100. Album von Frank Zappa:Melodien von Mongolen

Frank Zappa; Dance Me This

Und, was gibt es zu hören auf Zappas 100. Platte? Musik für zeitgenössischen Tanz .

(Foto: Zappa Records)

Ob das überhaupt hörbar ist? Auf dem 100. Album von Frank Zappa gibt es keine Musiker - abgesehen vom Komponisten selbst und drei mongolischen Sängern.

Von Thomas Steinfeld

Im Januar 1993 trat eine Gruppe mongolischer Sänger im Auditorium der Technischen Universität von Kalifornien in Pasadena auf. Sie boten traditionelle Kehlkopfgesänge dar: Das sind Tonfolgen, die dadurch entstehen, dass ein Musiker, während er singt, einzelne Obertöne aus dem Klangspektrum seiner Stimme heraustrennt, sodass sie als selbständige Töne erscheinen. Das kann sogar mehrstimmig funktionieren, ein Sänger kann also ganze Akkorde hervorbringen.

Seltsam unmenschlich klingen diese Töne in Ohren, die an der abendländischen Musik geschult sind, wobei man nicht genau weiß, ob man sie eher den mechanischen Klängen oder den Naturlauten zuordnen soll.

Es wird dieser zwei- oder dreideutige Charakter des Kehlkopfgesangs gewesen sein, der Frank Zappa auf den Gedanken brachte, die drei Musiker aus der Republik Tuwa in sein Studio einzuladen. Was dabei entstand, kurz vor dem Tod Zappas im Dezember desselben Jahres, ist wenigstens zum Teil auf einer Aufnahme festgehalten, die in diesen Tagen bei Zappa Records erschienen und die hundertste im Katalog dieses seltsamsten aller Helden der populären Musik ist.

Zählerei führt ins Nichts

Tatsächlich ist diese Schallplatte keine Kompilation aus dem Nachlass. Sie wurde noch als Werk konzipiert und trägt als solches nicht nur einen Namen, den ihr der Komponist gab, nämlich "Dance Me This", sondern verfolgt auch ein Programm: Frank Zappa hatte sich die sieben Stücke dieses Albums als Musik für zeitgenössischen Tanz vorgestellt. Und je öfter man sie hört, desto mehr leuchtet diese Aufgabe ein: Denn jedes dieser kleinen Werke ist eine Art Tableau mit einer gleichsam vertikalen Ausrichtung - hier geht also wenig voran oder strebt einem Ziel zu, wie es in der abendländischen Musik üblich ist, sondern die Musik bewegt sich zyklisch oder scheint sogar in einer kurzen Sequenz stehen zu bleiben.

Und wenn sich, wie das Titelstück "Dance Me This", eines dieser kleinen Werke tatsächlich für eine kurze Zeit nach gewöhnlicher populärer Musik anhört (ein Klavier spielt ein paar Takte, die nach Gospel und Keith Jarrett in den Siebzigern klingen), so kann man gewiss sein, sich auf unsicherem Terrain zu bewegen: Nur für ein paar Augenblicke bewegt sich die Musik in einem Sechs-Viertel-Takt, aber mit dieser Überschaubarkeit ist es bald vorbei und die Zählerei führt ins Nichts. Doch enthält dieses Stück eine Sequenz von vielleicht fünfzehn Sekunden Dauer, in denen Zappa zum letzten Mal als Gitarrist auftritt - stark verzerrt und dem bloßen Geräusch sehr nahe.

Es rumst und scheppert, donnert und klopft

Abgesehen von den drei mongolischen Sängern gibt es, außer dem Komponisten selber, keine Musiker auf diesen Einspielungen: Zappa nahm die Musik, wie er es schon bei "Jazz from Hell" (1986) und einigen anderen Platten getan hatte, am Synclavier auf, einem frühen digitalen Synthesizer, der bereits mit Samples arbeitete. Verglichen mit dem auch schon postum veröffentlichten und ebenfalls weitgehend am Synclavier entstandenen Album "Civilization Phaze III" (1994), ist "Dance Me This" jedoch zumindest über große Strecken noch für Menschen hörbar, die noch keinen Zugang zu neuer Musik gefunden haben: Auch wenn die Stücke keine - oder zumindest: keine erkennbaren - Melodien besitzen, so sind sie in ihrer Mehrheit diatonisch, also in den üblichen Tonleitern angelegt. Ohnehin wird das Synclavier (das bei Weitem nicht so beweglich klingt wie moderne Synthesizer) hauptsächlich benutzt, um Schlagzeug und Percussion zu simulieren. Es rumst und scheppert, donnert und klopft, und erst gleichsam in zweiter Instanz bauen sich Tonfolgen und Harmonien auf.

Ob das überhaupt hörbar ist, für viele Menschen? Ja, es ist. Man muss sich aber der Musik zuwenden, der Kopf muss klar sein, das Gemüt geduldig. Und man muss die Ohren den Klängen zuwenden, den Wechseln von Stille und Ton, der Dauer und den Rhythmen.

Dann entfaltet sich auch eine Komposition wie "Wolf Harbor" in ihren fünf Sätzen und mit ihren knapp dreißig Minuten Dauer: als ein kompliziertes, aber sorgfältig angelegtes Gewebe, das gelegentlich, vor allem in den rhythmischen Elementen des zweiten Satzes, an Edgar Varèse erinnert - an den Komponisten neuer Musik, der Frank Zappas erstes Idol geworden war, als Zappa, gerade achtzehn Jahre alt, das Cover (!) einer Schallplatte Varèses betrachtete. So schließen sich die Kreise.

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