SPD:Wohin soll sie sich wenden?

Lesezeit: 5 min

Nach wie vor ist unklar, ob die SPD eine neuerliche große Koalition anstrebt. Leser bringen neben Neuwahlen und Minderheitsregierung alle möglichen Alternativen ins Spiel. Einer sieht die SPD in der Falle, egal, was sie macht.

SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: aa)

"Merkels müde Mühle" und "Die neuen Leiden der SPD" vom 25./26. November und "Minderheitsregierung - warum nicht?" vom 22. November sowie weitere Artikel zum Thema:

Sündenfall Hartz IV

Die SPD zu einer großen Koalition zu überreden, bedarf es nicht viel. Die Union braucht nur zuzugestehen, dass Hartz IV vollständig rückgängig gemacht wird und die besseren sozialen Regeln (Arbeitslosengeld und -hilfe) aus der Zeit davor wieder eingeführt werden. Die SPD hat vor mehr als zehn Jahren den Hartz-IV-Schock sofort gespürt. Parteiaustritte in großer Zahl waren die Folge. Viele andere machten eine Faust in der Hosentasche, und da ist sie bei nicht wenigen heute noch. Die SPD hat sich von dem Schröder-Produkt - für diese Partei eine Todsünde - bis heute nicht erholt. Etwa 100 000 Prozesse vor Sozialgerichten mussten Menschen über sich ergehen lassen. Wer dies mitgemacht hat, wählt nie mehr, was nicht wenigen Konservativen nur recht ist. Die einschneidendste Folge war die Gründung der Linken. Grob gerechnet waren zehn Prozent der SPD-Stimmen für immer weg.

Hartz IV ist nun mittlerweile bei den Unionsparteien angekommen. Viele haben nicht vergessen, dass für Hartz IV die Zustimmung des Bundesrates notwendig war, in dem die Union die Mehrheit hatte. Dies wurde weidlich ausgenutzt, um die Sache weiter zu verschärfen. Die AfD ist stark "Hartz-IV-durchtränkt". Das kostet die Unionsparteien vereinfacht gerechnet zehn bis fünfzehn Prozent. Das erklärt das schlechte Abschneiden der sogenannten Volksparteien - denen fehlen runde 25 Prozent - und erklärt das Desaster "Jamaika". Sie werden nie mehr die Stärke von früher zurückgewinnen. So einfach ist das. Dr. Paul Schreiber, Dortmund

Jetzt macht endlich!

Danke für Ihre Berichterstattung zum aktuellen Trauerspiel der Regierungsbildung. Dazu möchte ich gerne als "Arbeitgeber" der (ver)handelnden Damen und Herren meine Meinung sagen:

1. Ich habe gewählt - und mit mir jede Menge anderer Menschen in Deutschland. Einmal reicht. Es mag ja sein, dass das Wahlergebnis nicht optimal in die Planung der Parteien passt. Das ist mir aber egal. Wenn es einfach wäre, bräuchten wir ja keine Regierung.

2. Ich erwarte keine perfekte Lösung, sondern dass endlich aufgebrochen wird. In die richtige Richtung, das reicht erst mal. Das Leben ändert sich eh - keine Zeit, um auf Perfektion zu warten.

3. Jeder Tag, an dem sich nichts tut, kostet Geld. Diäten und Gehälter werden ja nicht fürs Nichtstun und Abwarten bezahlt.

4. Eine Neuwahl kostet Geld. Nicht nur die Organisation, sondern auch die Wahlkampfentschädigung (ein Schelm, der Böses dabei denkt ...). Das könnte man ja auch für sinnvollere Dinge ausgeben.

5. Wenn es die bisherigen Verhandler nicht geschafft haben, dann wechselt halt mal! Wenn im Falle einer Neuwahl alle bisherigen Verhandler nicht wiedergewählt werden dürften (denn sie haben es ja schon einmal nicht geschafft, eine Regierung zu bilden), gäbe es keine Neuwahl - wetten? Elisabeth Diehl, Stuttgart

Win-win-Situation - für die SPD

Das Ende von Jamaika ist ein Glücksfall für die SPD. Sie hat nun die einmalige Chance, eine zukunftsweisende Gerechtigkeitspolitik zu verwirklichen. Sie kann sich für die Bürgerversicherung, ein gerechtes Steuersystem, kostenlose Bildung, eine solidarische Europäische Union, internationale Friedenspolitik etc. einsetzen. Und das nicht nur aus der Opposition heraus, sondern aus der Regierung. Die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der CDU/CSU ist eine Win-win-Situation für die SPD. Entweder sie schafft es, in den Sondierungen die wichtigsten SPD-Inhalte durchzusetzen, oder sie deckt für alle Wähler*innen nachvollziehbar auf, wie unsozial die Union ist. So kommunikativ gestärkt, würde die SPD auch bei möglichen Neuwahlen gewinnen.

Dass der Parteivorsitzende diese Chance nicht erkannt hat, ist ihm vorzuwerfen. Genauso wie er für das schlechteste SPD-Bundestagswahlergebnis seit 1949 Verantwortung trägt. Die SPD kann sich in dieser entscheidenden Phase keinen Vorsitzenden leisten, der auch bei der zweiten und dritten Chance falsche Entscheidungen trifft. Dr. Kai Striebinger, Berlin

Wie neutral ist Steinmeier?

Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen erleben wir nun staunend eine Verkehrung des politischen Ablaufs für neue Regierungsbemühungen: Nicht die Parteivorsitzende der CDU wird aktiv. Nein. An ihrer Stelle greift der Bundespräsident ein und lädt die Parteivorsitzenden von CDU, CSU, SPD zum Sondierungsgespräch ein. Ein Novum! Das Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten zur Wahl des Bundeskanzlers nach Art. 63 GG umfasst praktischerweise vorhergehende Gespräche mit Politikern, die ihm einen mehrheitsfähigen Kandidaten benennen. Dieses Verfahren ist bestimmt vom Neutralitätsgebot des Bundespräsidenten. Diese Neutralitätspflicht ist meiner Meinung nach nicht mehr gewahrt, wenn der Bundespräsident jetzt mit potenziellen Koalitionspartnern ein Gespräch führt. Die Erwartungen der Öffentlichkeit sind hoch, die Hürden aber auch.

Ich wundere mich, dass der SPD-Vorsitzende seine Teilnahme zugesagt hat. Denn seine Eingangs- wie Ausgangslage zu diesem Gespräch bleibt mit 1:2 im Verhältnis zu CDU/CSU gegen ihn unverändert. Entsprechend wird die Resonanz in Medien und Wählerschaft sein, gegenseitige Vorhaltungen werden das politische Klima verschlechtern. So kommt dann zur bereits eingetretenen Schwächung der Bundeskanzlerin unnötigerweise die Schwächung des SPD-Vorsitzenden hinzu. Das hätte der Bundespräsident bedenken müssen. Er beschädigt den SPD-Vorsitzenden, und ein Schatten fällt auf ihn selbst, was - wie gesagt - vermeidbar ist. Alfred Höfert, Bonn

Weiteres Siechtum garantiert

Die SPD sitzt in der Falle. Was immer sie auch machen wird - große Koalition oder Neuwahlen -, sie wird am Ende entweder als Umfaller dastehen oder als eine Partei, die vor der staatspolitischen Verantwortung flieht. Entscheidet sie sich für die große Koalition, kann sie zwar für sich reklamieren "erst das Land, dann die Partei", gleichzeitig hat aber ihre ohnehin schon ramponierte Glaubwürdigkeit einen weiteren Tiefschlag erlitten; weiteres Siechtum ist garantiert. Entscheidet sie sich für Neuwahlen, stirbt sie womöglich den Heldentod. Denn ohne programmatische und personelle Erneuerung braucht die SPD gar nicht erst anzutreten. Horst Isola, Bremen

Ja, Minderheitsregierung

"Mehr Demokratie wagen!" Kein anderer Anspruch hat die Sozialdemokratie stärker geprägt. Er ist Kernbestand der sozialdemokratischen "Erzählung". Alle weiteren Bekenntnisse wie zum Beispiel "Aufstieg durch Bildung" wären ohne ihn nicht denkbar. Und genau dies wollen nun einige in der SPD für eine angeblich "staatstragende" große Koalition aufgeben. Die aufgekündigten Jamaika-Sondierungsgespräche haben eine erfreuliche Repolitisierung sowohl der Parteien als auch in der Bevölkerung zutage gefördert. Und nun wollen Teile der SPD Merkels Strategie der Politikverdrossenheit weiter tragen! Anstatt den neuen gesellschaftlichen Diskurs zu nutzen, zu öffnen und auch die sogenannten "abgehängten" Nichtwählergruppen im Geiste der Solidarität einzubeziehen. Eine Minderheitsregierung ist die Lösung, nicht das Problem.

Die Bundesrepublik hat soziologisch gesehen immer schon Minderheitsregierungen gehabt; jede Regierung mit politischer Mehrheit qua Verfahren hat angesichts der Wahlbeteiligung zu keinem Zeitpunkt die gesellschaftliche Mehrheit repräsentiert. Wenn der Staat aber auf immer weniger Teilen der Gesellschaft ruht, hilft auch staatstragende Attitüde mit politischer Mehrheit nichts. Die Angst vor der angeblichen politischen "Instabilität" einer Minderheitsregierung verhindert geradezu den aktiven, notwendigen Umgang mit der gesellschaftlichen Instabilität. Eine Minderheitsregierung muss begleitet werden von gesetzlich verankerter stärkerer Bürgerbeteiligung und Lobby-Kontrolle. Gesellschaftliche Demokratie statt scheinbarer politischer Stabilität, das wäre doch mal ein Ziel für die SPD außerhalb einer großen Koalition. Rainer Nolte, Bad Boll

Österreich als Mahnung

Wenn jetzt deutsche Journalisten die SPD mit abstrusen Argumenten in eine große Koalition drängen, hat die AfD beim nächsten Mal 25 oder 30 Prozent. Und dann wird Deutschland wieder unberechenbar und gefährlich. Den Effekt einer großen Koalition können Sie wunderbar bei uns in Österreich beobachten. Dort ist die extreme Rechte nicht deswegen so stark, weil sich die Österreicher durch besonderen Extremismus hervortäten, sondern weil sie die Nase gestrichen voll haben von der ewigen großen Koalition zwischen Parteien, die eigentlich Antipoden sind. Klaus Hudelist, Wien/Österreich

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: