Katalonien:Darstellung und Gegendarstellung

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Der Katalonien-Konflikt erhitzt auch in Deutschland die Gemüter. Hier eine kleine Auswahl der vielen Leserbriefe, die uns dazu erreichten. Selbstverständlich sowohl pro als auch contra Unabhängigkeits­befürworter.

"Forderung nach Freiheit" vom 16. April, "Angriff auf Spaniens Rechtsstaat" vom 11. April und "Ein Konflikt unter Katalanen" vom 9. April:

Auch die Katalanen hören

Es mutet wie eine Posse an, wie der spanische Ermittlungsrichter Pablo Llarena trotz nachgewiesener Fehlbeurteilung Menschen ins Gefängnis bringen kann. Wieso lassen sich deutsche Justizbehörden in Bezug auf die Auslieferung des von Spanien entmachteten katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont, der sich weiterhin als Präsident Kataloniens versteht, die spanische Rechtsauffassung erklären, ohne dass Katalonien das Recht zur Gegendarstellung bekommt? Es gibt in Katalonien mehrere Richter- und Anwälteorganisationen, die das Vorgehen der spanischen Justiz hart kritisiert haben. Vielleicht sollte man auch diese Stimmen anhören. Was muss eigentlich aus Spanien noch alles bekannt werden, bevor Deutschland seine Haltung korrigiert? Deutschland sollte klar zum Ausdruck bringen, dass es nicht einseitig nur mit der spanischen Regierung verhandelt.

Dieter Busch, München

Streben nach Identität

Das Recht auf Nationenbildung ist ein Menschenrecht. Es gehört zur Würde des Menschen, ist unveräußerbar und nicht relativierbar. Dem Recht liegt das Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit von Hierarchie zugrunde. Eine Rechtsordnung, die man nicht abschütteln kann, die keinen Austritt zulässt, um eine neue mit einem anderen Wertesystem zu errichten, ist ein Herrschaftssystem, das gegen das Völkerrecht verstößt. Wenn aber der Kapitalismus, der wie jedes andere Wirtschaftssystem nicht weltanschaulich neutral ist, mit seinem alles dominierenden Ziel der Renditevermehrung zur herrschenden Gesellschaftsordnung wird, treten die anderen, traditionellen Werte in den Hintergrund und Staaten wie Jugoslawien und die Tschechoslowakei zerfallen, und dann muss auch den Katalanen das Streben nach Identität und Würde zugestanden werden.

Dr. Andreas Triebel, Bochum

Hirngespinst von Nationalisten

Die Leserzuschrift der spanischen Botschafterin Victoria Morera ist eine Ohrfeige für die SZ und ihre bisherige Berichterstattung über den Katalonienkonflikt. Selten habe ich eine so voreingenommene und ungenügende Darstellung erlebt wie bei den Vorgängen in Katalonien, sei es der Konflikt innerhalb der Katalanen oder auch der Intervention durch die Zentralregierung in Madrid. Ständig hat man den Eindruck: die guten Katalanen, die ein bisschen Unabhängigkeit möchten, gegen die bösen Unterdrücker in Madrid. Diese Opferrolle wird von Carles Puigdemont gepflegt und gerne von Ihrer Zeitung aufgenommen. Die Mehrheit meiner Bekannten in Deutschland, die nicht eine längere Zeit in Spanien verbracht haben und der spanischen Sprache nicht kundig sind, wissen recht wenig über die Hintergründe dieses Konfliktes aufgrund ihrer unzureichenden Berichterstattung über alle daran beteiligten Parteien.

Die Mehrheit der Katalanen möchte keine Unabhängigkeit. Es handelt sich um ein Hirngespinst einiger Nationalisten, die sehr wohl die Massen zu bewegen wissen. Warum schreibt die SZ nicht einmal ausführlich über die demokratische Mehrheitspartei Ciudadanos der Katalanen im Parlament unter Führung von Ines Arrimadas? Warum berichtet die SZ nicht über die ständigen Manipulationen und die Rechtsdehnung des Parlamentspräsidenten Torres, der eine neue demokratische Regierung in Katalonien unmöglich macht und es folgemäßig auch keinen Gesprächspartner für die Zentralregierung in Madrid gibt?

Die Katalanen haben traditionell einen sympathischen Überheblichkeitskomplex gegenüber den übrigen Spaniern, auch aufgrund ihrer Tüchtigkeit. Aber es stimmt auch, dass es Katalonien in seiner ganzen Geschichte nie so gut gegangen ist wie bis zu dem Putsch der Separatisten.

