65. Filmfestival Cannes:Alles so trüb hier

Michael Haneke erzählt vom Unausweichlichen: Sein neues Werk handelt von der erbarmungslosen Natur, die verlangt, dass alles, was lebt, auch sterben muss. Trostloses bieten die Filmfestspiele in Cannes auch von Thomas Vinterberg, Cristian Mungiu und John Hillcoat.

Susan Vahabzadeh, Cannes

Cannes ist für schlechtes Wetter nicht gemacht. Wenn es auf der Leinwand schon so bitterkalt ist wie in Cristian Mungius "Beyond the Hills", die Menschen so hartherzig sind wie in Thomas Vinterbergs "Jagten", sollte nicht auch noch ein eisiger Wind über die Stadt fegen; und eine mehrtägige Regenfront, unter der es gar nicht recht hell werden mag, macht traurige Filme noch düsterer.

65th Cannes Film Festival - Amour

Szene aus Michael Hanekes neuem Film "Amour": Emmanuelle Riva spielt eine Frau, die sich nach einem Schlaganfall in ihr Appartement zurückzieht.

(Foto: dpa)

Cannes bläst Trübsal. Weil auf der Croisette dadurch naturgemäß ein bisschen weniger Trubel herrscht als sonst, nutzt ein altes Ehepaar die Gunst der Stunde für einen kleinen Spaziergang: Hand in Hand, ganz fröhlich, eindeutig nicht im Kino gewesen. Der Anblick hat dann doch etwas Versöhnliches - genau das Richtige nach einem Film, in dem es keinen Trost geben kann.

"Amour", der neue Film von Michael Haneke, ist ein Kammerspiel, nur am Anfang sieht man Georges (Jean-Louis Trintignant) und Anne (Emmanuele Riva), ein Ehepaar jenseits der Achtzig, wie sie sie ein Konzert besuchen. Es wird das letzte Mal sein. Die beiden sind wohlhabend, aber nicht reich, sie leben in einem wunderschönen Altbau, und in den Räumen sieht man die Spuren eines von Musik und Büchern und Liebe erfüllten Lebens.

Davon wird das, was ihnen bevorsteht, keinen Deut leichter. Anne hat einen Schlaganfall, man kann ihr nicht mehr helfen; die beiden ziehen sich nun in ihr Appartement zurück wie Tiere in eine Höhle. Georges versorgt sie, manchmal mit Hilfe einer Schwester, aber er geht nicht mehr ans Telefon und versucht die Tochter Eva (Isabelle Huppert) daran zu hindern, die Mutter zu sehen, die mehr und mehr verfällt.

Die französischen Filme des Österreichers Michael Haneke sind immer ein wenig weicher als die österreichischen, aber dennoch erzählt er sonst von dem Grauen, das durch gesellschaftliche Fehlstellungen entsteht, dem Schrecken, den Menschen aus Dummheit, Überheblichkeit und Schwäche erzeugen. Was Georges und Anne widerfährt, das ist die grausame, erbarmungslose Natur, die verlangt, dass alles, was lebt, auch sterben muss. Darius Kondji hat die Kamera gemacht für Hanekes Film, in dem jedes Bild und jede Einstellung, jeder kleine Dialog eine Geschichte bereichert, die einen ganz leise und ohne großes Aufhebens bis ins Mark erschüttert.

Ein Drama von Menschenhand

Haneke erzählt vom Unausweichlichen; es ist vielleicht die größte Schwäche von Cristian Mungius "Beyond the Hills", dass das Drama in weiten Teilen von Menschenhand gemacht ist. Voichita ist Novizin in einem kleinen, ärmlichen Kloster, Alina, die ihre beste Freundin war im Waisenhaus, kommt zu Besuch. Sie will die Freundin mit nach Deutschland nehmen - und beginnt durchzudrehen, als Voichita sich weigert.

Sie kann nirgendwo hin, es ist tiefster Winter, und wie karg und unwirtlich die Welt für die zwei Mädchen immer gewesen ist, zeigt Mungiu eindrucksvoll. Alina stört den knöchernen Klosterfrieden so sehr, dass die Oberin und der Priester sie einem Exorzismus unterziehen. Warum das allen Beteiligten außer dem Opfer an irgendeinem Punkt unausweichlich vorkommt, hat Hans-Christian Schmid schon einmal besser erzählt in "Requiem".

