25. Filmfestival Cottbus:In Zeiten der abnehmenden Liebe

Tihana Lazović (rechts) mit Goran Marković in "Mittagssonne"

Beste Darstellerin beim Filmfestival Cottbus 2015: Tihana Lazović (rechts) mit Goran Marković in "Mittagssonne".

(Foto: Festival)

Am Flüchtlingthema scheiden sich in West- und Osteuropa die Geister. Warum das so ist, ließ sich beim Filmfestival Cottbus erahnen.

Von Paul Katzenberger, Cottbus

Die Luft ist dick zwischen West- und Osteuropa. Mit dem Krieg in der Ukraine scheint der alte Ost-West-Konflikt wieder aufgebrochen zu sein, und die Weigerung der östlichen Länder Mitteleuropas, Flüchtlinge in merklicher Zahl aufzunehmen, erweckt den Eindruck, als ob sich nun sogar innerhalb der EU ein neuer Ost-West-Konflikt anbahnen könnte.

Führende Politiker warnen schon vor dem Scheitern des gemeinsamen Projektes Europa, und auch wenn diese Befürchtung übertrieben sein sollte, so wird doch deutlich, dass es beim Verständnis zwischen Ost- und Westeuropäern hapert. Da ist es erfreulich, dass es in Deutschland immerhin zwei etablierte Filmschauen gibt, die sich mit ihrem Fokus auf Osteuropa um das Verständnis zwischen den zwei Halbkontinenten besonders bemühen: das goEast-Festival in Wiesbaden, das regelmäßig im April stattfindet, und das Filmfestival Cottbus, das soeben zu Ende ging.

In ihrem Programm lenkten die Cottbuser Festivalmacher den Blick auf die vielfältigen Facetten der osteuropäischen Gesellschaften in sozialer, politischer, kultureller und historischer Hinsicht. Auch die Kriegs- und Flüchtlingsthematik tauchte auf, aber sie bildete keinen Schwerpunkt des Festivals.

Und doch boten die gezeigten Filmen Einblicke, die für die Lösung der tagesaktuellen Probleme von Nutzen sein können. Dazu gehörte zunächst die Grunderkenntnis, dass Osteuropa in seiner Vielfalt erheblich mehr ist als die Krisenmeldungen, auf die es in der hiesigen Berichterstattung oft reduziert wird. Längerfristige und grundsätzliche Entwicklungen, wie sie in Cottbus aufgezeigt wurden, mögen zudem auf den ersten Blick mit aktuellen Problemen nichts zu tun haben, und doch sind sie für deren Verständnis meist unentbehrlich.

Die Urbanisierung zum Beispiel, der weltweit ablaufende Prozess der Gentrifizierung und Ghettoisierung von Metropolen, ist so ein Thema. Es spielt sich in Osteuropa meistens extremer ab als in München, jener Stadt, die in diesem Sommer so positiv mit ihrer Willkommenskultur auffiel.

Impressionen aus dem Roma-Ghetto

In Katowice, Warschau oder Sarajevo, wo die kleinen Leute stärker von gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt werden als in Südbayern, ist die Angst vor der Konkurrenz durch Flüchtlinge präsenter als in einer etablierten Wohlstandsgesellschaft, deren Bürger auf funktionierende Strukturen vertrauen können. Diesen Schluss legten die Filme nahe, die das Cottbuser Festival in seiner Sektion "Fokus" zum Betreff Urbanisierung zeigte.

25. Filmfestival Cottbus: Wenn von der Zukunft nur die Fassaden zu sehen sind: Szene aus "Warschauer Geschichten". Der Film lief in Cottbus in der Sektion "Fokus".

Wenn von der Zukunft nur die Fassaden zu sehen sind: Szene aus "Warschauer Geschichten". Der Film lief in Cottbus in der Sektion "Fokus".

(Foto: Festival)

Besonders ausgegrenzt sind in den osteuropäischen Gesellschaften die Roma, jene Menschen, über die sich SPD und Union gerade geeinigt haben, dass ihnen in aller Regel kein Asylrecht zu gewähren sei und sie schnell abgeschoben gehören, wenn sie aus Ländern wie Serbien, Albanien oder dem Kosovo stammen. Doch haben die Politiker, die das beschlossen haben, überhaupt eine Wahrnehmung vom Leben der Roma auf dem Balkan?

In dem Cottbuser Festivalbeitrag "Brot und Spiele" hätten sie sich einen Eindruck vom Dasein in der Roma-Siedlung der südwest-bulgarischen Stadt Kjustendil verschaffen können. Georgi Stoev zeigt in seiner Dokumentation das Ghetto-Leben in all seinen Nuancen auf - seine Drangsal, aber auch die Momente tiefer Freude, die sich die Bewohner dieser abgeschotteten Welt ertrotzen.

Vom Osten lernen

Bobby, der Protagonist des Films, entspricht nicht unbedingt dem Klischeebild, das die CSU von armen Roma-Zuwanderern zeichnet: Jeden Morgen steht er um fünf Uhr auf, um Brot auszuliefern, nachmittags betreibt er "Bobi TV", den ersten unabhängigen Fernsehsender der Roma in Bulgarien. Er macht uns bekannt mit einem Transvestiten und seinen/ihren Höhen und Tiefen, wir sind dabei, wenn ein Roma-Kirchenchor probt und ein Roma-Mann, der vor 20 Jahren in den USA adoptiert wurde, zum ersten Mal seiner leiblichen Mutter begegnet.

