Türkei:Wo wird das noch enden?

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Nazi-Vergleiche, Drohungen, Ausweisung von Kühen: Leserinnen und Leser finden, dass sich Deutschland und Europa von der türkischen Regierung, allen voran von Präsident Erdoğan, zu viel gefallen lassen.

"Der Klügere gibt nach - aber nicht immer" vom 15. März, "Alarm bei der Nato" vom 14. März sowie "Türkische Drohungen empören Europa" und "Wichtiger Beitrag zur Integration" vom 13. März:

Gute Besserung!

Durch langjährige Kontakte und geschäftliche Aufenthalte im Rahmen meiner Tätigkeit für einen großen Maschinenbaukonzern mit Werken in Istanbul und Ankara habe ich Land und Leute kennen- und sehr schätzen gelernt. Umso bewegter erlebe ich das nicht nachvollziehbare Verhalten des Präsidenten, der die Türkei in die EU bringen möchte und dabei die demokratisch ausgerichteten Zugangsvoraussetzungen ablehnt sowie permanent europäische Länder brüskiert. Deutschen Abgeordneten die Einreise zu verbieten und bei Verboten, in Deutschland Wahlkampf zu betreiben, die "Nazikeule" zu schwingen, disqualifiziert ihn endgültig.

Damit dürfte der EU-Beitritt für die Türkei in unerreichbare Nähe gerückt sein. Dem Land kann man nur gute Besserung wünschen, und die erscheint nur möglich mit einer überwältigenden Ablehnung der von Erdoğan geforderten Verfassungsänderung. Wie viel mehr Unterdrückung von Journalisten und Oppositionellen will er damit wohl legitimieren? Günter Faßbender, Reichertshausen

Grenzen setzen

Türkische Staatsbürger, die in Deutschland leben, können sich selbstverständlich an der Abstimmung über die Verfassung der Türkei beteiligen, so wie sich deutsche Staatsbürger im Ausland auch an der Bundestagswahl beteiligen können. Über den türkischen Wahlkampf können sie sich durch die Presse oder im Internet informieren. Türkischer Wahlkampf auf deutschem Boden ist aber fehl am Platze, zumal nur Regierungsvertreter zu Worte kommen. Wenn Erdoğan internationale Rechtspraxis als "Nazi-Praktiken" bezeichnet - ein Ausdruck, der eher für seinen Umgang mit dem Rechtsstaat und demokratischen Freiheiten zutrifft - so ist es höchste Zeit, dass unsere Regierung diesem autoritären Machtmenschen Grenzen setzt und ihm klarmacht, welche rechtlichen Grundsätze auch für ihn gelten. Martin Ostermann, Münster

Erdoğan hetzt die Türken auf

Präsident Erdoğan und seine Minister spalten dieses Land, seitdem sie hier öffentlich auftreten. Ich erinnere an seinen Auftritt 1993 nach dem Hausbrand in Hattingen. Dort hat er angezweifelt, dass Deutschland das "Attentat" sicher aufklären wird, die Türkei wolle ihre eigenen Ermittler nach Deutschland senden. Hat zu "seinem Volk" geschrien - damals schon.

Er hat es geschafft, die türkische Gemeinde in Deutschland gegen uns aufzuhetzen. Mit Mahnungen wie "Assimilation (in Deutschland!) ist Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und der darauf folgenden Etablierung von Ditib-Moscheen mit aus der Türkei bestimmten, gesendeten Imamen hat er unsere türkischen Mitbürger instrumentalisiert und ihre Integration behindert. Wie soll da in Familien noch ein friedlicher Entscheidungsprozess gelingen? Ich erwarte von meinem Staat, dessen Bürger ich bin, Schutz vor solchen Auswüchsen.

Zum Thema doppelte Staatsbürgerschaft: Ich möchte nicht, dass Menschen in Deutschland ihr Stimmrecht ausüben können, die von der Türkei missbraucht, instrumentalisiert, beeinflusst werden auf allen Ebenen. Warum hören wir eigentlich nicht auf Cem Özdemir und all die Frauen, die diese Missstände schon lange benennen? Das ist nicht mehr zu ertragen.

Ich verlange eine offene Diskussion in meinem demokratischen Staat und nicht Talkshows, in denen einem türkischen Minister eine Plattform gegeben wird, zu lügen, zu verdrehen - und das noch auf Türkisch! Mieke Martini, Hebertshausen

Diskussion mit Oppositionellen

Verbietet man Erdoğan und seinen Ministern politische Werbeauftritte in Deutschland, schränkt dies das europäische Grundrecht auf Redefreiheit ein und erlaubt ihm, sich als die verfolgte Unschuld darzustellen und damit Ressentiments unter Türken in Deutschland und der Türkei zu schüren. Lässt man sie reden, bietet man ihrer menschen(-rechts)verachtenden, autokratischen Politik eine Bühne. Dieses Dilemma lässt die Bundesregierung recht würdelos herumeiern und reicht auch tief in die demokratische türkische Opposition hinein.