Da sind die Prozesse, die eine Bemerkung der kleinen Klara auslösen in Thomas Vinterbergs "Jagten" besser nachgezeichnet. Klara fühlt sich vernachlässigt, und weil Lucas (Mads Mikkelsen), der beste Freund ihres Vaters und ihr Kindergartenlehrer, sie zurückweist, macht sie eine kleine, verzweifelte, unrichtige Bemerkung - sie möge ihn nicht, sagt Klara, weil sein Pimmel sich nach oben recke. Eine irritierende Aussage - die Kindergartenleiterin muss der Sache nachgehen. Das macht sie erst ganz vorsichtig.

Doch dann geraten die Dinge außer Kontrolle, bis angeblich die halbe Kindergartengruppe von Lucas missbraucht worden ist und der ganze Ort auf Lucas und seinen halbwüchsigen Sohn losgeht. Wie die Angst vor Missbrauch eine Hexenjagd, eine kolossale Überreaktion auslöst - das ist das Gegenstück zu dem besten Film, der über die Notwendigkeit, Missbrauch zu thematisieren, gedreht worden ist, "Das Fest" (1998) - mit diesem Film wurde Vinterberg bekannt.

Mechanismen der Unerträglichkeit

Dass er die Ästhetik der Dogma-Arä nicht wiederholt in "Jagten", ist genau richtig - aber es ist genauso richtig, wenn er den Film mit denselben Mechanismen der Unerträglichkeit inszeniert. Da sind zum einen dieselben unfassbaren, nicht enden wollenden Momente, in denen etwas schief läuft und man gequält auf seinem Sitz herumrutscht - Klaras Gespräch mit einem Psychologen beispielsweise, der ihr Bekenntnis, sie habe nur Quatsch erzählt, ignoriert und dann eine wahnwitzige Geschichte von dem verängstigten Kind abnicken lässt.

65. Filmfestival Cannes: Wolkendecke im Hintergrund: Der österreichische Regisseur Michael Haneke präsentiert seinen neuen Film "Amour" bei den 65. Filmfestspielen in Cannes.

Wolkendecke im Hintergrund: Der österreichische Regisseur Michael Haneke präsentiert seinen neuen Film "Amour" bei den 65. Filmfestspielen in Cannes.

(Foto: AFP)

Und mit derselben Beharrlichkeit, mit der Christian in "Das Fest" immer wieder auf die Familienfeier zurückkehrt und den Vater des Missbrauchs anklagt, erkämpft sich Lucas Gehör. Eine Jagdszene am Beginn des Films wirkt belanglos - wenn der Film das Thema am Ende wieder aufnimmt, ist die Jagd eine perfekte Parabel, mit der Vinterberg diese Geschichte, die für Lucas nie ein Ende haben wird, zu einem Schluss bringt. Obwohl da längst klar ist, dass die Aussagen nicht stimmen - wohl dem, der keinen Keller hat.

Für Vinterberg ist dieser Film ein Rückkehr zu der Bestform, in der er 1998 für "Das Fest" einen Spezialpreis der Jury bekommen hat; Mungiu ("Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage", 2007) und Haneke ("Das weiße Band", 2009) haben beide in Cannes schon die Goldene Palme gewonnen.

Der Australier John Hillcoat ist in Cannes ein Neuling - mit "Lawless" hat er wohl keinen heißen Palmenanwärter gedreht, aber es ist auf jeden Fall erholsam, wenn ein Wettbewerbs-Film mal nicht an infektiöser Schwermut leidet. "Lawless" (Drehbuch: Nick Cave), spielt im Hinterland von Virgina zu Zeiten der Prohibition. Jack Bondurant (Shia LaBeouf) will ein echter Kerl werden und seinen beiden legendären Brüdern zur Hand gehen im Schwarzbrennerei-Geschäft, just in jenem Moment, in dem aus der Stadt ein gegelter Spezialagent kommt, um der umtriebigen Familie das Handwerk zu legen.

Er hat nicht damit gerechnet, dass die Bondurants nicht nur den Ruf der Unbesiegbarkeit haben, sondern tatsächlich eine zähe Bande sind. Es entspinnt sich ein Kleinkrieg, sehr brutal, trotzdem oft komisch. Der Film stellt die Frage nach Gut und Böse sehr hübsch auf den Kopf - man hat am Ende das Gefühl, die Richtigen haben gewonnen, weiß aber nicht so recht, warum. Aber manchmal ist auch ein zweifelhafter Sieg ein Trost.

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