SPD:Gerechtigkeit für Martin Schulz

Erst kam der Hype, dann die Flaute bei der SPD - und für diese gibt es nach Meinung von SZ-Lesern viele Gründe. Einer findet, man dürfe von Martin Schulz nicht zu viel verlangen: Aus dem Stand der Kanzlerin innenpolitisch Paroli zu bieten - das könne kaum einer.

Social Democrats (SPD) party leader Martin Schulz speaks with German Foreign Minister Sigmar Gabriel  during the final election rally in Duisburg

Der Neue und der Alte: SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz (links) mit Vorgänger Sigmar Gabriel.

(Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters)

"Frühjahr des Frusts" vom 20./21. Mai und "Zickzack, auf und ab" vom 17. Mai sowie weitere Artikel zu Martin Schulz und der SPD:

Alles aus dem Stand? Unmöglich

Natürlich hat Martin Schulz Fehler gemacht, die er inzwischen ja auch einräumt, und seine Partei hat sich vom Mitgliederjubel und -zuwachs nach seiner "Inthronisierung", die allerdings viel zu spät kam, täuschen lassen. Schulz und die SPD haben sich schlicht in der realen politischen Stimmung im Land und vielleicht auch im Medienhype geirrt. Medien greifen jede Aufregung gerne auf, das darf man aber nicht mit dem wirklichen Gewicht des Gegenstandes der Aufregung verwechseln.

Aber man muss Schulz auch Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die jetzt so großmäulig geäußerte Forderung an ihn, nun "endlich zu liefern" und konkret zu werden, verkennt doch die Tatsachen: Die SPD hat wie "Kai aus der Kiste" im Januar einen Spitzenkandidaten gekürt, der sich in Brüssel ein hohes Ansehen verschafft hat, aber die innenpolitischen Zusammenhänge in Deutschland seit Jahren nicht mehr aus der Nähe verfolgen konnte, wie es ein politischer Mandatsträger im Inland nun mal kann. Dass Schulz damit "aus dem Stand" von Januar bis September 2017 nicht sofort "liefern" und "aus allen Rohren" Kanzlerin Angela Merkel mit zahlreichen inhaltlichen Kritikpunkten angreifen kann, versteht sich doch von selbst.

Die Bewerbung um das Kanzleramt in der Bundesrepublik ist doch kein "Lehrlingsjob" beziehungsweise Anlernberuf. Dazu muss man bereits mit handfester innenpolitischer Erfahrung ausgestattet sein, um mit entsprechenden konkreten Forderungen die Amtsinhaberin angreifen zu können. In dieser Frage muss man dem ehemaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel eine Mitschuld geben, zu spät gehandelt zu haben. Es war wesentlich früher als zur Jahreswende 2016/17 erkennbar, dass er keine Chance gegen Merkel haben würde. Aber Schulz kann sie nicht haben, wenn man ihm nur wenige Monate Anlaufzeit gibt, von einer angemahnten "Augenhöhe zur Kanzlerin" ganz zu schweigen, wie sie von manchen Kritikern gefordert wird. Wilfried Mommert, Berlin

Erwartet werden Antworten

In vielen Gesprächen mit Freunden und Bekannten habe ich gelernt, dass eine Vielzahl von Missständen in unserem Land beklagt werden, die von der Politik nicht oder nicht zufriedenstellend aufgegriffen werden und die sie motivieren würden, eine Partei zu wählen, wenn deren Beseitigung ihr Ziel wäre. Folgende Missstände wären dies zum Beispiel:

Thema "Steuergerechtigkeit": Alle klagen darüber, dass Reiche und auch Konzerne nicht oder nicht angemessene Steuern bezahlen. Die Politik hat hier aus Sicht der Bürger bisher nahezu total versagt und ist, von Lobbygruppen beeinflusst, dem Thema weitgehend ausgewichen. Die Bürger, die die Steuern ehrlich zahlen, fühlen sich betrogen. Die übliche Ausrede - "dies geht nur in Absprache auf internationaler Ebene" - überzeugt nicht. Ideen gibt es dazu genügend. Nur der Wille zur Umsetzung scheint zumindest der Regierung zu fehlen. Die steuerlichen Mehreinnahmen könnten dann für dringende neue Aufgaben genutzt werden, ohne dass Verbrauchs- oder Einkommenssteuern erhöht werden.

Thema "Meine Kinder und Enkelkinder": Viele Bürger sind hoch besorgt über die Zukunft, das Einkommen und die finanzielle Absicherung ihrer Kinder und Enkelkinder. Keiner versteht, warum Schule und Universitäten kostenlos sind und Kitas und Kindergärten kostenpflichtig - dies in einer Lebensphase der Eltern, wo der finanzielle Spielraum besonders eng ist. Keiner versteht auch, warum viele junge Arbeitnehmer wiederholt nur Zeitverträge haben. Keiner versteht, dass der Staat trotz aller Lippenbekenntnisse nicht mehr in Bildung, insbesondere in die frühe Schulbildung, investiert und die Bildungseinrichtungen verrotten lässt.

Thema "Auseinanderdriften der Gesellschaft": Die Einkommen driften zunehmend auseinander, die Vermögensverteilung noch viel stärker, prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen weiter zu, und reale Einkommenssteigerungen erzielt nur eine "Oberschicht". Auch diejenigen, die von diesen finanziellen Entwicklungen nicht betroffen sind, sehen dies als gravierende Missstände, da sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Die Erosion des breiten gesellschaftlichen Konsenses spüren viele schon heute. Es werden konkrete Antworten erwartet, trotz der Standardgegenargumente "Gefährdung der Arbeitsplätze" und "Gefährdung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft".

Diese konkreten Maßnahmen, welche die Einkünfte der Betroffenen erhöhen oder deren Kosten senken, könnten sein: signifikante Lohnerhöhungen für "unterbezahlte" Berufsgruppen wie zum Beispiel in sozialen Berufen und im Bildungsbereich - hier ist insbesondere der Staat gefordert! Managergehälter, deren Boni und Altersversorgungen begrenzen, um Finanzmittel für höhere Löhne zu generieren. Reduzierung der prekären Arbeitsverhältnisse durch gezielte neue gesetzliche Regelungen, zum Beispiel durch Tarifbindung, Anspruch auf Vollzeit nach Teilzeit, höhere Mindestlöhne und mehr Festeinstellungen statt Zeitverträgen. Entlastung unterer Lohngruppen von Sozialabgaben und Entlastung mittlerer Einkommen von zu hoher Einkommenssteuer. Mehr bezahlbaren Wohnraum, der Mietkosten senkt oder limitiert. Dr. Herbert Schmidt, Weinheim

Richtung Totalitarismus

Dem italienischen Linguisten und Philosophen Raffaele Simone, der in "Frühjahr des Frusts" erwähnt wird, muss man die christliche Philosophie entgegenhalten: Danach ist das Böse für den Menschen nicht seinsursprünglich, sondern Folge missbrauchter Freiheit (Benedikt XVI.). Wenn der Mensch seinsursprünglich böse wäre, könnte man ihn für seine Taten gar nicht zur Rechenschaft ziehen. Und weiter heißt es in dem Artikel, bezogen auf Simones Aussagen: "Soziale Verantwortung, Machtbeschränkung, Chancengleichheit und Rücksicht auf das öffentliche Wohl" ... "müssten künstlich geschaffen werden". Ich meine, diese Ideale gab es auch im sogenannten real existierenden Sozialismus - samt künstlicher Schaffung. Bekanntlich hat das nicht funktioniert. Ideale mag man haben, aber wenn sie für alle gleichermaßen durchgesetzt werden sollen, kommt man beim Totalitarismus an. Dr. Bernhard Wach, Montabaur

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Nach den drei Landtagswahlen, die für SPD, Grüne, Linke und Piraten ein Desaster waren, wurde öffentlich viel über die Beweggründe des Wählers spekuliert. Dabei blieben viele Kommentare bei Vordergründigem stehen. Wenig Aufmerksamkeit bekam die Grundstimmung in Deutschland, welche die Menschen umtreibt. Es ist meines Erachtens eine diffuse Angst vor möglichen oder vermeintlichen Gefahren, welche die Wähler in Massen in die Arme der angeblich "Starken" von CDU, FDP und AfD treibt. Die Angst vor Terror, Kriegen, Cyberattacken, Wirtschaftsflauten, Zuwanderern etc. bestimmt, wo wir unser Kreuzchen machen.

Die Zeitungen sind voll von Berichten über Einbrecher oder Politiker, die ebenfalls an unser Erspartes wollen. Davon will der Bürger nichts wissen. Wohlstand teilen oder den Schwachen etwas abgeben, wie das der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz propagierte: Kommt überhaupt nicht in Frage. Die Masse fürchtet um ihren Besitz, ihre Arbeit und ihren Alltag und wählt diejenigen, die vermeintliche Sicherheit versprechen. Tatsächliche Gefahren wie die Zerstörung unseres Planeten oder die Unterwanderung unserer Sicherheitsapparate werden ausgeblendet.

Die neuen Mehrheiten verändern aber unseren Staat hin zu weniger Demokratie, mehr Überwachung, weniger Umweltschutz und mehr Ungerechtigkeit. Auch die Angst vor neuen Demagogen, wie Trump, Erdoğan, Le Pen, lähmt uns und lässt uns vor mutigen und notwendigen Veränderungen zurückschrecken. Conrad Fink, Freiberg am Neckar

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