Pflege:Menschlich nicht mehr vertretbar

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Mutig und prägnant hat eine Krankenschwester in der SZ die desolate Situation in der Pflege geschildert. Die dort Beschäftigten demonstrierten in Berlin für bessere Arbeitsbedingungen. Aber politisch tut sich nicht wirklich was.

Für bessere Arbeitsbedingungen in der Kranken- und Altenpflege gingen in Berlin am 12. Mai zum bundesweiten "Tag der Pflege" viele Beschäftigte auf die Straße. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

"Ein Heim ohne Helferinnen" und " Der Ansturm bleibt aus" vom 28. Mai, " Menschliche Zuwendung wird halt nicht bezahlt" vom 25. Mai:

Viel muss sich ändern

Ein großartiges Interview. Das soziale Zäpfchen kann ich auch aus der sozialen Arbeit bestätigen, wo für uns die Bedürfnisse von Menschen in Notlagen vor unsere eigenen gehen. Zwei arbeitsrechtliche Umstände wären dringend zu erwähnen: Zum einen arbeiten viele Pflegekräfte in kirchlichen Einrichtungen mit besonderen "Loyalitätspflichten" und schlechterer Mitbestimmung außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes, Streik ist ausgeschlossen. Zum anderen dürfen (in nichtkirchlichen Häusern) nur Gewerkschaftsmitglieder in laufenden Tarifverhandlungen streiken: Missstände gibt es aber auch zu anderen Zeitpunkten, Verdi-unabhängige Betriebsgruppen sind sehr selten und chancenlos, außerdem können sich bei sinkenden Löhnen und höheren Lebenshaltungskosten immer weniger Beschäftigte den Mitgliedsbeitrag leisten. Viel muss sich ändern, fangen wir mit der Verbesserung der Pflege an. Carolin Breinker, Frankfurt am Main

Politiker, aufwachen!

Hut ab vor Frau Stoß, die die Situation so mutig, klar und prägnant schildert. Ich war selbst Krankenschwester (1959 bis 1972) und einen Teil davon zum Glück in der Schweiz. Ich bin seit dieser Zeit, auch mit eigenem Einsatz für eine Änderung, doch immer wieder fassungslos und wütend, dass dieser Beruf in Deutschland nie die Würdigung erfährt, die ihm gebührt. Es ist ein Einsatz mit allen Sinnen und körperlicher Kraft; dazu die ständige Angst, durch Unaufmerksamkeit den Tod eines Patienten zu verursachen, besonders auch während der Nachtwachen. Wie lange schlafen die Regierungen noch? Sind diesen der Patient und die die Patienten Pflegenden völlig egal? Ursula Horine, Konstanz

Wen wundert's

Die desolate Situation im Pflegebereich ist kein bisschen verwunderlich. Sie war politisch sicher nicht gewollt, ist aber Ergebnis politischen Willens und entsprechender Entscheidungen. Über Jahre hinweg wurde alles kaputtgespart; Pflege konnte gar nicht billig genug sein. Und so hat sich zunehmend eine Situation entwickelt, in der selbst dringend notwendige Standards nicht mehr eingehalten werden können, zum Beispiel in Bezug auf die Hygiene. Als ehemalige Pflegekraft, die ihren Beruf sehr geliebt hat, ist es für mich ethisch und menschlich nicht mehr vertretbar, in diesem Bereich zu arbeiten und damit nur den Zeitpunkt hinauszuzögern, an dem uns dieses System um die Ohren fliegen wird. Stephanie Thiel, Hamburg

Eindeutige Doppelmoral

Wir empören uns voller Entrüstung, wenn sich zum Beispiel ein milliardenschwerer Golfstaatler von einem armen Inder eine Niere kauft, damit der überleben und seine Kinder zur Schule schicken kann. Wir empören uns aber nicht, wenn ein milliardenschwerer deutscher Gesundheitsmarkt mit im Vergleich traumhaften Konditionen den Personalmarkt im Arzt- und Pflegebereich in halb Osteuropa leer kauft und dort die Versorgungssicherheit bedroht. Man sehe sich nur die Zustände in den Krankenhäusern und Pflegeheimen unmittelbar jenseits der deutsch-tschechischen-polnischen Grenze einmal an. Zum Dienst schnell mal rüber nach Deutschland, danach wieder zurück nach Hause. Den Menschen, die das tun, kann ich's nicht verdenken, solange sie - hoch qualifiziert - in ihren Heimatländern so miserabel bezahlt werden, wie das gegenwärtig der Fall ist. "Wirtschaftsflüchtlinge" einer anderen Art und völlig legal. Das ist doch gelebte europäische Solidarität, wenn die polnische Krankenschwester dem bettlägerigen deutschen Alten den Hintern wischt, während daheim die eigene Großmutter in ihren Exkrementen dahinvegetiert. Und es wird noch schlimmer kommen, wenn die - wie angekündigt - zusätzlichen Milliarden in unser Gesundheitssystem gespült werden, um mehr Personal bezahlen zu können. Marktwirtschaft und Arbeitnehmerfreizügigkeit nennt man das. Von Doppelmoral spricht keiner. Manfred Mader, Augsburg

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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