SZ-Werkstatt:In der Chaosphase

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Annette Ramelsberger, Gerichtsreporterin der SZ, recherchierte während und nach dem Amoklauf von München. Sie schreibt seit Langem über Terror und Extremismus - an den Tatorten und später vor Gericht. (Foto: SZ)

Wenn sich erst alles schütteln muss: SZ-Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger über die Recherche nach einem Terroranschlag.

Von Annette Ramelsberger

Wenn eine Bombe hochgeht, wenn ein Amokläufer unterwegs ist, gibt es eine Phase, die die Polizei "Chaosphase" nennt. Dann ist erst mal nichts klar, man kennt keine Hintergründe und muss auf alles gefasst sein. Erst allmählich klären sich die Dinge. Die Polizei ermittelt, wer der Mensch ist, der da schießt. Sie weiß dann auch, wo er wohnt und - mit Glück - nach mehreren Tagen, was ihn getrieben hat. Der wichtigste Faktor für die Erkenntnis ist die Zeit: Die muss man sich nehmen, um den Dingen auf den Grund zu gehen.

Die "Chaosphase" gibt es auch für Journalisten. Und erst allmählich schälen sich die belastbaren Tatsachen aus dem Wust an Informationen heraus, die auch auf die Reporter der Süddeutschen Zeitung eingeprasselt sind. Ein plastisches Beispiel: Wie lautet der wirkliche Name des Amokläufers von München? Heißt der Mann nun David S., wie ihn die SZ nennt, oder Ali David S., so wie ihn andere Medien nennen? Oder gar Ali Dawoud S., in arabischer Schreibweise, wie er in manchen Mails an die SZ genannt wird, in denen erregt gefragt wird, warum wir seinen echten Namen verschweigen.

Die SZ hat die Frage des Namens bereits am Samstag mit amtlichen Stellen erörtert. Die Antwort: In seinem Reisepass steht David S. Seine Schulkameraden nannten ihn Ali. Es stellte sich dann fünf Tage später heraus, dass der Amokläufer vor ein paar Jahren seinen Namen geändert hat, in allen amtlichen Dokumenten steht David. Auch seinen Familiennamen kennt die SZ, aber wir schreiben ihn nicht - im Gegensatz zu anderen Zeitungen. Denn der Amokläufer hat einen Vater, eine Mutter und einen kleinen Bruder, die unter diesem Namen weiterleben müssen. Das ist schwer genug. Die SZ möchte diese Familie nicht noch damit stigmatisieren, dass sie ihren vollen Namen nennt.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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