Paragraf 219a:Ein alter Streit bricht wieder auf

Werbung für Schwanger­schaftsabbrüche darf in Deutschland nicht gemacht werden - das untersagt der Paragraf 219a Strafgesetzbuch. Die Fronten diesbezüglich sind verhärtet wie eh und je, das zeigen diese Leserbriefe.

Paragraf 219a: Protest vor Gericht: Demonstrantinnen fordern in Gießen die Abschaffung des Paragrafen 219a.

Protest vor Gericht: Demonstrantinnen fordern in Gießen die Abschaffung des Paragrafen 219a.

(Foto: dpa)

"Der Paragraf der Nazis" vom 25./26. November und "Mit falschen Pizzen gegen Abtreibung" vom 24. November:

Grob anstößige Werbung

Die Banner bei den Demonstrationen in Gießen zeigen es deutlich. Die Forderung, den Paragrafen 219a ersatzlos zu streichen und der damit erhoffte Erfolg, die "Selbstbestimmung der Frau" zu stärken, klaffen weit auseinander. Ob die Demonstranten jemals einen Blick ins Strafgesetzbuch geworfen haben, ist höchst fraglich. Denn die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen fördert lediglich den Vermögensvorteil der Werbenden und wird dafür sorgen, dass die Werbelandschaft Deutschlands um grob anstößige Werbung erweitert wird. Denn genau diese zwei Aspekte will die Norm verhindern. Ist es wirklich vorteilhaft und der Selbstbestimmung dienlich, künftig an Litfaßsäulen Werbung zu sehen, die explizit darauf abzielt, Leben bereits im Keim zu ersticken? Jede Frau kann sich bereits jetzt umfassend in Beratungsstellen informieren und so, unvoreingenommen von plakativer Werbung, ihre Entscheidung treffen.

Verwundert bin ich zudem von den Argumenten der Abschaffungsbefürworter. So wird ein Streichen des Paragrafen damit gerechtfertigt, dass dieser aus der Zeit des Nationalsozialismus stamme und andererseits aber für eine massenhafte Tötung von menschlichen Lebewesen künftig geworben werden soll. Zudem erschließt sich mir nicht, dass die größten Kapitalismuskritiker in Form von Grünen-Abgeordneten nun das Kapital von Ärzten mit sittlich anstoßender Werbung mehren wollen und so den Kapitalismus in seiner, von gesetzlichen Einflüssen autonomen, Urform fordern. Christoph Schwarz, Burglengenfeld Ramon Rodriguez, Hirschau

Sinnlos

Wie kann es denn sein, dass (Un)Recht gesprochen wird in Deutschland gegen eine Vorgabe unserer höchsten Instanz, des Bundesverfassungsgerichts? Warum wurde sein Urteil nach zehn Jahren noch nicht umgesetzt? Welchen Sinn haben seine Urteile, wenn sie einfach ignoriert werden? Ingeborg Maucksch, Herrieden

Bevormundung der Frau

Beim Lesen kommt wieder die Erinnerung an die "Memminger Prozesse", die damals jegliche Rechtsstaatlichkeit außer Acht ließen. Geht das jetzt wieder los? Nur die betreffende Frau hat das Recht darüber zu bestimmen, ob sie ein Kind austragen will oder nicht. Jede Frau hat dabei ihren individuellen Grund, den es zu respektieren gilt.

Deswegen: Grundsätzlich Erlaubnis und Straffreiheit zum Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen, und zwar ohne Pflichtberatung, die viele Frauen als diskriminierend empfinden - diese Beratung muss unter dem Dogma der Freiwilligkeit stehen.

Ich frage mich, wie lange sich die jungen Frauen in diesem Land diese gesetzliche Bevormundung noch gefallen lassen. Gertraud Konradt, Germering

Kein Einzelfall

In Ihrer Berichterstattung wird zurecht darauf hingewiesen, dass der Paragraf 219a sich aus der Zeit des Dritten Reiches ableitet, somit ein "Nazi-Gesetz" darstellt. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um einen Einzelfall. Auch das Reichshebammengesetz in seiner ursprünglichen Fassung vom 21. Dezember 1938 ist, unbeschadet seiner Überarbeitungen und Neuverkündungen im Bundesgesetzblatt, immer noch in Kraft. Es besagt, dass ein Arzt zwingend eine Hebamme zur Geburt beiziehen muss, nicht jedoch eine Hebamme einen Arzt. Die Hintergründe sind bekannt: Ärzte sollten nicht durch die Betreuung von Gebärenden und Leitung von Geburten vom Einsatz an der Front abgehalten werden. Gerade in der heutigen Zeit mit großer Hebammenknappheit stellt dies Kliniken unnötigerweise und, man muss sagen, schändlicherweise, auch vor große Probleme. Dr. Ulrich Steigerwald, Mühlacker

