Sprachlabor:Sag's mit Tucholsky

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Ist das Wort "Zeitvertreib" ein übles, wie ein Leser meint, oder ein positives? Hermann Unterstöger sucht sich Hilfe bei einem berühmten Autor.

Von Hermann Unterstöger

IST "ZEITVERTREIB" ein übles, also zu meidendes Wort? Unser Leser W. nennt "Zeit-vertreiben" in einer Reihe mit "Gewaltbegriffen" wie "Zeit-schinden" und "Zeit-totschlagen", die ein Ereignis verhunzen, "das zum Wertvollsten gehört, was die Menschen haben": die Zeit. Die Rüge zielt auf die Kolumne Zeitvertreib, die neuerdings die Feiertagsausgabe der SZ belebt. Was den Wert der Zeit angeht, sind wir einer Meinung mit Herrn W. Ob indes das Vertreiben der Zeit so ruchlos ist wie das Totschlagen oder Schinden, darf doch angezweifelt werden. In gewissen Zusammenhängen, vor allem wenn das Reimwort Weib mit im Spiel ist, haftet dem Zeitvertreib durchaus etwas Liederliches an, und der Zeitvertreiber steht verdächtig nah beim Hanswurst und Possenreißer. Kurt Tucholsky schreibt über eine Rätselzeitschrift: "Darin waren Silbenrätsel enthalten und andre schöne Zeitvertreibe." Als einen dieser Zeitvertreibe wollten wir auch unsere Kolumne verstanden wissen.

MAN SOLL ZWAR NICHT auf andere deuten, aber manchmal tut es doch gut. Auf der Homepage der ARD/"planet wissen" ist ein Bild von Napoleon in "klassischer Pose" zu sehen, also mit der Hand in der Weste. Er trägt einen Zweispitz, darunter steht: "Napoleon mit Dreispitz". Bei uns passierte diese Zuweisung ohne Bild, dafür mit dem Hinweis, dass der Dreispitz ein Signet sei wie Marxens Rauschebart oder Einsteins Schnauzer. Auf Anregung unseres Lesers Dr. K. sei noch einmal festgehalten: Der Zweispitz ist der Nachfolger des Dreispitzes, seine aufgeschlagene Krempe bildet zwei Spitzen. Man kann ihn quer tragen wie Napoleon, aber auch längs wie Wellington. Einspitz könnte die hohe kegelförmige Haube heißen, die früher von edlen Frauen getragen wurde; sie heißt aber Hennin, genauer gesagt: der Hennin, und wird laut Mayers Konversationslexikon von 1885 ff. wie "annang" ausgesprochen. Hätten Napoleon und Wellington einen Hennin getragen, wer weiß, wie die Weltgeschichte verlaufen wäre.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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