65. Filmfestival in Venedig:Der Paris-Hilton-Effekt

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Leere Kassen, tolle Filme, wenig Stars: Der Spagat zwischen Kunst und Kommerz bleibt in Venedig bestehen. Der erste Preis geht mit "The Wrestler" von Darren Aronofsky an Hollywood.

S. Vahabzadeh / F. Göttler

Zum Abschluss feierte das Kino sich gewissermaßen selbst, der Goldene Löwe für Darren Aronofskys "The Wrestler" ist vor allem ein Tribut ans Showbusiness in all seinen höheren und populären Formen. Der Film ist ein Loblied auf den Professionalismus und auf all jene, die im Dienste ihrer Kunst das Letzte geben, sich restlos aufopfern.

Mickey Rourke ist mit langer blonder Mähne und blutverschmierten Wrestling-Oberkörper kaum wiederzuerkennen. (Foto: Foto: image.net)

Er ist auch eine bittere Reflexion über den Zusammenhang von Unterhaltung und Lebensunterhalt - wie schwer es den Profis manchmal gemacht wird, ehrenhaft ihre Show abzuliefern. Mickey Rourke ist Randy "The Ram" Robinson, einer der verwitterten, aber ungebrochenen Veteranen im amerikanischen Schauringer-Zirkus, wo hart zur Sache gegangen wird, aber eine außerordentliche Solidarität, ein selbstverständliches Vertrauen herrschen.

Ein Monstrositätenkabinett, dem das Publikum Respekt und Liebe erweist. Wie ein gefallener Engel stiert Randy durch die Korridore Richtung Ring, das goldene Haar fällt ihm locker weit über die Schultern hinab. Nach einem Herzinfarkt ist seine Karriere zu Ende, aber er mag nicht leben ohne seine Profession, aufrecht bis in den Tod.

In seiner Aufrichtigkeit war "The Wrestler" ein Film, auf den am Ende eine Jury sich wohl sehr einfach einigen konnte, in der immerhin diverse Formkünstler und Manieristen sitzen wie Wim Wenders, als Jurypräsident, oder der Filmzeitmanipulierer Douglas Gordon - womöglich hat Wenders in der Stimmung des "Wrestler" einiges von dem wiedergefunden, was er in seinem eigenen "Land of Plenty" beschwor.

Das bodenständige Amerika, das Darren Aronofsky filmt, ist von großer Trostlosigkeit, seine Showbuden erinnern an die tristen Sägemehl-Varietés in den Filmen von Fellini - dessen "Der weiße Scheich" wurde in Venedig in einer restaurierten Fassung wieder gezeigt."The Wrestler" steht zudem konsequent in der Tradition anderer Venedig-Sieger wie Ang Lees "Brokeback Mountain" oder "Still Life" von Jia Zhang-Ke.

So hat die vielbeschworene Präsenz des amerikanischen Kinos, die anscheinend heute entscheidendes Kriterium ist für die Qualität eines internationalen Festivals, am Ende doch gesiegt - auch wenn zwischendurch immer wieder bemängelt wurde, das amerikanische Angebot sei dieses Jahr zu schwach.

Zu wenig Starrummel?

Eine schlechte Auswahl war's, eigentlich, nicht, und sie zeigte - was die Siegerfilme "The Wrestler" und "Paper Soldier" von Alexei German Jr. nicht unbedingt widerspiegeln - Mut zu kleinen, bewegenden Familienalltagsgeschichten wie Claire Denis' "35 Rhums" oder Jonathan Demmes "Rachel Getting Married" einerseits, zu bildgewaltigen Geschichten aus Ländern, die nicht zum erforschten Kinogebiet gehören andererseits, wie "Gabbla (Inland)" des Algeriers Tariq Teguia oder "Teza" des Äthiopiers Haile Gerima, der einen Spezialpreis der Jury bekam. Einen Preis fürs Lebenswerk bekam Werner Schroeter, dessen düster-exotischer "Nuit de chien" im Wettbewerb lief.

Hollywood fehlte natürlich tatsächlich, vor allem mit jenen Filmen, die in der offiziellen Auswahl sind, aber außer Konkurrenz laufen - da gab es sonst immer noch zwei, drei große Premieren außer dem Eröffnungsfilm - den diesmal die Brüder Ethan und Joel Coen lieferten, "Burn After Reading", mit George Clooney, Brad Pitt und Tilda Swinton. Für dieses Manko hatte Venedig-Chef Marco Müller den Streik der Hollywood-Autoren verantwortlich gemacht, der im vergangenen Herbst die Studios lahmlegte und bewirkte, dass weniger Filme fertiggestellt werden konnten als sonst.

Immer wieder wurde während der Mostra angedeutet, dies sei eine Ausrede - denn beim Festival in Toronto, das am Donnerstag begonnen hat, sei mit dem Starrummel am roten Teppich, der in Venedig nur selten stattfand, täglich zu rechnen. Was nicht ganz falsch ist - nur sind die Filme, die damit gemeint sind, nicht neu. Toronto ist kein A-Festival, hat keinen Wettbewerb - und so eindrucksvoll die Liste auch sein mag: Steven Soderberghs "Che" mit Benicio Del Toro hatte seine Premiere im Mai in Cannes, das größte Toronto-Event, "Burn After Reading" kommt aus Venedig, und manches, was man sich auch in Venedig hätte vorstellen können, hätte die Glamourversorgung am roten Teppich keineswegs gesichert: Paul Schraders lang erwarteter "Adam Resurrected" hätte auch nur Jeff Goldblum und Willem Dafoe zu bieten gehabt, die nicht zur ersten Kategorie von Stars gehören, das Gleiche gilt für Spike Lees "Miracle in St. Anna".

