"Mee Too"-Debatte:Eine Behauptung ist noch kein Beweis

Ich auch! Ich auch! Aber was eigentlich? Hat die öffentlich so rege geführte Debatte über das Verhältnis von Männern und Frauen überhaupt mit deren Alltagswirklichkeit zu tun - und ist sie hilfreich?

Beziehungsende

Mann gegen Frau, Frau gegen Mann: Ist eine öffentliche Debatte über das komplizierte Geschlechterverhältnis wirklich hilfreich?

(Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa)

"Es gibt viele Wedels da draußen" und "Küssen verboten" vom 10./11. Februar, "Sie waren Helden" vom 9. Februar, "Bleibende Schäden" vom 7. Februar, "Das Glück der Verführung" vom 30. Januar:

Bald ist jeder angreifbar

Der Grundsatz "Sprich jetzt, oder schweige für immer!" hat auch hier seine Gültigkeit. Wenn jeder, der einen, wenn auch nur eingeschränkten, Semi-Promifaktor hat, mit Anschuldigungen an die Öffentlichkeit geht und die Medien das mit ausgeprägter Schlagseite dankbar aufgreifen, wird man lange Zeit mit Aufarbeitungen beschäftigt sein. Die Vorgehensweise erweckt jedenfalls den Eindruck, dass es auch um Präsenz und die Einmahnung kollektiver Empathie gehen könnte. Man sollte Fakten ultimativ einmahnen und es nicht bei Behauptungen belassen.

Bleibt die Frage im Raum, warum das nicht zeitnäher angezeigt wurde, um die handelnden Personen unmittelbar zur Verantwortung zu ziehen. Eine Behauptung ist kein Beweis, um es mit Shakespeare zu sagen, sonst ist bald jeder, der sich in einer diesbezüglichen Grauzone bewegt, nach dem Prinzip der Beliebigkeit angreifbar. Martin Behrens, Wien/Österreich

Alles nicht neu

Über die "Me Too" -Debatte, die im eigentlichen Sinn gar keine Debatte, sondern eine sozial übergreifende Aneinanderreihung mehr oder weniger erotischer Situationen ist, wird seit geraumer Zeit ausführlich bis ausschweifend in allen verfügbaren Medien berichtet. Geschädigte werden mit einem aufbrausenden "Darüber kann man überhaupt nicht genug berichten", spontan zu Kämpferinnen für die weiblichen - ja, was eigentlich? Unantastbarkeit? Neutralität? Keuschheit? Selbstverständlich dürfen gewaltsame sexuelle Übergriffe weder auf Frauen noch auf Männer beschönigt oder gar negiert werden. Für diese Erkenntnis bedarf es keines weiteren Wortes. Mit derselben Selbstverständlichkeit darf ein Flirt nicht überbewertet und einer Liebe, die am Arbeitsplatz ihren romantischen Ursprung gefunden hat, herzlich gratuliert werden. Warum soll es verwerflich sein, als Frau bewundernde Blicke zu bekommen? Ein Kompliment, auf das man stolz sein müsste und nicht mit gezierter, aufgesetzter Prüderie Empörung heucheln.

Übrigens: Aus Karrieregründen den Weg durchs Schlafzimmer zu nehmen ist weder neu noch besonders erschütternd. Friederike Karsten, München

Selektiver Empörungswahn

Für wie doof hält man die Leser eigentlich? Da versuchen die Medien seit einem Dreivierteljahr zwanghaft zu suggerieren, dass es zur "Me Too"-Debatte nur eine "richtige" Meinung geben kann: Man muss das begrüßen, man muss - endlich, ich auch, ich auch - feiern, man muss betroffen gucken und nicken, sobald ein Schlagwort fällt. Wer das als Mann nicht tut, macht sich verdächtig, wer das als Frau nicht tut, ist eine "Verräterin" am Feminismus. Dieser ganze unterkomplexe selektive Empörungswahn ist in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft kaum zu ertragen, Klischee ersetzt Fakten, Feindbild-Pranger ersetzt Einzelfall-Rechtsstaat. Um Feinheiten ging es bei dieser Debatte ja nie. Kritik ist Kritik, die gehört sich nicht, wenn Frauen sich als Opfer outen. Hier wird eine mediale Parallelwelt geschaffen, die mit dem Leben der Männer und Frauen in diesem Land und dem Verhältnis zueinander in der Regel nicht das Geringste zu tun hat. Martin Deeg, Stuttgart

Moderner Pranger

Die "Me Too"-Debatte stimmt mich sehr bedenklich: Zum einen ist klar, dass sexuelle Nötigung und Vergewaltigung Straftaten sind, die angezeigt und bestraft werden müssen. Aber ist die öffentliche Debatte hilfreich? Besteht nicht die Gefahr, dass nicht nur Regisseure, sondern alle Männer, die in irgendeiner Form "Macht" haben (also zum Beispiel auch Lehrer oder Ärzte) an den Pranger gestellt werden können, wenn sie sich Unmut, Wut oder Enttäuschung zugezogen haben? Die Möglichkeit anonymer Anschuldigungen durch die sozialen Netzwerke macht es Betroffenen fast unmöglich, ihren einmal beschädigten Ruf wiederherzustellen. Ansonsten ist vielleicht ein gesundes Misstrauen am Platze, wenn ein Casting im Hotelzimmer anberaumt wird ... Sybille Böhm, München

Das Paar als Gegensatz

Das Geschlechterverhältnis des Feminismus und des Machismus verkennt weiterhin, dass Frau und Mann vor allem Menschen sind, dass der Mensch nur als Frau und Mann möglich ist und sich vermehren kann. Liebe und Sexualität sind vor allem Hingabe und die Fähigkeit dazu. Begehren und begehrt werden als Gegensatzpaar ist die Überwindung von Machtmissbrauch und Verachtung. Die Fähigkeit zu Schwäche und zu Stärke ist entsprechend für Frau und Mann unverzichtbar. Bei der Psychoanalyse Freudscher Prägung besteht das Primat des Triebes. Nach meiner Konzeption sind die Gefühle und die Gedanken die Hauptmotivatoren und Hauptregulatoren des Menschen. Leopoldo Alvares de Souza Soares, Göttingen

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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