Regierungsbildung:Plädoyer für mehr Gewaltenteilung

Je länger die Regierungsbildung im Bund dauert, umso mehr Gedanken machen sich Leser über das politische System in Deutschland. Einer erinnert an die Aufklärung, ein anderer möchte den Fraktionszwang aufheben.

Regierungsbildung: Der Staatstheoretiker Montesquieu forderte klare Zuständigkeiten.

Der Staatstheoretiker Montesquieu forderte klare Zuständigkeiten.

(Foto: mauritius images)

"Republik in der Schwebe" vom 25./26. November:

Hier ist es wie bei Machiavelli

Es ist erstaunlich, wie geschockt Politik und Medien sind, dass es nicht zu einer Jamaika-Koalitionsvereinbarung gekommen ist. Alle sind nur darauf fixiert, eine allmächtige Regierung zu bilden, deren Mitglieder ihre Pläne als bindende Absprachen verstehen, deren "Umsetzung selbstverständlich später die Mehrheit des Parlaments beschließt". Dann spricht man von einer stabilen Regierung. Das ist aber eine autokratische Regierung à la Machiavelli, der die Staatsräson als maßgebend ansah, Staatsräson - bezeichnenderweise auch heute ein gern gebrauchtes Wort.

Die Macht der Regierung beruht darauf, dass ihre parlamentarische Parteienmehrheit der Regierung - von Ausnahmen abgesehen - grundsätzlich zustimmt und damit ihr Kontrollrecht aufgibt. Deutlich macht das auch der Vorgang, dass den Koalitionsvereinbarungen die Parteigremien zustimmen und nicht das Parlament. Somit haben wir ein gespaltenes Parlament, der Parteienmehrheit obliegt die Gesetzgebung nach Vorgaben der Regierung und der Opposition die parlamentarische Kontrolle, aber beide ohne reale Macht! Demokratie heißt aber: Gewaltenteilung. Der Regierung obliegt nur die "vollziehende Gewalt", das heißt die Durchführung der Staatsgeschäfte. Dem Parlament obliegen die Kontrolle der Regierung und die Gesetzgebung. Es hat nicht die Aufgabe der Zustimmung zur Regierungsmeinung im Rahmen von Koalitionsabsprachen und Fraktionszwang. Darum ist eine unabhängige Regierung ohne verbriefte Mehrheit im Parlament die Urform der Demokratie.

Eine unabhängige Regierung kann bei der Durchführung der Staatsgeschäfte auf aktuelle Situationen im Rahmen geltender Gesetze reagieren. Sollte sie zur Durchsetzung ihrer Politik der Zustimmung des Parlaments bedürfen und eine schnelle Entscheidung erforderlich sein, kann sie sich durch Rücksprache mit den Parteivertretern (Fraktionsvorsitzenden) der Möglichkeit versichern, dass eine Mehrheit dem Anliegen zustimmen wird. Anderenfalls muss sie auf ihr Vorhaben verzichten. Somit sind einsame Entscheidungen der Kanzler(innen) in der Gewissheit, dass die Koalitionsmehrheit zustimmt, unmöglich. So läuft Regierungsarbeit demokratischer ab, als mit festgezimmerten Absprachen.

Dazu noch ein anderer Gesichtspunkt. Es ist undemokratisch, dass die Regierungsmitglieder sich selbst kontrollieren können. Bei der Wahl zum Kanzler kann man sich selbst wählen, man ist ja noch Abgeordneter. Aber dann darf man in einer Demokratie nicht mehr als Mehrheitsbeschaffer für seine eigenen Vorschläge abstimmen. Regierungsmitglieder müssen aus dem Parlament ausscheiden und Nachrückern Platz machen. Auch sollte das Kanzlermandat auf zwei Perioden beschränkt werden. Dann bedarf es zur "Wachablösung" keiner "Königsmörder". Eine Demokratie lebt vom Wechsel und neuen Ideen, nicht vom Weiter-so.

Prof. Jürgen Bussiek, Bünde

Unabhängige ins Parlament

Es war ja eigentlich schon lange absehbar, dass eine Zeit kommt, in der sich mit der wachsenden Zahl der Parteien/Wahllisten und der zunehmenden großen Herausforderungen die Mehrheiten in unseren Parlamenten nicht mehr nach dem alten, bequemen Parteienschema finden lassen. Deswegen gibt es auch viele schlaue Köpfe, die sich seit längerer Zeit Gedanken machen, wie sich unsere Demokratie verbessern ließe.

Die Vorschläge beinhalten neben mehr direkter Demokratie auch Ansätze, einen Teil der Parlamente durch Vertreter zu besetzen, die nicht über eine Partei in die Volksvertretung kommen. Wenn man die Vernunft vor das Parteiengeklüngel stellt, kann man auch mit einer sogenannten Minderheitsregierung die Geschicke eines Landes lenken. Unsere nordischen Nachbarn Dänemark, Schweden und Norwegen haben das schon lange vorgemacht. Darüber hinaus fehlt es unserer Politik am Bewusstsein, dass es eine Frage der Höflichkeit ist, seinen Brötchengebern, also den Bürgern gegenüber, die eigene Politik ständig zu erklären.

Ich finde, dass es der Bundeskanzlerin eine Pflicht sein sollte, regelmäßig die eigene Politik im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu erklären. Es ist ja auch in jeder Firma selbstverständlich, dass der Mitarbeiter seinem "Chef" Rechenschaft ablegt. Dann fiele es vielleicht so manchem Wähler leichter, bei einer etablierten Partei sein Kreuzchen zu machen.

Hermann Kobl, Ihrlerstein

Ohne Zwang

"Überraschende Allianzen" vom 27. November: Endlich erkennt das Parlament, die Legislative (die gesetzgebende Gewalt), seine eigentliche Aufgaben. Deshalb weiter so. Die Regierung ist nicht Gesetzgeber, sondern nur die Exekutive (Ausführende Gewalt). Wenn jetzt auch noch der Fraktionszwang aufgehoben würde, könnte in Deutschland eine echte Demokratie entstehen. Schön wäre es.

Karl Rohrer, Schliengen

Schweizer Modell

Es gibt eine natürliche Alternative zur großen Koalition und zur Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Nämlich das Schweizer Modell, anstatt der Sieger-Verlierer-Lösung. Die Bundestagswahlen geben die gegenwärtigen politischen Kräfte wieder. Die Regierung kann das Gleiche tun. So werden alle anteilsmäßig in die Verantwortung eingebunden.

Dr. Julius Effenberger, St. Blasien

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: