kino, fast eine Geburtstagsgabe zum siebzigsten Geburtstag: In "A Late Quartet" von Yaron Zilberman spielt Walken - gänzlich warmherzig und unpsychotisch - einen Meistercellisten. Einen Mann auf dem Höhepunkt seines Wissens und Könnens, der nun weitergeben muss, was er gelernt hat, weil seine Kräfte schwinden.

Wie formt eine Kunst ein Leben, ein Leben eine Kunst? Was opfert man, was riskiert man, und was gewinnt man im Streben nach wahrer Meisterschaft? Es gibt immer nur eine Handvoll Menschen, die solche Fragen tatsächlich beantworten können. Christoper Walken aber ist einer von ihnen.

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