Karl Heinz Huth, Mannheim

Straf- contra Verfassungsrecht

"Bessere Einsichten" vom 9. April: So sehr ich die differenzierte Berichterstattung der SZ über Katalonien schätze, so scheint mir doch der Kommentator hier einem häufig anzutreffenden Missverständnis zu erliegen, was das Verhältnis von Verfassungsrecht und Strafrecht betrifft. Thomas Urban schreibt, Puidgemont und Mitstreiter hätten die "Verfassung gebrochen", was kein Rechtsstaat hinnehmen könne - deshalb müssten sie vor Gericht gestellt werden, wenngleich die Strafen "milde" ausfallen sollten. Den Rechtsstaat macht es jedoch gerade aus, dass Strafen nur dann verhängt werden können, wenn ganz konkret der Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht wurde. Eben dies aber ist hier angesichts der konstruierten Vorwürfe der Rebellion oder der kriminellen Vereinigung mehr als fraglich.

Der Verfassungsverstoß als solcher ist nicht strafbar - ihn festzustellen, sind Verfassungsgerichte berufen, die aber keine Strafen verhängen.

Prof. Christoph Degenhart, Leipzig

Nicht gewalttätig genug?

Das Oberlandesgericht Schleswig hat befunden, dass es keine Grundlage zur Auslieferung von Carles Puigdemont hinsichtlich des Vorwurfs der "Rebellion" gibt, weil es im vergleichbaren Straftatbestand "am Merkmal der Gewalt fehle". Es habe zwar doch Gewalt gegeben (!), aber nicht heftig genug, dass die spanische Regierung zur Kapitulation gezwungen worden sei. Nehmen wir an, dies sei richtig. Aber denken wir weiter. Was bedeutet das? Da von den von Puigdemont geleiteten Separatisten nicht genug Gewalt angewandt wurde, darf man ihm nicht mit diesem Vorwurf den Prozess machen. Gut. Hätte es aber genug Gewalt gegeben, um den Willen der spanischen Regierung zu beugen, wäre die Rebellion erfolgreich gewesen und er hätte keinen Grund mehr gehabt, sich Sorgen um diesen Vorwurf zu machen. Was dann? Puigdemont wird der Vorwurf der Rebellion gemacht, weil er sich, höchstpersönlich, als Ministerpräsident der autonomen katalanischen Regierung, am 6. und 7. Dezember des Jahres 2017 über die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in der Autonomen Region Katalonien widerrechtlich hinweggesetzt hat. Das ist Hochverrat. Wie hat er das getan? Indem er das katalanische, spanische, europäische und internationale Recht wissentlich gebrochen hat, um den höchst dezentralisierten und volldemokratischen spanischen Einheitsstaat willentlich zu sprengen. Ist das nicht gewalttätig genug gegen eine Staatsordnung?

Jose Eguiagaray, Brüssel/Belgien

Taube Nuss

Warum fragt man Carles Puigdemont nicht nach den Vor- und Nachteilen, die Katalonien bei einer Unabhängigkeit erwarten würden? Schon die Antworten auf wesentliche Fragen, wie das Verhältnis zur EU, zur Nato und anderen internationalen Organisationen, das Ausscheiden aus dem Euro und die Anerkennung durch Drittstaaten, werden enthüllen, dass die Unabhängigkeit eine taube Nuss ist, die den Katalanen serviert wird. Wer fragt die unrealistischen, ja betrügerischen Möchtegern-Staatsmänner nach ihren Absichten und Plänen?

Dr. H. Detlef Lührsen, München

Politisierte Justiz

Carles Puigdemont hat weder zu Rebellion mit echter Gewaltanwendung aufgerufen, noch wäre es bei uns Hochverrat. Ich lebe seit 30 Jahren in Spanien und kann bestätigen, dass die spanische Justiz ziemlich politisiert ist und ganz und gar nicht unabhängig. So erklärt sich auch zum Teil, dass es eines der korruptesten Länder in Europa ist.

Dorothea Dietz, Valencia/Spanien

Barleys fataler Rempler

Der Umgang der deutschen Bundesregierung mit dem Fall Puigdemont und hier besonders der von Justizministerin Katarina Barley zeigt erneut, dass innerparteilicher Proporz nicht ausreicht, eine Regierung sachgerecht zu besetzen. Eine Justizministerin, die Gerichtsentscheidungen öffentlich kommentiert, ist schon fatal. Wenn sie damit auch noch außenpolitisch die spanische Regierung anrempelt, ist die Frage nach ihrer Eignung für Amt und Regierung geboten. Oder steckt hinter dem Lob Barleys die klammheimliche Absicht, nun auch den Basken, Schotten, Kurden und Armeniern - um nur einige zu nennen - eine Bühne für ihren politischen Kampf zu bieten? Das Oberlandesgericht muss sich fragen lassen, warum bei den Auflagen der Freilassung ausgerechnet das Verbot politischer Betätigung in Deutschland "vergessen" wurde.

Jürgen Grimming, Berlin

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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