Nato-Debatte:Freund oder Feind?

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Über das von US-Präsident Donald Trump geforderte Ziel, dass jeder Nato-Staat zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung ausgeben soll, diskutieren Leser heftig.

SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte (Foto: N/A)

"In aller Freundschaft" vom 30. Mai, "Bündnis in Selbstverteidigung" sowie "Trump beklagt sich über Deutschland" vom 26. Mai:

Kräfte bündeln, nicht zerstreuen

Daniel Brössler und Robert Roßmann erinnern uns im Artikel "In aller Freundschaft" an den gescheiterten Versuch Frankreichs im Jahre 1950, eine europäische Armee zu etablieren und an die Blockade dieses Versuchs durch Großbritannien, weil es die Nato beeinträchtigen könnte; und tatsächlich ist es ein wichtiges militärisches Prinzip, die Kräfte zu bündeln, nicht zu zerstreuen.

Es gibt ganz offensichtlich Verwirrung (oder vielmehr willentliche Verwechslung) darüber, was Verteidigung bedeutet; dabei ist es genau das, warum Donald Trump einen Beitrag zur Nato für so bedeutend hält: Unwirksame Verteidigung führt zum Desaster, Europa hat das in zwei Weltkriegen herausgefunden. Großbritannien hielt trotz aller Differenzen (und die USA kamen in beiden Weltkriegen dazu) an dem wichtigen Prinzip "durch dick und dünn" fest, aber die heutige EU hat den Faden verloren und setzt Verteidigung mit vielen anderen Prioritäten gleich.

Die Angelsachsen - Großbritannien und die USA - glauben traditionell an individuelle Verantwortlichkeiten und Rechte. Ungewählte Prediger sind uns ein Gräuel. Die vergangenen Wahlen in den USA und in Großbritannien zeigen tiefe Unzufriedenheit und Ablehnung des Status quo. Wir und die USA waren in zwei Weltkriegen Freunde und Retter der Menschen in Deutschland, und damit in Europa, und wir vergessen dabei nicht unsere Allianz mit der Sowjetunion.

Es könnte für die EU sehr wichtig sein zu erkennen, dass uns ein neues Desaster ereilen könnte, wenn wir nicht zusammenstehen. Statt uns über die Zustände zu Hause zu beklagen, sollten wir daran arbeiten, unseren Kindern und Enkeln eine Situation wie 1945 zu ersparen. Das Letzte, was wir brauchen, ist europäisches Gemecker über US-Präsidenten und - schon wieder - Feindschaft mit Russland. Jegliche Hoffnung auf eine effektive EU-Armee, die unabhängig ist von den USA, ist unsinnig und verkennt die Fakten. Jeder militärische EU-Einsatz in Afrika zielt eher auf Handel als auf Verteidigung, obwohl auch das Thema Einwanderung eine Rolle spielt; vielleicht wäre nichtmilitärische Hilfe hier besser angelegt. Und damit wären wir beim Kern des Problems: Begriffsverwirrung über die Ziele.

Frank Stewart, Dorset/Großbritannien, Ehemals Chief British Liaison Organisation in Düsseldorf

Peinliche Unterwürfigkeit

US-Präsident Donald Trump hat erneut behauptet, dass 23 von 28 Nato-Staaten keinen angemessenen finanziellen Beitrag leisten, und eilfertig wird wieder auf die angebliche Selbstverpflichtung verwiesen, wonach zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgegeben werden sollen. Dabei werden vor allem zwei Fragen nie gestellt: Wie kann von einer Verpflichtung gesprochen werden, wenn der Bundestag nie darüber beraten, geschweige denn zugestimmt hat? Und: Wie viele Prozent des BIP geben die USA für die Rüstung aus und wie viel davon für die Nato? Will Trump Geld bekommen für die nicht erklärten Kriege, wie sie die USA etwa im Irak führen? Ich kann das weitgehende Schweigen, gepaart mit peinlicher Unterwürfigkeit der Nato-Politiker, nicht verstehen.

Gerd Baumann, München

So jemanden bekehrt man nicht

Mittlerweile sollte es den letzten Hoffenden klar geworden sein: Donald Trump ist im politischen Betrieb das, was man an einer Schule einen "Bully" nennt. Er ergötzt sich an seiner Macht, Befindlichkeiten anderer spielen keine Rolle, alles dreht sich um ihn selbst. Einschlägige Fachliteratur macht ganz klar: So jemanden bekehrt man nicht, weder mit Vernunft noch mit Strafe. Die beste Chance, eine solche Situation aufzulösen, ist es, die passive, stillschweigende Masse davon zu überzeugen, nicht wegzuschauen und selbst Initiative zu ergreifen. Verstanden Europa?

