Seehofer:Religionsfreiheit, zum Glück

Der Satz des neuen Innenministers, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, hat zahlreiche Leserinnen und Leser zu einer Reaktion veranlasst. Viele verweisen auf das Grundgesetz und mahnen Horst Seehofer zur Zurückhaltung.

Seehofer: SZ Zeichnung: Denis Metz

SZ Zeichnung: Denis Metz

Zu den Berichten und Kommentaren über Horst Seehofers Islam-Äußerung, vor allem "Seehofers Verseppelung" und "Was Deutschland prägt" vom 17./18. März:

Missbrauch des Amtes

Das Deutschland der Gegenwart wird zum Glück von keiner Religion geprägt, sondern vielmehr von der Freiheit, den eigenen Glauben oder auch Nicht-Glauben im Rahmen der geltenden Gesetze zu leben. Unser Land mag historisch von Christentum und Judentum geprägt sein. Seit fast 70 Jahren gibt es aber das Grundgesetz, das in Artikel 4 jedem Einwohner Deutschlands die freie Religionsausübung garantiert. Damit stellt sich die Frage nicht, welche Religion zu Deutschland gehört und welche nicht. Zu Deutschland gehört die Religionsfreiheit! Hier darf - Gott, Jahweh, Allah oder dem Universum sei dank - jeder nach seiner Façon selig werden! Die von Horst Seehofer angezettelte Diskussion ist überflüssig, nimmt man die Verfassung ernst. Seehofer missbraucht schon jetzt sein Amt für populistische Sprüche, die seiner Partei im Landtagswahlkampf in Bayern Stimmen bringen sollen. Dieses Verhalten ist für einen Bundesinnenminister höchst unangemessen. Dr. Angela Eberhard, München

Eher Wiggerl als Seppel

Heribert Prantls Schlagwort "Verseppelung" ist als Bezeichnung für Horst Seehofers Tun - zumal im Umkreis des Josefstags (19. März) - als Beleidigung aller redlichen Josefs entschieden zurückzuweisen. Was die Politik des neuen Bundesinnenministers bestimmt, ist vielmehr das Prinzip der Wiggerlisierung der Politik. Seit Jahren ist dieser CSU-Politiker mit Leidenschaft dabei, Ludwig Thomas "Lausbubengeschichten" in politisches Handeln umzusetzen. Die Leidenschaft des Anti-Helden Ludwig ("Wiggerl") besteht darin, anderen zerstörerische Knallfrösche und Kanonenschläge anzuhängen, Heiligen die Nasen abzuschlagen und die Familie zu terrorisieren, um dann engerlgleich zu beteuern "Es war doch alles ganz anders gemeint!" Der Journalist Martin A. Klaus charakterisiert dieses Verhalten in seiner Thoma-Biografie treffend: "In seinem Charakter liegt etwas Durchtriebenes. Bei Tadel und Strafe zeigt er eine für seine Jahre ungewöhnliche Kälte und hartnäckige, trotzige Unempfindlichkeit." Dr. Ulrich Scheinhammer-Schmid, Neu-Ulm

Übermaß an Toleranz

Richtig, es ist schon wieder acht Jahre her, dass der damalige Bundespräsident Christian Wulff, aus welchem Grund auch immer, sich zu der Äußerung hinreißen ließ: "Der Islam gehört zu Deutschland." Seitdem wird jeder (der Einfachheit halber), der die Korrektheit dieses Satzes anzweifelt, in die rechte Ecke gestellt. Jeder, der als Deutscher schon einmal längere Zeit im Ausland gelebt hat, weiß, wie schwierig es ist, sich in eine fremde Kultur (sie kann durchaus auch europäisch sein) einzuleben, sich an Sitten und Gebräuche anzupassen, und neue, gute Freundschaften in der anderen Sprache zu knüpfen, wo es im gehobenen Sprachniveau durchaus zu Missverständnissen kommen kann. Und nun gibt es seit vielen Jahrzehnten vor allem eine nicht unerhebliche Gruppe der Muslime, die meinen, sich von der dekadenten westlichen Kultur abgrenzen zu müssen, ohne natürlich auf die Freiheiten, die ihnen dieses Land bietet, zu verzichten. Nicht nur Bassam Tibi, auch viele europäisch orientierte und integrierte Muslime schütteln nur den Kopf angesichts dieses Übermaßes an Toleranz, in Ignoranz dessen, was offensichtlich in Moscheen gepredigt wird, über die Kopftuchdiskussion, über das Alkoholverbot im Islam, wissend, dass privat dieser sehr wohl genossen wird, und das selbstbewusste Auftreten jener Konservativen, die in der Islamkonferenz das Wort führen. Burkhard Colditz, Sindelsdorf

