Sprachlabor:Auf Ausgleich gekämmt

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Hermann Unterstöger sinniert hier über Mögliches und Unmögliches. Und besänftigt hoffentlich damit erboste Leser, die sprachliche Schnitzer gefunden haben.

Von Hermann Unterstöger

"DU, MÖGLICHER LESER, wirst mich vielleicht verstehen, wenn . . ." Wer sich in einem Vorwort zu so einer Anrede verstiege, würde zu Recht darauf hingewiesen, dass mögliche Leser das nie zu Gesicht bekämen beziehungsweise dass sie, wenn sie es denn läsen, keine möglichen Leser mehr wären, sondern wirkliche. In diesem Sinn kritisiert Leser G. die Formulierung, dass "mögliche Wrackteile" gefunden worden seien: Man könne nur Teile finden, die möglicherweise von einem Unglücksflug stammten - diese aber seien wirklich. Herr G. stuft dergleichen als "lustigen sprachlichen Unsinn" ein, was den Schluss zulässt, dass er die Verkürzung insofern lächelnd gelten lässt, als sie das, was ihr an Logik fehlt, durch Bündigkeit wettmacht.

ALS SIE AUF EINER EINZIGEN SEITE des Münchner Lokalteils gleich von zwei Angeklagten erfuhr, dass diese zur Tatzeit "auf Krawall gebürstet" gewesen seien, fragte unsere Leserin G. nach, ob sie diesen ihr bisher unbekannten Ausdruck in ihren Sprachgebrauch übernehmen müsse. Wir, ganz auf Ausgleich gekämmt, antworten darauf so: Müssen Sie nicht, liebe Frau G., vergessen Sie's!

DAS FENSTER hat es in Poesie und Metaphorik weit gebracht. Das geht von Gottfried Kellers schöner Verszeile "Augen, meine lieben Fensterlein" bis herauf zum Zeitfenster, das sich anhört, als wäre es ein Loch, durch das wir aus der Zeit in die Ewigkeit schauen können. In Wirklichkeit bezeichnet man damit das für ein bestimmtes Vorhaben zur Verfügung stehende Zeitkontingent, und wenn dieses Muster auch für vergleichbare Fensterformen gilt, dann wäre das Möglichkeitsfenster jenes Kontingent an Möglichem, das für ein bestimmtes Vorhaben zur Verfügung steht. Unser Leser I. war von dem neuen Fenstertyp sichtlich angetan, und da man, wie schon Goethe sagt, das im Möglichkeitsfenster Verfügbare "beherzt sogleich beim Schopfe fassen" soll, tat er das auch gleich per Mail kund.

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