65. Filmfestspiele in Venedig:Die Einsamkeit der Heldinnen

Die Filme der 65. Mostra handeln viel von versehrten Frauen. In ihrem Kampf um Freiheit wissen sie nicht, wie sie die damit einhergehende Einsamkeit ertragen sollen.

Susan Vahabzadeh

Der Lido, leerer als sonst in diesem Jahr, wird beherrscht von mäkeliger Unruhe, von der Hitze gelähmt. Weil die mit Pomp inszenierten Mega-Premieren fehlen. So aber kann man die leisen Stimmen besser hören, die sonst im Geschrei des Starrummels untergehen.

65. Filmfestspiele in Venedig: Charlize Theron als Amerikanerin, der ein fremder Mexikaner (José Maria Yazpik) folgt. Szene aus dem Venediger Wettbewerbsbeitrag "The Burning Plain".

Charlize Theron als Amerikanerin, der ein fremder Mexikaner (José Maria Yazpik) folgt. Szene aus dem Venediger Wettbewerbsbeitrag "The Burning Plain".

(Foto: Foto: 2929 Productions)

Die Filme der 65. Mostra haben einander viel zu sagen, ihre Heldinnen besonders, die ihre Freiheit erkämpft haben und nun nicht wissen, wie sie die Einsamkeit, die sie birgt, ertragen sollen.

Sei selbst Herr deines Schicksals und gib dich dabei wie eine Dienerin - so lebt Barbet Schroeders Geisha ihr Leben in "Inju". Ich kann nicht, antwortet Emma aus "Un giorno perfetto", immer wieder, und die Frau in "L'autre', die herausfindet, dass eben diese andere, die ihr den Geliebten genommen hat, Teil ihrer selbst ist, zieht sich immer mehr in diese unheimliche Zweisamkeit zurück.

Über den Zustand des Weltkinos hat dieser Wettbewerb allemal etwas zu berichten - dass es im Kino nicht um die großen Gesten geht, sondern um die kleinen, den Leben abgerungenen Wahrheiten.

Claire Denis, deren "35 Rhums" außer Konkurrenz lief, verzichtet sowieso darauf, sich mit ihrem Kino in Positur zu werfen. Eine urbane Kleinfamilie, vier Menschen in einem Haus, die zusammenhalten: Vater und Tochter, die Frau nebenan, die den Vater seit Jahren liebt, der junge Nachbar, der sonst niemanden hat und gern so tut, als mache ihm das nichts aus.

Alle sind Immigranten, es geht ihnen ganz gut mit ihren Jobs, aber sie haben ganz kleine Lebensentwürfe, ohne jede Aussicht auf mehr als das Zusammensein. Eine leise, melancholische Geschichte von der Mühsal, das wenige, was einen glücklich macht, festzuhalten.

Die hohe Kunst der Prätention

Auch Guillermo Arriagas Regiedebüt "The Burning Plain" erzählt vom alleinerziehenden Vater, aber das ist dann schon die einzige Gemeinsamkeit. Dieser Film will unbedingt alles zur Explosion bringen, zur Not auf Kosten der Glaubwürdigkeit.

Zwei Handlungsstränge gibt es - eine mexikanischstämmige Familie, deren Vater mit seiner amerikanischen Geliebten, ebenfalls verheiratet, verbrannt ist; und eine Frau im Norden der USA, der ein fremder Mexikaner folgt.

Damit das zusammenfindet, hat Arriaga so viele Zufälle bemüht, dass sie für den ganzen Wettbewerb reichen würden. Charlize Theron spielt die Amerikanerin, eine konfuse Gestörte, und sie macht das meisterlich, denn diese Frau verhält sich nicht in einer einzigen Szene nachvollziehbar: Sie bleibt ein spekulativ am Reißbrett entworfenes Fabelwesen.

Manches der erzählerischen Teilchen - die verheiratete Frau beispielsweise, Kim Basinger, und ihr Ringen um die Zurückeroberung ihres Körpers nach einer Brustkrebsoperation - hätte für eine wundervolle Geschichte getaugt, wäre das nicht auf den Knalleffekt angelegt, wie Basinger sich die Bluse aufreißt.

Wie "21 Gramm" und "Babel", die Arriaga für Alejandro González Iñárritu schrieb, balanciert "The Burning Plain" zwischen Herzschmerzroman-Weisheiten und unplausibel konstruiertem Super-Drama - nur sehen Iñárritus Filme besser aus.

Auch "The Burning Plain" bietet eine aufgebrochene Chronologie der Szenen, ohne assoziativ sinnvolle Neuordnung. Das ist die hohe Kunst der Prätention.

Der Film passt trotzdem, irgendwie, in die Assoziationskette, die der Wettbewerb auslöst, der sich gerade auf die Frauen konzentriert, ihren Kampf um Unabhängigkeit.

