64. Filmfestival Cannes:Hysterischer Humor

Ein umherirrender Papst, ein paar sehr komische Beobachtungen zu medialem Wahnsinn und endlich wieder schockierendes Kino: Der Vatikan-Film "Habemus Papam" und der Polizeifilm "Polisse" im Cannes-Wettbewerb.

Susan Vahabzadeh

Wenn die Stimmen lauter werden, die uns weismachen wollen, das Kino sei am Ende, dann kommt meist irgendwer daher und beweist das Gegenteil. Im Moment singen die Stimmen das Lied von der amerikanischen TV-Serie, die alles besser kann und neben der sich selbst ein dreistündiger Film ausnimmt wie ein Zwerg.

64th Cannes Film Festival - Habemus Papam (We Have a Pope)

Habemus Papam - aber der Papst will nicht: Michel Piccoli als der Papst, der sich nicht traut, in Nanni Morettis Vatikan-Film.

(Foto: dpa)

Die französische Schauspielerin und Regisseurin Maïwenn braucht nur zwei Stunden, um diese Behauptung ad absurdum zu führen: Wer weiß was er tut, kann einen Charakter in zwei Szenen sehr genau definieren. Und nebenher schwelgt Maïwenn in allen Freiheiten, die nur das Kino zu bieten hat. Es darf verwirren und schockieren, darf taktlos sein und roh und dann den Tonfall ändern, sanftmütig werden und zärtlich.

"Polisse" ist ein Polizeifilm, mit einem Sammelsurium an Figuren, die nicht alle gleich gut gespielt, aber gleich gut geschrieben sind. Eine Fotografin (Maïwenn selbst) begleitet eine Polizeieinheit in Paris, die Kinderschutztruppe, die in Belleville Jagd auf Pädophile und brutale Eltern macht - dokumentarisch, zusammengesetzt aus Fragmenten, kleinen Beobachtungen, die für sich genommen gut sind und überraschend, und zusammen das Gemälde einer Gesellschaft ergeben, die nach Ordnung in einem Chaos der Vorstellungen von Gut und Böse sucht.

"Polisse" ist gemacht wie Laurent Cantets Cannes-Sieger "Die Klasse" von 2008 und inspiriert von amerikanischen Polizeiserien, aber alles was die ausmacht, die Vermischung von Einsatz und Privatem, wie die beruflichen Partnerschaften alles andere dominieren, wie die Ehen scheitern am Druck und der tägliche Einsatz manchmal nicht härter macht, sondern nur müde und verletzlich - das dreht Maïwenn ein wenig weiter.

Die Grausigkeiten wären wahrscheinlich nicht auszuhalten, würde "Polisse" nicht immer wieder ins Komische ausbrechen, grandios ist die Episode, in der eine arabischstämmige Polizistin angesichts einer muslimischen Zwangsehe einen mehrminütigen Wutausbruch hat - dafür gab es Szenenapplaus -, oder jene, in der zwei Partnerinnen, die sich viel zu nahe gekommen sind, mit aller Gewalt ihre Bande brechen.

Und dann die Fälle: Einmal nehmen die Polizisten die Aussage eines Mädchens auf, dass ein paar Jungs zu Diensten war, um ihr Handy wiederzubekommen. Du weißt schon, fragt eine Polizistin, dass du das nicht hättest tun sollen? Hey, sagt sie, es war ein Smartphone. Das ist grotesk und verstörend, aber weit hergeholt ist es nicht. Hysterischer Humor ist da die einzige Antwort.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum der Film "Habemus Papam" in Italien schon vorab für Aufregung sorgte.

Mit oder ohne Papst

Nanni Moretti fürchtet seit jeher ausgetretene Gedankenpfade - so ist auch "Habemus Papam" auf jeden Fall originell und galt in Italien, wo der Film schon vor dem Festival zu sehen war, als einigermaßen unbotmäßig. Einen Papst, der nicht will oder nicht kann, den kann es eigentlich nicht geben - wenn die Kardinäle den Willen Gottes verfügen, dann muss der Allmächtige ja wohl für den Rest gesorgt haben.

Moretti denkt über einen Systemabsturz im Vatikan nach: Stoßgebete erfüllen das Konklave bei der Abstimmung, bitte, Herr, nicht ich. Es erwischt dann den französischen Kardinal Melville (Michel Piccoli). Man quetscht grade noch aus ihm heraus, er nehme die Wahl an, aber dann sagt er, er kann das nicht. Der Papst irrt nie. Und was nun?

Der Papst weigert sich, auf den Balkon zu treten, es wird flugs ein eitler Analytiker (Moretti) bestellt, der auch nicht helfen kann, dann büxt der Heilige Vater aus. Der Pontifex inkognito schließt sich einer Theatertruppe an, und von da an geistert Tschechows "Möwe" durch den Film. Er habe, erklärt Melville seiner neuen Analytikerin, Schauspieler werden wollen, aber die Schauspielschule hat ihn abgelehnt. Am Ende ist er eine Version Treplevs, der beruflich alles erreicht hat und dem dabei sein Leben abhanden kam.

Es gibt also ein paar Spitzen gegen die andere Religion, die Psychoanalyse, ein paar sehr komische Beobachtungen zu medialem Wahnsinn, und die Idee, dass man im päpstlichen Appartement tagelang einen dicken Wachmann verstecken kann, der sich mit Kuchen vollstopft, ohne dass das Weltgeschehen davon beeinflusst wird.

Ein bisschen Analyse, ein bisschen Flucht und ein Volleyballturnier mit Kardinälen, das ist alles ganz lustig. Hätte Nanni Moretti etwas konzentrierter eine Geschichte erzählt, statt mehrere anzureißen - dann hätte "Habemus Papam" mehr Gewicht.

Aber vielleicht will er uns genau davon erzählen: dass die Dinge, im Guten wie im Schlechten, einfach weiterlaufen. Mit oder ohne Papst.

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