SZ-Werkstatt:Caffè freddo

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Italien-Korrespondent Oliver Meiler berichtet von den Schwierigkeiten der Berichterstattung, wenn alle Politiker im Urlaub sind.

Von Oliver Meiler

August in Italien - wer denkt da schon an Arbeit? Vielleicht ist das ja ein guter Moment, um mal wieder einem völlig haltlosen, nichtsdestotrotz boshaft hartnäckigen und durchaus ganzjährigen Vorurteil zu begegnen. Man verdächtigt uns Korrespondenten im Belpaese gemeinhin, wir hingen die meiste Zeit auf einer schönen Piazza bei Espresso oder Wein herum. Selbst in den Heimatredaktionen, wo sie es eigentlich besser wissen sollten, denken sie so - dort vor allem: "Na, auf der Piazza Navona?"

Nun, das Lamento ist natürlich mindestens ebenso verwegen wie das Klischee, gegen das es anzukommen versucht. Kapriziös schier. Rom ist ein wunderbarer Posten für einen Reporter, mit lauschigen Plätzen und Palästen voller Bühnen für Geschichten mit barocken Figuren. Den römischen Arbeitsalltag aber, den sollte man sich nicht so zurückgelehnt vorstellen, wie es die erlebte Urlaubsidylle suggeriert. Gerade der Dienst im August ist eher nicht so schön. Da liegt die Stadt halb benommen in ihrer trockenen, windlosen Hitze. Römer sind dann fast keine mehr da, nur Pilger mit Taschentüchern als Erkennungsfahnen und Touristen auf unsäglichen Segways, prekär wankend. Als wär das hier ein Zirkus. Zuweilen baden welche in der Fontana di Trevi, was natürlich gar nicht geht, aber vielleicht eine Geschichte fürs Vermischte abwirft.

Der Parlamentsbetrieb dagegen ruht im August. Die Ministerien sind knapp besetzt, die Ämter und Parteizentralen auch. Recherchieren ist dann schwierig. Früher war das politische und polemische Grundgetöse rund um Ferragosto fast vollständig weg, der ganze Apparat: wie auf stumm gestellt. Nun aber kommuniziert jeder Politiker mit seinem eigenen Apparat - über Twitter und Facebook, direkt vom Strand. Viel Stoff für substantielle Berichte ist selten dabei. Und so lockt dann eben doch manchmal die Piazza - zum Beispiel die Piazza San Bartolomeo auf der Tiber-Insel, in der schattigen Ecke links von der Basilika. Für einen caffè freddo oder so.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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