CSU und Mehrheitsmeinung

Ich möchte zu dieser Diskussion die aktuelle Lektüre von Sascha Adamek über den "Scharia-Kapitalismus" empfehlen. Allein seine Feststellungen über die mehr als undurchsichtige Finanzierung der Moschee-Vereine in Deutschland und deren vom deutschen Staat hingenommene oder gar geförderte Abschottung von der Öffentlichkeit ist mehr als bedenklich. Viele deutsche Bürger - es müssen keine Christen sein - beschleicht da ein ungutes Gefühl, zumal sich der Islam unverhohlen der Aufgabe stellt, andere Religionen zu verdrängen. Heute wird die Zahl der Muslime in Deutschland auf etwa fünf Prozent geschätzt, was aber angesichts anhaltender Zuwanderung und einer stark wachsenden muslimischer Bevölkerung nur eine Momentaufnahme sein kann. Seehofer, Söder und die CSU muss man nicht mögen, aber in dieser Frage sind sie nun aufgewacht und denken endlich so, wie die Mehrheit der nicht muslimischen Deutschen. Ist das populistisch, nur weil es die Mehrheitsmeinung abbildet? Mitnichten. Und verantwortliche Politiker sollten diesen Fragen auch dann nicht ausweichen, wenn sie befürchten, sich in Übereinstimmung mit der AfD wiederzufinden. Norbert Vogel, Schechen

Klare Kante, Frau Kanzlerin

Einerseits ist nicht hinzunehmen, dass unser Bundesinnenminister unmittelbar nach seiner Ernennung beginnt, am äußerst rechten Rand für "seine" Landtagswahl versucht zu fischen, dies sogar durch eine völlig unnütze, im Moment überhaupt nicht dringliche Grenzdiskussion verstärkt und dadurch einen Keil in die Mitte unserer Gesellschaft treibt statt zu integrieren. Andererseits mögen sich bitte doch alle diese Diskussion vorantreibenden Teilnehmer fragen, über was sie denn so eifrig diskutieren! Es hat keiner ein klaren Bild zur Definition "dazugehören" vor Augen, aber viele reden mit! Worüber nur? Angela Merkel möge doch bitte überprüfen, ob ein Innenminister, der die Bevölkerung aus Eigeninteresse spaltet, die richtige Person an der richtigen Stelle ist. Sie sollte klare Kante gegenüber ihren Ministern zeigen. US-amerikanischer Populismus hilft uns in der BRD wahrlich nicht! Günter Dalheimer, Rülzheim

Legitimer Platz

Gehört der Islam zu Indien? Diese Frage mag verwundern angesichts der Tatsache, dass Indien das zweitgrößte muslimische Lande der Erde ist. Indien ist historisch ein hinduistisch-buddhistisches Land. Die islamische Eroberung Indiens vom Nordwesten her erreichte einen ersten Höhepunkt mit dem Delhi-Sultanat im Jahr 1206, später dann durch die Mogulherrschaft vom 16. bis 18. Jahrhundert. Der Buddhismus wurde im 13. Jahrhundert nahezu eliminiert mangels Patronage durch die Hindukönige und durch massive Zerstörung buddhistischer Klöster von muslimischer Seite. Muslime haben aber das Land nicht nur beherrscht, sondern in herausragender Weise kulturell geprägt. Der Taj Mahal ist geradezu Symbol Indiens geworden. Dennoch gibt es nicht wenige Inder, die der Meinung sind, der Islam gehöre nicht zu Indien.

Was lehrt das? Die kulturelle Prägung eines Landes ausschließlich alt-historisch zu definieren, ist ebenso abwegig wie sophistisch zu unterscheiden, die Muslime gehören zu uns, der Islam aber nicht. Man wird nicht ad infinitum usque in Deutschland nur die Monstranz der christlich-jüdischen Prägung hochhalten dürfen, sondern vier Millionen Muslimen einen legitimen Platz einräumen müssen, der die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland bejaht.Prof. Adalbert J. Gail, Berlin

Orbanisierung Deutschlands

Der Verfassungs- und Innenminister reagiert auf die seit Tagen anhaltenden Anschläge auf Moscheen und den daraufhin ergangenen Hilferuf von Sprechern der Muslime in Deutschland mit der Ausschließung der Religion aus dem Spektrum "der zu Deutschland gehörenden" Religionen und betreibt damit eine Art Orbanisierung unseres Landes. Will er es in den Kreis der Visegrád-Staaten einreihen? Wie sollen seine AfD-affinen Äußerungen anders wirken als im Sinne einer Ermunterung derjenigen, die Muslime und Moscheen tätlich angreifen? Diese Leute werden sich durch die vordergründige Differenzierung des Islam von den Muslimen gewiss nicht davon abhalten lassen. Dr. Hartmut Rudolph, Hannover

Hinweis

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