80. Geburtstag:Genügend Götter, bitte!

Man möchte es nicht glauben - aber der unberechenbar-charmante Michel Piccoli wird heute achtzig Jahre alt.

Rainer Gansera

"Ich bin Piccoli ... Der mit der Bardot gedreht hat!" So definiert er sich selbst, als Monsieur Cinéma, den er spielt in "Les cent et une nuits", Agnès Vardas Hommage zur Hundertjahrfeier des Kinos im Jahr 1995. Er ist der Genius der Filmgeschichte, sitzt im Rollstuhl und erinnert sich lebhaft an den Film, der ihm seine erste starke Hauptrolle und den internationalen Durchbruch verschaffte: Jean-Luc Godards "Le mépris/Die Verachtung" von 1963. Dann zeigt Varda die Szene, die längst zum Kern der Piccoli-Ikonographie zählt: Mit Hut und Zigarre sitzt er in der Badewanne, und die Bardot, die ihm gerade erklärt hat, dass sie ihn nicht mehr liebt, findet das weder imposant noch lustig.

Er lässt sich nicht beirren: "Ich kopiere nur Dean Martin, aus dem Film 'Some Came Running'!", steigt aus der Wanne, windet sich das weiße Badetuch elegant um den Körper, wie eine römische Toga, und überlegt sich, ob er das Odyssee-Drehbuch, für das er gerade verpflichtet wurde in Cinecittà, so umarbeiten will, wie es der amerikanische Produzent verlangt: mehr nackte Meerjungfrauen, weniger griechische Götter.

Wem wenn nicht Piccoli hätte Agnès Varda die Rolle des Monsieur Cinéma anvertrauen sollen? Nicht nur mit der Bardot hat er gedreht, sondern mit der ganzen Galerie der Diven der sechziger und Siebziger: Jeanne Moreau, Catherine Deneuve, Romy Schneider, Anouk Aimée, Sophia Loren, Stéphane Audran, Ornella Muti. Unter der Regie fast aller großen europäischen Filmemacher: Jean Renoir, Luis Buñuel, Jean-Pierre Melville, Jacques Demy, Claude Sautet, Claude Chabrol, Jacques Rivette, Manoel de Oliveira ... So hat er sich - ein Schauspieler ohne Agent, ein Star ohne Fan-Club - immens fleißig in den sechzig Jahren seiner Karriere, neben einer Menge Bühnen- und TV-Auftritten, ein unvergleichlich vielseitiges Œuvre von etwa 180 Filmrollen erarbeitet.

Piccoli gehört zu den seltenen Akteuren, die nicht in Rollen schlüpfen, sondern Figuren aus der eigenen Präsenz erschaffen. Er bietet keine Projektionsfläche fürs Heroische - weshalb das amerikanische Kino kein Verlangen nach ihm hat, mit wenigen Ausnahmen wie Malles "Atlantic City" -, sondern verkörpert den diskreten Charme der Bourgeoisie in seiner vexierbildhaften Vieldeutigkeit. Äußerlich soignierte Eleganz, Haltung, Kühle, innerlich ein brodelnder Abgrund aus Lüge, Jähzorn, Sadismus, Zynismus, Mordlust.

Der ideale Darsteller für Buñuel ("Tagebuch einer Kammerzofe", "Belle de jour"): immer balancierend auf der Grenze von Tag und Nacht, von Contenance und Phantasma. In den Filmen von Sautet ("Die Dinge des Lebens", "Das Mädchen und der Kommissar"), als Partner der wunderbar liebessehnsüchtigen Romy Schneider, sind es kleine Risse in der Verschlossenheitsfassade, die seine Leidenschaftlichkeit erahnen lassen. Nur einige Schweißperlen treten ihm auf die Stirn, wenn er für die Geliebte mordet.

Ende der Sechziger glänzt Piccoli in einer TV-Produktion als Don Juan und ist in Gefahr, auf das Fach des romantischen Verführers festgelegt zu werden. Da entscheidet er sich für grotesk-bizarre Rollen - Claude Faraldos "Themroc" und Marco Ferreris "Das große Fressen". Er zieht sich in Appartementhöhlen zurück und brät Polizisten am Spieß, geht jämmerlich an monströsen Blähungen zugrunde. Er verschmäht den leicht zu erhaschenden Publikumsappeal, stärkt seinen Ruf als Darsteller, der Herausforderungen such und zu jeder Schandtat bereit ist.

Einmal pro Film ausrasten

"Was? Rivette? Mir egal, worum es geht, ich sage zu. Ich spiele gern den Maler, aber wenn er will, übernehme ich auch die Rolle des Modells". Antwortet Piccoli, als Rivettes Assistentin ihm die Rolle des Malers Frenhofer anträgt, 1991, in dem genialen Balzac-Film "La belle noiseuse/Die schöne Querulantin". Als Künstler in der Schaffenskrise entfaltet er an der Seite von Emmanuelle Béart noch einmal alle Facetten seiner Persona: den liebenswerten Charmeur, den kalten Zyniker, den verzweifelt-verschlossenen Künstler. Mysteriöses Schweigen und zornige Ausbrüche.

Jean Gabin ließ in seine Verträge einst die Klausel aufnehmen, dass er mindestens in einer Szene völlig ausrasten dürfe. Piccoli verlangt so was nicht vertraglich, aber er bekommt es in vielen seiner Filme. Es sind die Momente der Offenbarung, die Rückseite der Coolness, und er braucht nicht mehr, um einem Film seinen Stempel aufzudrücken.

In Bonitzers "Rien sur Robert" beugt er sich bei einer Abendgesellschaft nur leicht nach vorn, lässt alle Höflichkeitsfloskeln fahren, kanzelt den jungen Schriftsteller gnadenlos ab: "Sie sind das typisch französische Beispiel intellektueller Arroganz und völliger Herzensleere!". In "Le mépris" kommt dieser Moment, wenn er die Zigarre aus der Hand legt und wutentbrannt ausruft: "Warum ist Geld so wichtig? Warum soll man immer tun, was andere wollen?"

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