SZ-Werkstatt:Mail-Unfug

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Susanne Höll schreibt seit 2000 für die SZ, einst von Berlin, nun aus der Mitte Deutschlands. Zwischen 1985 und 1998 berichtete sie als Korrespondentin aus der DDR, Rumänien, der ČSSR, Albanien, Polen und Moskau. (Foto: N/A)

Pressesprecher heißen ja Pressesprecher, weil sie mit Medienmenschen sprechen sollen. Seit einiger Zeit aber wollen sie nur noch schriftlich kommunizieren. Susanne Höll erinnert das an harte Zeiten als Journalistin in Osteuropa.

Von Susanne Höll

Wer vor einem guten Vierteljahrhundert als Korrespondent in damals noch kommunistisch regierten Ländern Mitteleuropas arbeitete, wurde in Sachen Recherche hart geprüft. Damals konnte man nicht beim Sprecher einer Behörde anrufen. Die allermeisten Anfragen mussten schriftlich gestellt werden. Eine Garantie auf Antwort war damit nicht verbunden.

Diese seltsame Sitte erlebt hierzulande eine Renaissance. Die Mitarbeiter in etlichen Pressestellen, seien es Städte oder Landesministerien, Justizbehörden, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten mögen am Telefon recht ungern reden. Noch bevor das Anliegen überhaupt vorgetragen werden kann, erhält der Anrufer die Aufforderung: "Schicken Sie uns bitte eine Mail." Oft schon von den Assistenten, aber auch von den Referenten selbst. Den leise vorgetragenen Einwand, dass ein Pressesprecher doch Pressesprecher heiße, weil er mit Medienmenschen sprechen solle, ändert nichts. "Bitte Mail. Sie verstehen."

Nein, man versteht nicht. Jedenfalls nicht ohne erklärende Worte. Gut möglich, dass der Sprecher gerade eine wie auch immer geartete Affäre seines Hauses aus der Welt räumen muss, einen dringenden Termin mit den Oberchefs hat oder schlichtweg keine Ahnung von einem Thema, mithin Zeit braucht, um sich kundig zu machen - kein Journalist nimmt so etwas übel. Aber es gibt auch Sprecher, die sich auf diese Weise Fragen entziehen wollen, die sie als heikel oder störend empfinden. Oder sie haben womöglich Vorgesetzte, die kein Interesse an Publizität hegen und lieber Schweiger statt Sprecher beschäftigen.

Der Mail-Unfug grassiert überall. Auch in Berlin. Bei der politisch unverfänglichen Frage nach dem Bestand von Feldhasen in Deutschland, verwiesen etwa Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums am Telefon auf Internetseiten, die keinerlei Aufschluss brachten. Also doch eine Mail, mit Bitte um präzise Zahlen. Die schriftliche Anfrage wurde tatsächlich beantwortet - knapp 24 Stunden nach Erscheinen des Artikels in der SZ.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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