Um ihm zu entkommen, schlage ich vor, dass Kanzlerin Angela Merkel Erdoğan ganz offiziell nach Deutschland einlädt, um hier seine Ansichten darzulegen - allerdings in Form einer öffentlichen Podiumsdiskussion unter Anwesenheit von Presse, Funk und Fernsehen mit einem renommierten Gegner. Ich stelle mir Cem Özdemir oder Can Dündar vor.

Man male sich die möglichen Reaktionen aus. Die wahrscheinlichere: Er sagt ab, dann ist klar, dass er feige ist und seine Macht letztendlich nur auf Berufsverbote, Gefängnis und Terror stützt; nimmt er die Einladung an (unwahrscheinlich), käme es zu einer spannenden Diskussion, die ihn zweifellos öffentlich desavouieren würde, was jedoch sein Problem wäre. Dr. Andreas Freudemann, Afritz/Österreich

Über Unrecht berichten

Klar ist seit Längerem, dass es Erdoğan ausschließlich um sein Referendum geht. Dafür opfert er auch temporär die Beziehungen zu Europa, in der Annahme, dass sich das nach einigen Monaten wieder einrenken lässt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit endet das Getöse aus der Türkei am 16. April, mit dem Tag des Referendums. So weit, so klar. Wie aber bis dahin damit umgehen? An die deutschen Journalisten habe ich da eine Bitte: Stellen Sie doch nicht so sehr die Regierungsmitglieder in den Mittelpunkt. Berichten Sie stattdessen fortlaufend und jeden Tag über die Verhältnisse in der Türkei, zum Beispiel die Verhaftungen von Richtern und Journalisten, Schließung von Zeitungen, Repressionen gegen Oppositionelle und Andersdenkende, die Religionsfreiheit usw. Es ist mir klar, dass das weitaus schwieriger und sogar gefährlich ist. Aber es ist auch eine Chance. Gerhard Gleixner, Forst

Zwänge des Flüchtlingsdeals

Stefan Ulrich schreibt in "Der Klügere gibt nach - aber nicht immer": "Angela Merkel hielt sich bislang so zurück, weil ihr pathetische Gemeinheiten zuwider sind und sie Erdoğan nicht helfen will, Feindbilder zu errichten. Das ehrt sie." Inwieweit solche Motive Merkels Reaktionen beeinflussen, weiß ich nicht zu beurteilen. Dass es aber die Zwänge des Flüchtlingsdeals tun, ist sehr wahrscheinlich. Um den einwanderungsfeindlichen Stimmen die Argumente zu nehmen, hat sich Angela Merkel erpressbar gemacht - auf dem Rücken von Hunderttausenden Menschen, die seither als menschliche Verhandlungsmasse auf türkischem Boden jenseits der Menschenwürde festgehalten werden. David von Westphalen, München

Den Elfmeter nicht angetreten

Die EU hätte beispielhaft mit einer raschen und angemessenen Reaktion auf die Drohungen der türkischen Regierung gegenüber den Niederlanden ihren Bürgern ihre außenpolitische Daseinsberechtigung vermitteln können. Sie hätte öffentlich einen Standpunkt einnehmen können. Europa hätte in diesem Punkt sehr einfach und spontan europäische Identität herstellen können und beispielhaft den Vorteil von Geschlossenheit darlegen können. Die EU hätte damit gegenüber den Rechtsparteien punkten können, die sie demnächst abwählen wollen. Stattdessen: Die EU hat sich wieder mal als Gurkentruppe präsentiert und - zumindest ein Wochenende lang - in eigener Sache versagt. Ein Fußball-Vergleich: Es ist nicht so, dass in Brüssel ein Elfmeter verschossen wurde. Der Elfmeter wurde überhaupt nicht angetreten. Gerhard Ottinger, Hohenschäftlarn

Sehr unhöflich

Erdoğan hat einst deutsche Parlamentarier nicht zu dem in der Türkei liegenden Stützpunkt Incirlik einreisen lassen. Dort wollte niemand Wahlveranstaltungen und Großdemos anzetteln, lediglich den Stützpunkt inspizieren. Ich konnte seinerzeit jedoch nicht vernehmen, dass die Bundeskanzlerin - geschweige denn andere Mitglieder der Bundesregierung - die Türken als Nazis bezeichnet hatte. Man kann ergo schon sagen, dass dieser Herr aus der Türkei sich sehr unhöflich verhält - um es sehr gelinde auszudrücken. Rainer Mebes, Gröbenzell

Beitrittsgespräche beenden

Die Spannungen mit der Türkei sollten endlich ein Anlass sein, die Beitrittsverhandlungen für eine EU-Vollmitgliedschaft nicht nur "einzufrieren", sondern offiziell zu beenden. Schon seit längerer Zeit wird diese notwendige Maßnahme von unabhängigen Experten mit überzeugenden Argumenten begründet. Die Türkei wäre jedoch weiterhin ein privilegierter Partner als Alternative zum EU-Beitritt mit einer engen wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit. Dr. Rudolf Mittendorfer, München

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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