Ekelerregender Flyer

Wir sind empört darüber, dass sich engagierte Ärztinnen und Ärzte von militanten Abtreibungsgegnern diffamieren und kriminalisieren lassen müssen, wenn sie in Not geratene Schwangere informieren oder Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Da der Schwangerschaftsabbruch nicht legal, nur unter bestimmten Bedingungen straffrei ist, arbeiten diese KollegInnen juristisch auf unsicherem Gelände. Sie können von jedem sogenannten "Lebensschützer" bedroht und angezeigt werden. Vor Gericht finden sie bisher keinen Schutz. Am 24. November 2017 wurde die Ärztin Kristina Hänel wegen "Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft" nach Paragraf 219 a zu einer Geldstrafe verurteilt. Wie die SZ in ihrem Artikel aufgezeigt hat, ist das ein Naziparagraf, der ursprünglich gegen jüdische und kommunistische ÄrztInnen gerichtet war und es bis heute schafft, Ärztinnen und Ärzte einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Der Arzt Friedrich Stapf wurde wiederholt als "Massenmörder" diffamiert. Kürzlich wurde sogar mit einem ekelerregenden Flyer versucht, die Bevölkerung gegen ihn aufzuhetzen.

Verantwortlich für dieses Flugblatt zeichnet die Deutsche Zentrumspartei, in deren Vorstand ausschließlich weiße, mehr oder weniger alte Männer sitzen. Die Staatsanwaltschaften bewerten das bisher als Meinungsfreiheit.

Als Ärztinnen, die in ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit die Not der Frauen kennengelernt haben, sind wir der Meinung, dass das Angebot und die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs zu einem flächendeckenden ärztlichen Versorgungsauftrag gehören. Ungewollt schwanger gewordene Frauen haben ein Informationsrecht und einen Anspruch auf wohnortnahen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Deshalb muss Rechtssicherheit für die den Schwangerschaftsabbruch durchführenden Ärztinnen und Ärzte geschaffen und damit den militanten Abtreibungsgegnern Grenzen gesetzt werden. Der Paragraf 219a ist längst durch das Bundesverfassungsgericht als antiquiert eingeschätzt worden und muss schnellstmöglich abgeschafft werden. Wir solidarisieren uns mit Kristina Hänel und Friedrich Stapf. Dr. Emma Auch, München und Dr. Ingeborg Oster, München

Zigtausende wollen adoptieren

Der Kommentar "Der Paragraf der Nazis" zeigt seine mangelnde Bereitschaft zum Diskurs schon in der diffamierenden Überschrift, die jedem, der mit dem Schuldspruch der Gynäkologin einverstanden ist, eine Nähe zu den Autoren des Paragrafen 219a unterstellt. Das Grundübel der Argumentation in dem Artikel aber liegt in der Bewertung menschlichen Lebens. Es ist ja unstrittig, dass Frauen und Männern die Unverletzlichkeit ihres Körpers und ihrer Würde zusteht. Es ist aber ebenso unstrittig, dass das Töten eines Menschen, der ohne die Hilfe anderer nicht leben kann, nicht grundsätzlich erlaubt sein kann. Und dies darf keine Frage des Lebensalters sein. Ein noch nicht ohne seine Mutter lebensfähiger Embryo darf tatsächlich nicht höher bewertet werden als das Leben seiner Mutter. Warum er aber im Umkehrschluss geringer bewertet werden soll, das erklärt die Autorin nicht, fordert es aber indirekt.

Der eigentliche Skandal aber liegt darin, dass man jungen Paaren oder werdenden Müttern in einer Notlage nicht die finanzielle und soziale Begleitung zukommen lässt, die notwendig wäre, das werdende Leben zu retten und den Menschen eine Entscheidung zu ersparen, die zwar legal, aber deswegen noch lange nicht in jedem Einzelfall legitim ist. Im Verein Donum Vitae versuche ich mit Vielen, eine offene Beratung, die den Wert des Lebens in den Mittelpunkt stellt, zu unterstützen. Dass diese eigentlich staatliche Aufgabe von privaten Vereinen geleistet werden muss, müsste unseren Staat beschämen. In Deutschland warten Zigtausende Ehepaare auf eine Adoption. Gleichzeitig wird Kindern ihr Lebensrecht verwehrt. Bernhard Meffert, Horhausen

Peinliche Urteilsbegründung

"Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache", begründete die Vorsitzende Richterin in Gießen das Urteil gegen Kristina Hänel. Mir wäre peinlich, den Gesetzgeber Parlament als Gesetzgeber des Paragrafen 219a zu bezeichnen, den die Nazis ausgaben. Da stehe ich eher beim Bundesverfassungsgericht, das ihm sein Versäumnis laut Meredith Haafs Artikel schon vor über zehn Jahren bescheinigt hat. Man hätte sich von einem Gericht schon gewünscht, dass es in der Begründung auf diesen Unterschied und das Verfassungsgericht eingegangen wäre und es nicht als eine normale Sache positivistischer Rechtsbetrachtung behandelt hätte. Wird so etwas an juristischen Hochschulen gelehrt? Klaus Wachowski, Alzey

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