Syrien:Alte Feindbilder, neue Feindbilder

Nach einem mutmaßlichen Chemiewaffenangriff führen die USA, Frankreich und Großbritannien einen Militärschlag gegen Syrien aus. Leser warnen davor, sich vorschnell in eine möglicherweise kriegerische Auseinandersetzung zu begeben.

Forum 16.4.18

Rote Linien - für wen? SZ-Zeichnung: Fares Garabet

Zu den Berichten über den Syrienkonflikt:

Gewalt ist immer ein Scheitern

Die Hoffnung, dass das Ende des Kalten Krieges vor nahezu 30 Jahren eine weltweit nachhaltige Friedensperiode und das Ende der Atomrüstung einleiten würde, hat sich nicht erfüllt. Die sogenannte Friedensdividende gelangte nie zur Auszahlung. Im Gegenteil, heute gibt es mehr nuklear bewaffnete Staaten denn je. Wir erleben eine Weltgemeinschaft, die den Anschein erweckt, dass die kriegerische Auseinandersetzung als Mittel der Konfliktlösung wieder zunehmend Akzeptanz findet. Der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann hatte bei seiner Einführung im Jahre 1969 gesagt: "Ich sehe als Erstes die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Nicht der Krieg, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir uns alle zu bewähren haben."

Es wäre wünschenswert, wenn sich die verantwortlichen Weltpolitiker in diesen Tagen an diese Botschaft erinnern. Gewalt, in welcher Form auch immer, ist stets ein Scheitern. Wie die Geschichte der Menschheit jedoch zeigt, wird der militärischen Option regelmäßig die Priorität eingeräumt. Die Falken bestimmen derzeit die Weltpolitik. Alte Feindbilder aus den Zeiten des Kalten Krieges werden zu neuen Feindbildern. Für die Nato ist Russland mittlerweile ein Feind statt strategischer Partner, und für Russland ist die Nato nun die größte Bedrohung. So wird Vertrauen in die Politik zerstört. Alfred Kastner, Weiden

Deutschland als Vermittler

Im Stil eines jugendlichen Amokläufers erklärt ein viel älterer narzisstischer Sponti per Tweet den Krieg. Stehen labilen Regierungschefs bei Nervenkrisen eigentlich Psychiater zur Seite? Säbelrasseln diente autoritären Staatschefs stets als bewährtes Mittel, um Enttäuschungen unzufriedener Bürger in Patriotismus umzulenken. Der amerikanische Präsident Donald Trump unterstützt mit seinen Wechselbädern der Gefühle dieses Treiben von Putin oder Erdoğan, statt anderen Völkern mit "Wandel durch Handel" Hoffnung auf Wohlstand zu machen, den UN-Sicherheitsrat und den Internationalen Gerichtshof zu stärken und die anreisende Untersuchungskommission erst einmal arbeiten zu lassen. Wenn die Welt aus den Fugen gerät, kann Deutschland keine Insel der Seligen bleiben und verdruckst den Kopf in den Sand stecken. Ehemalige deutsche Kanzler oder Außenminister mit guten Verbindungen könnten als Vermittler nach Moskau, Damaskus, Washington oder Teheran reisen. Europa sollte sich darüber im Klaren sein, dass mit Feindbildern und bei Nichteinmischung die nächste Kriegsflüchtlingswelle nicht ausbleiben wird. Und die Friedensbewegung? Rolf Sintram, Lübeck

Erst einmal genau untersuchen

Ich denke, die allermeisten Deutschen, die allermeisten Menschen dieser Welt wollen keinen Krieg, dennoch besteht die Gefahr, dass sie sich durch ihre Regierungen in einen solchen hineinziehen lassen. Eine Gefahr, deren möglicher katastrophaler Ausgang gar nicht absehbar ist. Angeblich hat der syrische Präsident Giftgas eingesetzt, und die USA haben das mit einem Militärschlag vergolten, mit Großbritannien und Frankreich an ihrer Seite. Ohne Despoten wie Assad, Putin, aber auch Erdoğan, "schönreden" zu wollen: bewiesen ist gar nichts. Warum gibt es keine Untersuchung? Es gibt genügend Hinweise, dass "Rebellen", sehr häufig mit islamistischem Hintergrund, angebliche Beweise fälschen und selbst Giftgas eingesetzt haben. Also: Warum keine genaue Untersuchung? Nicht vergessen ist beispielsweise die Präsentation gefälschter "Beweise" für die angeblichen Massenvernichtungsmittel des Diktators Saddam Hussein durch den damaligen US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat. Diese zwischenzeitlich von ihm selbst zugegebene Lüge sollte die völkerrechtswidrige Invasion im Irak durch US- und britische Truppen rechtfertigen.

Die Menschen dieser Welt sollten sich Gehör verschaffen, Europa und Deutschland sollten sich nicht als willige "Vasallen" in im Ausgang nicht absehbare, vielleicht katastrophale Kriegsabenteuer hineinziehen lassen. US-Präsident Trump, die britische Regierungschefin May und Frankreichs Präsident Macron haben mehr oder weniger große innenpolitische Schwierigkeiten, wir sollten ihre kriegstreiberischen Muskelspiele nicht unterstützen. Dr. Martin Radde, Gronau

Wir wären am meisten betroffen

Seit mehr als einem Jahr lese ich, dass US-Präsident Donald Trump unzurechnungsfähig, infantil und unfähig ist. Ausgerechnet, wenn er mit einem Militärschlag droht, stehen die westlichen Politiker geschlossen hinter ihm. Bis heute gibt es keinerlei Beweise, dass Assads Armee verantwortlich für den Giftgasangriff ist, aber offenkundig reicht heute ein Verdacht, um Krieg zu führen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron behauptet zwar, dass er Beweise hätte. Die hatte die britische Premierministerin Theresa May angeblich auch. Es sind inzwischen Wochen verstrichen, die vergiftete Julia Skripal hat inzwischen das Krankenhaus verlassen. Aber weder Politiker noch Medien fordern von May, endlich diese Beweise vorzulegen. Ich erwarte ja kein Ultimatum. Macron wird wohl genauso geheimnisvoll schweigen.

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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Ich kann nicht verstehen, warum die Bundesregierung nichts unternimmt, um der Bedrohung des Friedens im Interesse ihrer Bürger entgegenzutreten. Wenn die Bundeskanzlerin von "schweren Indizien", die Assad und Putin belasten, redet, dann gibt es zumindest genauso "schwere Indizien", die die Besetzer von Duma belasten, die unmittelbar nach dem Gift-Angriff plötzlich bereit waren abzuziehen. Noch eins: Sollte es je zu einem Krieg zwischen den USA und Russland kommen, dann werden die Europäer am schwersten betroffen sein. Wieland Becker, Berlin

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