64. Filmfestival Cannes:Die alte Mätresse

Wenn Cannes an diesem Mittwochabend zum 64. Mal eröffnet wird, bietet das Filmfestival das genaue Gegenteil der letzten Berlinale: wenige Entdeckungen, aber große Namen. Was ist da los?

Susan Vahabzadeh

Es sei das Geheimnis von Cannes, dass es seine Unabhängigkeit konstruiert habe, sagt Gilles Jacob, der von 1977 bis 2001 künstlerischer Direktor des Filmfestivals war und seither als dessen Präsident fungiert - er hat eine sehr poetische Art, das "beste Filmfestival der Welt", wie er es nennt, zu beschreiben, und sein Verhältnis dazu: "Cannes ist eine alte Mätresse, mit der ich schon alles durchlebt habe. Große Augenblicke der Freude und des Grollens, gleichermaßen leidenschaftlich."

64. Filmfestival Cannes: Sie eröffnet die "alte Mätresse" Cannes: Die französische Schauspielerin Mélanie Laurent beim Photocall am Tag vor der Eröffnung der 64. Filmfestspiele.

Sie eröffnet die "alte Mätresse" Cannes: Die französische Schauspielerin Mélanie Laurent beim Photocall am Tag vor der Eröffnung der 64. Filmfestspiele.

(Foto: AFP)

In einem Interview mit der französischen Zeitung Libération hat Jacob seine Liebe zum Festival von Cannes am vergangenen Wochenende beschrieben - und wie viel Angst ihm die Macht manchmal machte in den 24 Jahren, in denen er allein verfügte, welche Filme am Wettbewerb um die Goldene Palme teilnehmen und welche nicht.

Jacob hat dann eine Methode entwickelt, diese Angst in Schach zu halten, die auch sein Nachfolger Thierry Frémaux angewandt hat für den diesjährigen Wettbewerb, der am Mittwochabend mit Woody Allens "Midnight in Paris" eröffnet wird - in Cannes setzt man auf große Meisterregisseure und zeigt ihre Filme auch dann, wenn sie mal danebengelangt haben, das krasse Gegenteil dessen, was Dieter Kosslick in diesem Jahr bei der Berlinale versucht hat.

In Cannes werden nun wenige Entdeckungen zu machen sein, dafür aber gibt es große Namen: Nanni Moretti stellt seinen Papst-Film vor, Terrence Malick zeigt seinen "Tree of Life", Lars von Trier ist mit "Melancholia" dabei, die Brüder Dardenne, die schon zwei Goldene Palmen haben, kommen mit "Le gamin au vélo", Aki Kaurismäki mit "Le Havre" und Almodóvar mit "La piel que habito". Und weil die Sache dann immer noch nicht sicher genug ist, gibt es noch ein paar garantierte amerikanische Publikumsmagneten außer Konkurrenz dazu - außer Allens Film sind das der nächste Teil der "Fluch der Karibik" und Jodie Foster mit "Der Biber" - und dabei wird dann vielleicht nicht das Kino neu erfunden, dafür aber stolzieren Johnny Depp respektive Mel Gibson über den roten Teppich.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was zu sehen sein wird.

Unter Hausarrest

Der Österreicher Markus Schleinzer gehört zu den wenigen Filmemachern, die auch ohne Referenzen in Cannes mitmachen dürfen - sein Regiedebüt "Michael" läuft im Wettbewerb. Schleinzer ist 39 Jahre alt und hat vorher als Schauspieler und vor allem als Casting-Director gearbeitet. In diesem Job hatte er dann doch schon mit Cannes zu tun - seit mehr als einem Jahrzehnt kümmert er sich um die Besetzung von Michael Hanekes Filmen, auch um "Das weiße Band", der vor zwei Jahren die Palme gewann.

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In seinem neuen Film skizziert Jafar Panahi die staatlichen Schikanen, denen er sich in seiner Heimat Iran ausgesetzt sieht. Er heißt In Film Nist (This is not a Film) und wird in Cannes zu sehen sein.

(Foto: AFP)

In "Michael" geht es um einen Pädophilen - und wenn Schleinzer die Maßstäbe erfüllt, die die Österreicher Haneke und Ulrich Seidl im Wettbewerb in Cannes gesetzt haben, die beide auf ganz unterschiedliche Art sehr drastisch von Gewalt und Verrohung erzählen, könnte einem da schon das eine oder andere Mal der Atem stocken. Aber auf Schock-Effekte hat Cannes sich schon immer verstanden, mancher Film war hier doch eine Herausforderung fürs Publikum.

So viel zum Mut der Festivalmacher. Wenn in Cannes dieses Jahr die neuen Filme des zu sechs Jahren Haft verurteilten iranischen Regisseurs Jafar Panahi und des ebenfalls verurteilten Mohammad Rasoulof laufen - dann beweisen die beiden Filmemacher mit ihrer Widersetzlichkeit selbst einigen Mut. Sie versuchen zwar beide in Berufung zu gehen, aber einstweilen stehen sie unter Hausarrest und sind zudem verurteilt zu zwanzig Jahren Berufsverbot.

Panahi, einer der bekanntesten iranischen Filmemacher, dessen Verurteilung schon bei der Berlinale ein großes Thema war, scheint einigen Galgenhumor zu besitzen: "Ceci n'est pas un film/Dies ist kein Film" hat er sein Werk genannt, in Anlehnung an Magrittes Pfeife, die keine ist. Und darüber, was genau denn nun ein Film ist, kann man sowieso streiten - was Panahi da nach Cannes hat bringen lassen, ist genaugenommen eine Datei auf einem USB-Stick.

Gezeigt wird, was da drauf ist, in Cannes trotzdem - und bis dahin gibt es vielleicht auch irgendeine Erklärung dafür, wie er es geschafft hat, überhaupt zu drehen.

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