Polen:Die andere Wahrheit

Woran hakt es wirklich beim Museumstreit in Polen? Ein Leser, selbst polnischer Historiker, wiederspricht hier den Aussagen seines Kollegen Wlodzimierz Borodziej, wonach die neue Regierung die Ausstellung umbauen wolle.

Zum Interview "Abschied von Europa" vom 18. Mai:

Der polnische Kultusminister beschloss kürzlich, das seit 2009 im Bau befindliche Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig mit einer anderen Einrichtung, dem Museum des Krieges von 1939, zusammenzulegen. Diese Entscheidung löste eine Welle der Kritik in Polen und im Ausland aus, vor allem in Deutschland. Die Süddeutsche Zeitung druckte am 18. Mai ein Interview mit dem polnischen Historiker Włodzimierz Borodziej über die geplante Zusammenlegung der beiden Museen ab. Darin unterstellt Borodziej der polnischen Regierung unter anderem, dass sie die Ausstellung des Museums des Zweiten Weltkrieges umbauen und neue heroische Geschichtspolitik betreiben wolle, welche die polnische Nation als tapfere Kämpferin gegen die deutschen Besatzer glorifiziere.

Die SZ-Leser erfahren allerdings nicht, dass noch gar keine Ausstellung existiert, die man "ummodeln" könnte. Auch ist das seit sechs Jahren im Bau befindliche Museum des Zweiten Weltkrieges noch lange nicht fertiggestellt. Borodziej verschweigt zugleich, dass die bisherige Geschichte des im Bau befindlichen Museums von groben Fehlplanungen, Missmanagement sowie massiver Verschwendung von Steuergeldern geprägt ist.

Der Bau des Museums begann im Jahre 2010 und sollte laut Plan 2014 abgeschlossen werden. Für dasselbe Jahr war auch die Eröffnung des Museums vorgesehen. Seitdem wurden jedoch der Fertigstellungs- und Eröffnungstermin wiederholt verschoben. Heute spricht man vom Jahr 2017! Die ursprünglich geplanten Baukosten des Museums beliefen sich umgerechnet auf 58 Millionen Euro. Dabei blieb es aber nicht. Im April 2015 beschloss die Vorgängerregierung, die Baukosten auf 104 Millionen Euro zu erhöhen und den Übergabetermin auf 2016 zu verschieben. Aber auch diese Vorgaben (sowohl hinsichtlich des Termins als auch der Kosten) wurden nicht eingehalten. So ist das Gebäude des Museums bis heute nicht fertiggestellt, gleiches gilt für die Ausstellung. Wir haben es also mit einem handfesten Skandal um verschwendete Steuergelder im großen Stil zu tun.

Politisch ist für diese Verschwendung die inzwischen abgewählte Tusk-Regierung verantwortlich, in der konkreten Ausführung jedoch die Leitung des noch nicht existierenden Museums mit Paweł Machcewicz an der Spitze als Museumsdirektor, der sich weigert, die Verantwortung für das Debakel zu übernehmen. Borodziej stilisiert seinen Freund Machcewicz zum Opfer einer politischen Kampagne und preist die von ihm selbst mitkonzipierte Museumsausstellung, die es allerdings noch nicht gibt, als modern und "europäisch". Die deutsche Berichterstattung blendet leider die oben erwähnten Aspekte der Auseinandersetzung um das geplante Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig aus und malt stattdessen eine akute Gefahr für die historische Wahrheit und freie Geschichtsdebatte in Polen an die Wand.

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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