Christian Schauer, Wasserburg am Inn

Haltung zeigen

Es ist schon erschreckend, wie bedenkenlos die Kanzlerin der Forderung von Donald Trump zugestimmt hat, dass sich die Nato am Krieg gegen den IS beteiligen solle. Problematisch genug ist es schon, dass die Bundeswehr mit ihren Aufklärungsflügen über Syrien die Ziele für Bombenangriffe der Anti-IS-Allianz erkundet. Jeder Luftangriff tötet auch unschuldige Menschen und sorgt so dafür, dass den Terroristen der Nachwuchs nicht ausgeht. Nato-Mitglied Türkei steht im Verdacht, den IS unterstützt zu haben, ebenso Saudi-Arabien, das sich gerade über einen großen Waffendeal mit Trump freuen kann.

Durch die Beteiligung der Nato werden wir immer tiefer in die militärische Eskalation verstrickt. Dadurch steigt auch das Risiko von Terroranschlägen bei uns. Wie wäre es, stattdessen Waffenexporte in Krisengebiete zu stoppen und alles zu tun, um den IS von seinen Finanzquellen abzuschneiden? Es ist auch völlig absurd, die Rüstungsausgaben auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen. Die USA haben extrem hohe Rüstungsausgaben. Der IS ist erst in der Folge des Irakkrieges entstanden. Wir sollten uns einer solchen Politik klar entgegenstellen und nicht vor Trump einknicken, der sich ansonsten immer wieder bestätigt sieht und uns mit neuen absurden Forderungen überrascht. Haltung zu zeigen ist das Gebot der Stunde.

Winfried Wolf, Hamburg

Die Grenzen seiner Welt

Der Artikel "Trump beklagt sich über Deutschland" gibt die viel zitierte Äußerung Donald Trumps über Deutschland anders wieder als die meisten Medien. Die SZ folgt offenbar der Darstellung seines wirtschaftlichen Beraters Gary Cohn, Trump habe gesagt, die Deutschen seien "very bad on trade". Tatsächlich soll Trump im Zusammenhang mit den deutschen Außenhandelsüberschüssen aber schlicht gesagt haben: "The Germans are bad, very bad." Falls dies zutrifft - und das ist angesichts seiner bisherigen, zum Teil recht primitiven Ausdrucksweise keineswegs unwahrscheinlich - sollte man nicht so tun, als habe Trump sich gewählter ausgedrückt.

Bei der Deutung von Äußerungen des derzeitigen Präsidenten der USA ist nicht nur zu berücksichtigen, was die von ihm benutzten Worte im amerikanischen Englisch normalerweise bedeuten, sondern auch, dass die von ihm verwendete Sprache sich wegen seines offenbar beschränkten Wortschatzes auf relativ niedrigem Niveau bewegt. Wenn er zum Beispiel in das Gästebuch von Yad Vashem schrieb, der Besuch sei "so amazing" gewesen, also "fantastisch" oder "toll", ist das offenbar darauf zurückzuführen, dass ihm die passenden Worte fehlten, und zwar nicht unter dem Eindruck des unsäglichen Leids der Holocaustopfer, sondern infolge eines sehr begrenzten Vokabulars.

Hier gilt der Satz des Philosophen Ludwig Wittgenstein: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Die sprachlichen Schwächen Trumps ebenso vernachlässigen oder gar verdecken zu wollen wie etwa seinerzeit den verkürzten Arm Kaiser Wilhelms II., hieße, die Augen vor dem Weltbild des Präsidenten zu verschließen, der die Geschicke vieler Staaten maßgeblich beeinflussen wird. Anders als eine körperliche Behinderung offenbaren Einschränkungen in der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit die Grenzen des Denkens, zu dem der Behinderte fähig ist. So war es ein Fehler, wie teilweise geschehen, dem Präsidenten zu unterstellen, mit seinem Zickzackkurs zeige er nicht etwa seine politische Unbedarftheit, sondern verfolge eine Strategie. Eine solche Deutung war mit den Äußerungen Trumps nicht zu vereinbaren.

Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass die US-Außenpolitik auf mehrere Jahre nicht mehr einem konsistenten Plan folgen wird, sondern durch Entscheidungen bestimmt sein wird, die von Fall zu Fall und aus Gründen getroffen werden, die vorwiegend von einem Schwarz-Weiß-Denken bestimmt sind, welches rationalen Erwägungen nur begrenzt zugänglich ist.

Aksel Ritter, Koblenz

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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