Unfallversicherung:Bollwerk gegen die Arbeitnehmer

Im Buch-Zwei-Artikel "Das Kartell" wurden die Macht der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und ihr System der Verharmlosung dargestellt. Ein Leser meint, bei diesem Thema müsse man unbedingt am Ball bleiben.

Bild für die Forumseite vom 7.6.2018

Zahlt die Gesetzliche Unfallversicherung, wenn etwas passiert? Wärmedämmung in Brandenburg.

(Foto: Rainer Weisflog)

"Das Kartell" vom 26./27. Mai:

Bleiben Sie am Ball!

Wieder einmal decken Sie einen schlimmen Skandal auf, aber einen wichtigen Aspekt haben Sie dabei noch gar nicht angesprochen, das Haftungsprivileg zugunsten der Unternehmer (und Betriebsangehörigen). Paragraf 104 SGB VII stellt den Arbeitgeber (und andere Betriebsangehörige) grundsätzlich von jeglicher Haftung für Personenschäden frei, die durch einen Versicherungsfall (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) entstanden sind. Dieses Haftungsprivileg gilt zwar nicht, wenn der Unternehmer (oder Kollege) den Versicherungsfall vorsätzlich verursacht hat. Nach der Rechtsprechung reicht es dafür aber nicht, dass der Verursacher bewusst und gewollt gehandelt, zum Beispiel eine Sicherheitsvorschrift ganz bewusst und gewollt missachtet hat. Vorsatz nimmt die Rechtsprechung nur an, wenn auch der Unfall selbst gewollt und gebilligt wurde. Diese Latte hängt so hoch, dass in der Praxis niemand mehr herüberkommt.

Im Ergebnis ist Verletzten oder unter einer Berufskrankheit Leidenden der Weg zu den Zivilgerichten verbaut, sie erhalten von den Verursachern also keinen Ersatz der Schäden, die über die Leistungen der Berufsgenossenschaft (BG) hinausgehen (häufig ist der Verdienstausfall ja weit höher als die Leistungen der BG), und auch keinen Cent Schmerzensgeld. Das Bundesverfassungsgericht hat das für verfassungsgemäß gehalten, weil alleine die Unternehmer die BG-Beiträge bezahlen, der Geschädigte zum Ausgleich dieses Anspruchsverlustes Leistungen der BG bekomme, die sogar über die gesetzlichen Schadensersatzansprüche hinausgingen und die BG ein sicherer Schuldner sei, der - anders als ein Unternehmen - nicht insolvent werden könne.

Faktisch stellt die gesetzliche Unfallversicherung folglich ein Bollwerk der Unternehmen gegen Ansprüche ihrer Arbeitnehmer dar. Und das offenbar nicht nur nach Gesetzeslage und Rechtsprechung, sondern zusätzlich noch durch das in Ihrem Artikel beleuchtete, systematische Abwehren von Ansprüchen der Versicherten durch die BG. Im Licht dieser Praxis der Unfallversicherer sind die Argumente des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr vertretbar. Bleiben Sie am Ball, sonst versandet das Thema ganz schnell wieder!

Wolfgang Dierks, Syke

Neutrale Institution

Vereinfacht dargestellt ist die gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland etabliert worden, um die Haftung des Unternehmers für Mängel in seiner Verantwortung abzulösen: Der geschädigte Arbeitnehmer muss seine Ansprüche nicht gegen den Arbeitgeber geltend machen - mit möglichen Folgen sozialer Benachteiligung wie zum Beispiel Kündigung - sondern gegen die "neutrale" Institution der Berufsgenossenschaft. Das bedeutet, die gesetzliche Unfallversicherung kann letztendlich nur leisten, wenn der Zusammenhang zwischen körperlichem Schaden und beruflicher Tätigkeit eindeutig festgestellt werden kann (haftungsbegründende Kausalität).

Peter Matthies, Tornesch

Neuregelung ist nötig

Ein exzellenter Beitrag! Bestehende Missstände werden aufgezeigt, Betroffenen werden weiterführende Informationen an die Hand gegeben; es wird sich nicht gescheut, Ross und Reiter zu nennen. Aus eigenen Erfahrungen in 18 Gutachten ist feststellbar, dass es durchaus salonfähig ist, unliebsame Fakten, die die Versicherer belasten, aus den Akten beziehungsweise Befunden verschwinden zu lassen. Auch führen Interessenskonflikte dazu, arbeitsmedizinische Gutachten durch Verweis auf Urheberrechte vor drohenden rechtlichen Konsequenzen schützen zu wollen. Das Dilemma: Fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse treffen auf wirtschaftliche Interessen. Eine Neuregelung ist absolut erforderlich zur Wahrung der Rechte Betroffener!

Bärbel Resch, Ottweiler

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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