Sprachlabor:Maul und Augen auf

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Im allgemeinen Ärger über die "Gaffer" ergreift ein Leser Partei für sie und meint, Journalisten sollten sich fragen, ob sie selbst immer auf der edlen Höhe eines "begründeten Informationsinteresses" seien.

Von Hermann Unterstöger

"JEDENNOCH GAFFTEN wir / das Maul und Augen auff / und hofften für und für." So Martin Opitz in seinen "Klag-Liedern", und wenn das auch seltsam klingt, so leidet es doch keinen Zweifel, dass gaffen hier den auch bei Grimm erwähnten Sinn von erwartend, hoffend, wünschend, gläubig blicken hat. Davon ist unser heutiges gaffen samt dem Gaffer weit entfernt, und es bedarf nur solcher Katastrophen wie der jüngsten Überschwemmungen, dass der allgemeine Ärger über die Gaffer wieder breitesten Raum an den Stammtischen und in den Medien einnimmt.

Wenn in solchen Zeiten einer wie unser Leser R. für die Gaffer Partei ergreift, so ist das an sich schon bemerkenswert, noch mehr aber wegen der Argumente, die er für sein Engagement ins Feld führt. Es hat sich deswegen zwischen ihm und dem Leserredakteur des Lokalen ein Diskurs entwickelt, der hier in den Kernpunkten wiedergegeben sei - nicht zuletzt deswegen, weil für unseren Berufsstand ein paar Notizen abfallen, die Anlass zur Gewissenserforschung sein können.

Zunächst sagt Herr R., dass jemand "sehr dumpf gestrickt sein" müsse, wenn ihn das von den Naturgewalten veranstaltete Schauspiel kaltließe. Wer davon mitgerissen wird, müsse jedoch kein Gaffer im abwertenden Sinn sein. Unser Kollege definierte daraufhin den Gaffer als einen Schaulustigen, der seine Sensationsgier über das Gemeinwohl stellt. Aus R.s Antwort darauf hier nur zwei Elemente:

Zum einen, schreibt er, stehe aus psychologischer Sicht hinter der Schaulust "möglicherweise das Bedürfnis, sich der eigenen Unversehrtheit zu versichern, indem man das Leid anderer miterlebt." Der Gaffer im ursprünglichen Sinn unterscheide sich vom Schaulustigen durch die Intensität der Betroffenheit. Seine Körperhaltung (offener Mund) zeuge davon: "Der Psychologe erkennt darin Staunen, Überraschung oder auch Überforderung." Zum anderen sollten wir Journalisten uns fragen, ob wir immer auf der edlen Höhe unseres "begründeten Informationsinteresses" stehen. Wird gemacht, Herr R.!

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