Ostern:Jedem wird vergeben

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Hat Judas Jesus wirklich verraten? Oder hat der geliebte Meister seinem Jünger gar den Auftrag zur eigenen Auslieferung gegeben?

"Bruder Judas" vom 31. März/1./2. April:

Verhängnisvolle Projektion

Dem Artikel von Heribert Prantl über Judas als Jünger Jesu und die Folgen von dessen Fehleinschätzung als "Verräter" auf das geschichtliche Geschehen ist voll zuzustimmen - bis auf den Satz, in dem er schreibt, Judas habe Jesus "verraten". Dies ist eine Fehlübersetzung. Im griechischen Neuen Testament, und nur das zählt, verwenden der Apostel Paulus (im 1. Brief an die Korinther) und die Evangelisten in ihren Berichten über die Gefangennahme Jesu das konjugierte Wort "paradidomi", auf Deutsch wertneutral "übergeben, aushändigen, ausliefern, überantworten" etc. Nur zwei schriftstellernde griechische Heeresführer, Pausanias und Xenophon, verwenden dieses Wort 500 Jahre v. Chr. im Sinne einer hinterhältigen Tätigkeit und auch nur für eine militärische. Die Säbelei des Petrus und die Schar mit Schwertern und Knüppel im Garten Gethsemane kann wohl kaum als militärische Operation gedeutet werden. Die alten Griechen hatten für Verrat, Verräter und Verraten je ein anderes Wort (prodidonai). Verrat bedeutet den Bruch eines Vertrauensverhältnisses, eine hinterlistige, niederträchtige und illoyale Tat, in Unkenntnis des Betroffenen. Nach den Evangelien wusste Jesus jedoch von seiner Auslieferung, gab dem Judas sogar wortwörtlich den Auftrag dazu (Joh.13,27). Durch die Verleumdung des Judas als "Verräter" wurde er in der Geschichte zum Prototyp des "Ewigen Juden", seine Gestalt wurde auf das jüdische Volk projiziert, was verhängnisvolle Folgen in der jüdischen Leidensgeschichte hatte. Wolfgang Nies, Bissen/Luxemburg

Nicht im Dienst des Bösen

In der Tat hat Judas nicht im Dienst des Bösen handeln wollen, vielmehr erhoffte er, dass sein geliebter Meister beim Zugriff der Schergen endlich seine strahlende Herrlichkeit und seine göttliche Allmacht vor aller Welt erweisen könne. Bei vielen Juden lebte diese Hoffnung auf den Messias als machtvoll (politisch!) wirkenden Gott-König, der das irdische Reich in aller Stärke neu errichten würde. So auch später bei Saulus-Paulus, der die Christen hasste und verfolgte, weil der Gedanke des gekreuzigten Messias, des ohnmächtigen Gottes, für ihn ein kränkender Anstoß war - bis ihm ebendieser vor Damaskus erschien. Wir tun gut daran, diese Tragik des Judas anzuerkennen, fällt es doch auch heute noch vielen Christen schwer, das Herrenwort "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" (Jh 18,36) konsequent zu verstehen und sich danach zu richten. Johannes Roth, Kassel

Judas im Mittelpunkt

In Rothenburg ob der Tauber steht in der alten Wallfahrtskirche St. Jakob der Heilig-Blut-Altar von Tilman Riemenschneider aus dem Jahre 1501-04. Im Zentrum des Altars ist das letzte Abendmahl zu sehen. Auffallend ist, dass nicht Jesus, sondern Judas im Mittelpunkt steht. Dieser blickt mit dem Rücken zum Betrachter Jesus direkt an; Jesus blickt Judas an. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass die Figur des Judas aus der Gruppe herausnehmbar ist. Eine mögliche Erklärung: Jeder Pilger, der in Andacht und Gebet vor dem Altar niederkniet, soll sich selbst an die Stelle des Judas setzen. Jeder soll sich fragen: Wann, wo und wie habe ich Jesus verraten? Christlicher Glaube weiß nur zu gut um die Möglichkeit jedes Menschen, zum Verräter zu werden. Er weiß aber auch um die Möglichkeit der Reue und der Vergebung - für jeden. Martin Kuhli, Oerlinghausen

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