Medizin:Kleiner Schnitt, große Lobby

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

forum@sueddeutsche.de

Die sogenannten Schlüsselloch-Operationen sind in die Kritik geraten. Zu Recht, findet ein Leser. Er berichtet von den Verbündeten dieser Verfahren: Die Industrie fördere diese Chirurgie aus Eigeninteresse.

"Auf Distanz" vom 28./29. April über die in die Kritik geratenen sogenannten Schlüsselloch-Operationen:

Zweifellos hat die laparoskopische Chirurgie in den vergangenen 30 Jahren zu Recht einen wahren Siegeszug in der Medizin erlebt. Bei einer verantwortungsbewussten Indikationsstellung und Expertise des Operateurs ist sie ein echter medizinischer Fortschritt. Allerdings wundert die in diesem Beitrag erwähnte hohe Zahl an Rück- und Todesfällen nach einer Schlüsselloch-Operation bei Gebärmutterhalskrebs nicht. Bei diesem minimal-invasiven Eingriff fehlt die Hand des Operateurs, die bei dem Krankheitsbild die lokale Ausbreitung des Tumors über die Gebärmutter hinaus oder einen derben Tumor-befallenen Lymphknoten ertasten kann. Endoskopische Instrumente können dabei die Haptik nicht ersetzen.

Die äußerlich kaum sichtbare Gewebstraumatisierung der kleinen Schnitte führte zu einer Aufweichung der strengen Indikationsstellung zur Operation. Schon die im Artikel zitierte erste endoskopische Blinddarmentfernung 1980 fand nicht an einem "entzündeten Wurmfortsatz" statt, sondern war in Wahrheit eine "Gelegenheitsappendektomie", die zur gynäkologischen Indikation des Eingriffs erfolgte, wobei auch der unauffällige Blinddarm entfernt wurde. Als damals mitoperierender Privatassistent von Kurt Semm kann ich das aus eigener Erfahrung belegen.

Die laparoskopischen Verfahren haben einen mächtigen Verbündeten: die Industrie, die die Ressourcen verbrauchende endoskopische Chirurgie im eigenen Interesse stark fördert. Das intensive Industrie-gestützte Marketing bietet in MIC (Minimal-Invasive-Chirurgie)-Kursen neue Instrumente und graduell abgestufte MIC-Zertifikate an. Die Internet-Seiten der Kliniken werben mit den Vorteilen der minimal-invasiven Methoden und den MIC-Zertifikaten ihrer Ärzte - eine gesponserte Überlegenheit. Konventionellen OP-Verfahren fehlt diese industrielle Lobby, da sie bei gleicher Indikation weniger verbrauchsintensiv sind.

Erstrebenswert ist der Einsatz endoskopischer und konventioneller Methoden in ergänzender Weise. Konventionelles Operieren hat weiterhin seine nachweisbare Berechtigung: "Die Hand ist das äußere Gehirn des Menschen" (Immanuel Kant).

Prof. Johannes Dietl, Würzburg

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: