80. Geburtstag:Man kriecht hervor und sieht das Licht

80. Geburtstag: Spät anerkannt, dann umso erfolgreicher: Antonia S. Byatt.

Spät anerkannt, dann umso erfolgreicher: Antonia S. Byatt.

(Foto: Interfoto)

Die grenzüberschreitende englische Autorin Antonia S. Byatt wird achtzig Jahre alt.

Von Alexander Menden

Wenn eine britische Autorin einen europäischen Preis gewinnt, verdient das in diesen Tagen des Brexit-Katzenjammers doppelte Beachtung. Antonia Susan Byatt wird im Herbst den angesehenen niederländischen Erasmuspreis erhalten, und die Begründung der Jury ist nicht nur eine präzise Zusammenfassung ihres Schaffens, sondern hebt zugleich auch dessen gesamteuropäische Ausrichtung hervor: "Ihr Werk ist stilistisch und inhaltlich grenzübergreifend", heißt es da, "es umfasst zahlreiche Genres, literarische Formen und Themen. Sie lässt den Leser eintauchen in die Geschichte europäischen Denkens, ausgehend von den großen Fragen über Wissenschaft, Geschichte und Identität."

Tatsächlich sind die Vorbilder AS Byatts (voll ausgeschrieben sieht man ihre Vornamen selten) nicht nur britische Autoren wie Robert Browning und George Eliot, sondern eben auch herausragende Gestalten der kontinentaleuropäischen Literatur, darunter Thomas Mann und Marcel Proust. Tatsächlich hat Byatt in ihren späteren Romanen immer mehr zum großen Rahmen gefunden, zum umfassenden literarischen Gestus. Ihr "Buch der Kinder", das 2009 im Original, 2011 auf Deutsch erschien, etwa verknüpft in ebenso kunstvoller wie komplexer Weise das Leben mehrerer europäischer Familien vom Ausklang der viktorianischen Ära bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Viele Themen dieses in jeder Hinsicht großen Buches, wie Freiheit, Kunstverständnis und die gesellschaftliche Rolle der Frau, haben Byatt als Akademikerin wie Autorin ihr Leben lang beschäftigt.

In Oxford wurde Iris Murdoch, über die sie später Studien verfasste, zu ihrer Mentorin

Doch sie musste sich gedulden, bis dieser Anspruch gewürdigt wurde. Gerade der britischen Kritik war ihr literarisches Werk lange zu gelehrt, ja, es galt als akademistisch. Im Jahre 1936 als Tochter eines Anwalts und einer Lehrerin in Sheffield geboren, entstammt Byatt einer Familie, deren literarische Neigungen sich früher oder später bei allen Kindern bemerkbar machten: Ihre jüngste Schwester ist die Kunsthistorikerin Helen Langdon, eine weitere Schwester ist Margaret Drabble, in deren Schatten Byatt lange stand, und deren Bücher sie nach eigener Aussage nicht gelesen hat. Ihre Jugend war keine glückliche, was zum einen mit der dominanten Mutter zu tun hatte, zum anderen mit Antonias einzelgängerischer Natur, die es ihr schwer machte, im Internat Freundinnen zu finden. Sie studierte in Cambridge, im amerikanischen Bryn Mawr College und in Oxford. Dort wurde Iris Murdoch, über die sie später einige literaturkritische Studien verfasste, eine wichtige Mentorin für sie.

Parallel zu ihrer Karriere als Universitätsdozentin in London veröffentlichte sie erste literarische Versuche, die zunächst stark autobiografisch geprägt waren. So ist "The Game" (1968), die Geschichte der Rivalität zweier Schwestern, als Verarbeitung ihres Verhältnisses zu Margaret Drabble gelesen worden. Viele ihrer Romane handeln vom Kampf gebildeter Frauen gegen die von der Konvention vorgezeichnete Häuslichkeit: "Es ist, als krieche man kurz hervor, sehe das Licht, und werde dann in der Küche eingesperrt", sagte sie einmal. "Das ist den Frauen meiner Generation widerfahren".

Ihr großer Durchbruch gelang Antonia Byatt 1990 mit "Besessen". Der Roman, der unter anderem mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, changiert meisterhaft zwischen verschiedenen Stilen und Epochen. Er folgt zwei Literaturwissenschaftlern, die im späten zwanzigsten Jahrhundert die Affäre der beiden viktorianischen Dichter Randolph Henry Ash und Christabel LaMotte aufarbeiten, und funktioniert ebenso als Parabel sich wandelnder Sitten wie auch als feine Satire postmoderner Universitätsrituale.

Was ihre Existenz als Schriftstellerin angeht, so hat AS Byatt auf den ersten Blick widersprüchliche, in ihrer Dialektik dann aber doch durchaus konsequente Aussagen gemacht. Einerseits hält sie Schreiben für "gefährlich destruktiv" und Autoren für "Zerstörer". Andererseits versteht sie sich selbst als eine "Person, die immer ein Projekt hat, etwas herzustellen". Nur weil sie diese Person sei, sagte sie dem Guardian im vergangenen Jahr, könne sie zugleich andere Menschen lieben.

An diesem Mittwoch wird Antonia Susan Byatt 80 Jahre alt.

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