Kampf mit kleinem Etat

Und Sean Penn, den man sich in Venedig gewünscht hätte, hat gerade zwar wieder zwei Filme als Schauspieler abgedreht, die aber offensichtlich nicht fertig sind - auch in Toronto läuft keiner von beiden. Venedig hatte 49 Weltpremieren zu bieten, 23 dieser Filme werden auch in Toronto gezeigt, unter anderem "Rachel Getting Married" und der Venedig-Sieger "The Wrestler".

Auch das Rom-Festival wird im Oktober die Stadt nicht mit Hollywood-Kino überfluten können. Aber ein Problem für Venedig ist das Festival trotzdem, schon weil es in den italienischen Medien zu einer großen Sache aufgeblasen wird, die es weder unter künstlerischen Gesichtspunkten noch nach Star-Kriterien ist. Was Venedig aber viel mehr zu schaffen macht, sind die Kosten. Italien wird immer ärmer, sagt Marco Müller, und das Festival bekäme das zu spüren.

Der Etat von Venedig war immer schon klein im Vergleich zu Berlin oder Cannes, dem reichsten aller Festivals - Moritz de Hadeln, Müllers Vorgänger, der im Unfrieden ausstieg, hat das oft lautstark beklagt. Aber wie leer die Kassen in Italien auch sein mögen - es reicht offensichtlich, um das Festival in Rom, das im Oktober zum dritten Mal stattfindet und sich mit Venedig weder an Geschichte oder bedeutenden Premieren messen kann, mit mehr Geld auszustatten als die Mostra, die Mutter aller internationalen Festivals.

Auch Venedig stützt das italienische Kino

In Venedig muss man mit elf Millionen Euro zurechtkommen - das Festival in Rom hat 15 Millionen. Für Venedig bedeutet ein so kleiner Etat, dass an allen Ecken und Enden gespart werden muss - und natürlich ist die ersehnte Hollywoodpräsenz auch eine Frage zahlreicher First-Class-Tickets und Luxussuiten. Das Rom-Festival wird von der Stadt kräftig gefördert, das sind keine Gelder, auf die man in Venedig Zugriff hätte.

Auf Rom zu setzen und das Traditionsfestival auszuhungern, ist trotzdem keine zufällige, auf lokaler Ebene getroffene Entscheidung. Rom hat den Auftrag, das italienische Kino zu promoten, für das man in Venedig angeblich so wenig übrig hat - was man 2008, bei vier Wettbewerbsbeiträgen und italienischen Filmen en masse in allen Nebensektionen nicht wirklich behaupten kann.

Was er bei der Mostra zeigen wollte, habe er auch bekommen, sagt Müller - und man findet halt im Jahr nicht allzu viele Filme im Angebot, die die Gratwanderung zwischen Glamour und Kunstkino, die Festivals brauchen, so elegant hinkriegen wie "Burn After Reading". Als in Cannes "Da Vinci Code" gezeigt wurde oder, in diesem Jahr, "Indiana Jones", reagierten die Kritiker mit Entgeisterung - würde Müller, nur um ein paar Stars präsentieren zu können, ein paar solche filmische Leichtgewichte ins Programm hieven, bliebe auch er von solchen Reaktionen nicht verschont.

Trauriger Kommentar zum Kino-Zirkus

Wohin soll denn aber die Star-Besessenheit überhaupt führen? Im schlimmsten Fall, das konnte man an diesem Festival in Venedig schon mal erkennen, in die Selbstabschaffung des Kinos. Denn Stars und Kino haben immer weniger miteinander zu tun, das ist der Paris-Hilton-Effekt. Brad Pitt, der dicke Brummer unter den Stars, die die Venedig-Eröffnung glanzvoll machten, spielt in "Burn After Reading" eine Nebenrolle, Hauptrollen hat er seit Jahren nicht gestemmt - der Mann ist längst nicht mehr für seine Filme berühmt, sondern für seine Kinder.

Dass die Coens in der Pressekonferenz zur Premiere etwas angestrengt wirkten, und Frances McDormand irgendwann fragte, ob jemand den Film gesehen habe, war durchaus berechtigt. Was aber wird aus einem Kino, das sofort für tot erklärt wird, wenn die Menschen, die dort mitspielen, nicht klatschspaltentauglich sind, und bei denen, die es sind, die Präsenz auf den Titelseiten mit der auf der Leinwand immer weniger zu tun hat?

So kann man die Entscheidung für den "Wrestler" noch mal ganz anders sehen - als traurigen Kommentar zum Kino-Zirkus, der sich langsam selbst abschafft, mit einer Mechanik, über die er die Kontrolle verloren hat.

© SZ vom 8.9.2008/sst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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