Entspannter Islam in Bosnien-Herzegowina

Der Osten musste seit dem Fall des Eisernen Vorhangs viel vom Westen lernen, doch in Cottbus zeigte sich, dass der Wissenstransfer auch in umgekehrter Richtung laufen könnte. Denn manche Dinge, bei denen Deutschland gerade erst anfängt umzudenken, gehören in Osteuropa seit Jahrhunderten zur gesellschaftlichen Realität.

Der Islam etwa, der in Deutschland noch immer als so fremd wahrgenommen wird, dass der frühere Bundespräsident Christian Wulff in einer Grundsatzrede vor fünf Jahren betonen musste, dass er zu uns gehört, zählt in vielen Regionen Osteuropas zu den eingesessenen Religionen. Im Westbalkan und im Kaukasus wird nicht nur das religiöse Leben, sondern auch Kultur und Alltag durch den Islam geprägt, was das Cottbuser Festival in der Sektion "Specials/Islam" beleuchtete, die Einblicke wider unseren Klischevorstellungen gewährte.

Dass der Islam zum Beispiel mit einem selbstbewussten Rollenverständnis von Frauen zusammengeht, zeigten die Filme "Die Starke" und "Under the Cover". Jasmilat, die Hauptfigur in "Die Starke" kämpft sich in einem Bergdorf in Dagestan als Judolehrerin durchs Leben - als gläubige Muslima, die deswegen die patriarchalischen Strukturen vor Ort noch lange nicht akzeptiert - und damit auch durchkommt.

Muss man wirklich vor der Islamisierung des Abendlandes Angst haben, wie während des Festivals 250 Demonstranten auf dem Cottbuser Altmarkt propagierten? Noch während die Demo lief, führten die bosnisch-herzegowinischen Filmemacherinnen Nera Latic Hulusic und Sabrina Begovic einen Steinwurf entfernt in der Cottbuser Kammerbühne den Gegenbeweis.

AfD-Demonstration

Demonstranten auf dem Altmarkt in Cottbus. Ein Alternativprogramm gab es im Kino.

(Foto: dpa)

Die zwei Frauen stammen aus einem Land, in dem man schon lange einen entspannten Islam erleben kann - das Kopftuch ist dort für Frauen kein Muss. Doch in "Under the Cover" zeigen sie auf, was passiert, wenn junge Muslima den Hidschab zum Symbol weiblicher Selbstbestimmung umdeuten. In einer sexuell übergriffigen Gesellschaft kann er nämlich auch Schutz bedeuten. Angst muss davor niemand haben.

Die Gegensätze der Urbanisierung, die schwierige Integration der Roma und das Jahrhunderte währende Zusammenleben von Moslems und Christen sind für sich genommen Konstellationen, die die osteuropäischen Gesellschaften vor große Herausforderungen stellen. Doch das sind längst nicht alle Schwierigkeiten, von denen die Menschen dort oft stärker betroffen sind als die Westeuropäer.

Liebe in einer Welt des Hasses

Welche Langzeitfolgen etwa das Nebeneinander von Korruption und patriarchalischen Strukturen nach sich ziehen, zeigte der mazedonische Regisseur Darijan Pejovski in dem Drama "Drei Tage im September" auf, in dem zwei sehr unterschiedliche Frauen in ihrem Kampf gegen die Gewalt in der von Männern dominierten Welt zusammenfinden.

Am Ende des Cottbuser Festivals stand dann doch das Thema Krieg und seine langfristigen Folgen im Mittelpunkt. Denn der große Gewinner des Spielfilmwettbewerbs, das Episoden-Drama "Mittagssonne" ("Zvizdan") des kroatischen Regisseurs Dalibor Matanić, griff diesen Stoff auf. Der Film feierte in diesem Jahr in Cannes mit der Verleihung des Jurypreises in der Nebenreihe "Un certain regard" bereits einen großen Erfolg. In Cottbus kam nun nicht nur der Hauptpreis des Festivals (25 000 Euro) hinzu, sondern auch der Preis der internationalen Kritikervereinigung Fipresci. Darüber hinaus bekam Tihana Lazović für ihre Hauptrolle in dem Film die Auszeichnung als beste Darstellerin überreicht, dotiert mit 5000 Euro.

"Mittagssonne" zeigt drei Liebesgeschichten, jeweils zwischen einer Serbin und einem Kroaten. Alle spielen in denselben benachbarten Dörfern und mit jeder Geschichte springt der Film zehn Jahre nach vorn: von 1991 bis 2011. Die drei unterschiedlichen Paare werden stets von denselben zwei Schauspielern dargestellt, neben Tihana Lazović von Goran Marković.

Es geht um die Unmöglichkeit der Innigkeit zwischen Mann und Frau kurz vor, kurz nach und längere Zeit nach dem Jugoslawienkrieg. In einer Welt des Hasses hat die Liebe keine Chance auf Verwirklichung. Es ist ein pessimistisches Fazit das Matanić zieht, doch der Realismus seines Films unterlegt es glaubwürdig. Der Westen sollte sich das vergegenwärtigen, wenn er das nächste Mal vom Osten ultimativ Empathie einfordert.

Alle Preise des Filmfestivals Cottbus hier.

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