Krieg gegen das eigene Spiegelbild

"L'autre" von Patrick Mario Bernard und Pierre Trividic erzählt von einer alleinstehenden Frau Ende vierzig, die anfängt, der neuen Freundin ihres Exgeliebten nachzustellen - es ist faszinierend, ihr zuzusehen, wie sie ihrem Spiegelbild nach und nach den Krieg erklärt, nicht nur dem ältergewordenen Gesicht, sondern vor allem der anderen Person, die in ihr wohnt - eine verbitterte Fremde.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, in welchem Wettbewerbsbeitrag das Kino den Emotionen freien Lauf lässt.

Die Einsamkeit der Heldinnen

Der Ausbruch, den man schon vorweg gesehen hat - sie geht mit dem Hammer auf den Spiegel los, und dann auf sich selbst - ist am Ende viel unspektakulärer und natürlicher, als er am Anfang wirkte.

Es sind Geschichten von versehrten Frauen, die im Wechselspiel des Wettbewerbs einander reflektieren. Auch in Barbet Schroeders "Inju, la bête dans l'ombre" kommt die Narbe der Heldin immer ins Bild - eine Geisha, die einen französischen Krimiautor auf die Jagd nach dem Autoren-Phantom Shundei Oe schickt.

Die Weigerung, die vom Schicksal zugewiesene Opferrolle zu spielen, hat bei Schroeder vor Jahren schon Sandra Bullock gespielt - die hatte die Narbe auf der Brust - in "Murder by Numbers".

"Inju " ist eine Hommage an japanische Krimis, eine liebevolle Verfilmung des Großmeisters Edogawa Rampo: Alex (Benoît Magimel), der Franzose in Kyoto, würde die Geisha gerne retten, und es spricht eine unerfüllbare Sehnsucht nach Kontrolle aus diesem Plot - den Wunsch, die Frau, die man liebt, an sich zu binden, die Verzweiflung, dass diese Zeiten vorüber sind, gab es auch in der Dreiecksbeziehung in Christian Petzolds "Jerichow".

Im ersten der italienischen Wettbewerbsbeiträge, "Un giorno perfetto" von Ferzan Özpetek, äußert sich die männliche Machtmacke brutal.

Emma hat Antonio mit den beiden Kindern verlassen, er terrorisiert sie dafür auf jede erdenkliche Art, und als er kapiert - er hat sie geschlagen, ihre blutige Lippe erinnert daran für den Rest des Films -, dass er sie verloren hat, beschließt er die Familie zu zerstören, die er nicht haben kann.

Im Reinen mit sich selbst

Solche Geschichten passieren dauernd, und so wie Özpetek sie erzählt, ist das schon alles richtig - wie Emma sich doch erweichen lässt, sich schuldig fühlt, die Kinder sich trotz allem nach dem Vater sehnen; wie der völlig überforderten Emma die Dinge entgleiten, während Antonio den Kontrollverlust draußen, außerhalb der Familie, dadurch wettzumachen versucht, dass er drinnen den Macho gibt.

Aber Özpetek fängt damit nicht viel an, er bildet nur ab, in eigenartig unpassenden Hochglanz-Einstellungen und unmotivierten Kamerafahrten, und die Möglichkeit gesellschaftlicher Zusammenhänge lässt er völlig außen vor. Am Ende hat "Un giorno perfetto" nicht mehr erzählt als die Zeitungsmeldungen.

Vielleicht verlangt das Kino nach Zurückhaltung, es muss sich seiner Mittel ganz bewusst sein, und ansonsten den Emotionen freien Lauf lassen. Vielleicht ist also das Kino nirgendwo so im Reinen mit sich selbst wie im Trickfilm.

Hayao Miyazaki, der Meister der emotionalen Manipulation und von aller Schwerkraft befreiten Zauberwelt, ist zum zweiten Mal in Venedig im Wettbewerb, diesmal mit "Ponyo on the Cliff by the Sea". Ein so magischer Fischfilm, dass es fast unfair ist, all die anderen erdenschweren Dramen gegen ihn antreten zu lassen.

Eine rührende Geschichte vom Goldfischmädchen Ponyo, das vernarrt ist in einen kleinen Jungen, und auch ein richtiges Kind sein will, mit ihm und seinen Eltern auf der Klippe leben will - sie entfesselt dafür allerlei finstere Seemächte, aber die Liebe bringt alles wieder ins Lot.

Die Mutter und der Tod

Ponyo kreiert eine niedliche Welt, squishy-squeeze, aber irgendwie entwickelt dieser traumverlorene Zeichentrickfilm mehr Relevanz als vieles, was in der Konkurrenz tief Luft holt und mit großer Geste die Welt erklären will.

"Ponyo" ist eine Individualmythologie, die die Angst vorm nächsten Tsunami aufnimmt und in der die Unterwasserwelt ein Hades ist - für Miyazaki, der ein alter Mann ist, bedeutet der Tod die Wiedervereinigung mit seiner Mutter.

Ein tröstliches Märchen vom Jenseits also, und davon, wie sich neue Familien zusammenfügen, wenn ein Horizont aus Meerschaum entsteht und man, fast wie bei Claire Denis, einen Weg findet, festzuhalten, was man liebt.

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